Indira Jackson

Rayan - Der Stich des Skorpions


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von einem kurzen, hellen Warnton öffneten, sprang die blonde Frau hinter dem Empfangsdesk erschrocken auf. Die Mischung aus schlechtem Gewissen – weil sie sich gerade die Nägel lackiert hatte – und Verwirrtheit bei der sonst so kühlen Assistentin von TanSEC hätte Rayan unter anderen Umständen zum Lächeln gebracht. Heute jedoch brachte sie ihn nur dazu, die Brauen zu runzeln. „Mister Tanner – Sir – wir … ich wusste nicht …“, stammelte sie und Rayan tat sie fast ein bisschen leid, weil es zum ersten Mal in den immerhin fast fünf Jahren ihrer Zusammenarbeit war, dass er sein Kommen vorher nicht angekündigt hatte.

      „Schon gut, Tamara“, rang er sich daher ab, doch es klang keineswegs so freundlich, wie er es beabsichtigt hatte, und trug folglich auch nicht zu ihrer Beruhigung bei.

      „Ist etwas passiert? Brauchen Sie etwas?“, fragte sie nun mit aufgerissenen Augen, fast ein wenig panisch. Nachdem sich Rayan in seiner Person als Yasin Tanner meist um Höflichkeit bemühte und stets ausgeglichen schien, war sie es nicht gewohnt, ihn derart aufgebracht zu sehen. Kein Wunder also, dass sie mit dem Schlimmsten rechnete.

      „Schon gut – es hat nichts mit Ihnen zu tun. Oder der Firma“, sagte er nun betont ruhig und zufrieden sah er an ihrer Reaktion, dass er diesmal den Ton getroffen hatte. Sie entspannte sich merklich.

      „Aber ich möchte unverzüglich mit meinen beiden ‚Kollegen‘ sprechen.“ Tamara wusste sofort, dass er den CIO Cho Han und den Tactical COO Joe Jackson meinte. Sie zögerte einen Sekundenbruchteil und antwortete dann: „Sie sind beide in einem Meeting …“ Doch noch, bevor sie ihren Satz zu Ende sprechen konnte, unterbrach Yasin Tanner sie, nun wieder mit dieser ungewohnt kalten Stimme, die keinerlei Diskussion zuließ: „Sofort. In meinem Büro.“

      Schnell machte sie sich auf den Weg, die beiden Herrn wie gewünscht zu holen. Sollten sie doch untereinander ausmachen, was immer an Differenzen sie offenbar zu klären hatten. Sie war nur die Überbringerin der Nachricht.

      Als sie leise die Tür zum Besprechungsraum öffnete, stand Mr. Han gerade an der Leinwand und erklärte den anderen Teilnehmern des Treffens die Zusammenhänge einer Graphik, die der Beamer dort abbildete. Er hielt sofort inne und sah Tamara an, als er sie bemerkte. „Was gibt es denn?“, fragte er etwas genervt.

      „Sind die heute eigentlich alle von Sinnen?“, ging es der Assistentin durch den Kopf, doch in neutralem Tonfall sagte sie professionell: „Mr. Tanner ist hier. Er würde sie beide“, sie blickte nun auf Joe Jackson, der wie üblich ganz hinten Platz genommen hatte, „gerne sprechen.“

      Ihr entging nicht der Blick, den die beiden tauschten, bevor sie wie selbstverständlich das Meeting abbrachen. Immerhin entschuldigten sie sich noch bei den drei außer ihnen anwesenden Personen, bevor sie den Raum verließen. Es handelte sich schließlich um Kunden! Das hatte es auch noch nicht gegeben, dass man potenzielle Auftraggeber warten ließ. Spätestens als dann auf dem Flur Mr. Jackson leise murmelte: „Das ging ja schnell“, war sie sich sicher, dass zumindest diese beiden vom Kommen Mr. Tanners gewusst hatten.

      Anfang September 2015 – München – Eine kleine Lektion

      Als Peter kurz drauf einige Minuten lang abgelenkt war, weil der Gastgeber und zukünftige Bräutigam ihn ebenfalls begrüßte, beugte sich Rayan zu Carina und flüsterte ihr ins Ohr: „Wenn du willst, schaffe ich uns den Kerl vom Hals …“

      Als Carina ihn daraufhin entsetzt ansah, fuhr er lächelnd fort: „Keine Angst, ich will ihn nicht umbringen. Wobei … der Gedanke hat seinen Reiz.“ Doch Carina merkte, dass er sie diesmal nur aufzog.

      Sie schaute hinüber zu ihrer Freundin Sandra und bemerkte erneut, wie angespannt diese seit Peters auftauchen war. Als erwarte sie jeden Moment, dass dieser sich von „Dr. Jekyll“ in „Mr. Hyde“ verwandelte. Aus nachvollziehbarem Grund war auch die aktuelle Begrüßung zwischen Sandras Exfreund und ihrem zukünftigen Ehemann Joachim eher steif. Es schien also niemand traurig zu sein, wenn Peter wieder verschwinden würde. Was wollte er überhaupt hier? Sie musterte ihn kritisch und musste zugeben, dass sie durchaus verstehen konnte, was Sandra an ihm gefunden hatte. Er konnte - wenn er wollte - charmant sein und bei seinem Lächeln schlug so manches Frauenherz höher. Dann wieder war er einfach nur besserwisserisch und forderte mit seinen Sprüchen jeden heraus.

      „Also gut. Was hast du vor?“, traf sie ihre Entscheidung. Rayan grinste kurz und wandte sich dann wieder mit völlig ernster Miene an den Münchner: „Du hattest vorhin mein Auto bewundert. Und deines ist ja auch nicht schlecht, wie du eben berichtet hast. Hier ist es doch ohnehin langweilig – wollen wir beide die Zeit nicht an einem spannenderen Ort verbringen?“

      Überrascht fragte Peter: „Und wo soll das sein?“ – „Na hinter dem Lenkrad“, grinste Rayan ihn an: „Wie wäre es mit einem kleinen Rennen?“

      Einen derartigen Vorschlag hatte der Münchner noch nie bekommen und nach einigen Überlegungen, wo man die Idee am besten in die Tat umsetzen konnte, machten sich die beiden auf den Weg. „Kommst du mit?“, fragte Rayan Carina galant. Schon aufgrund des skeptischen Blickes von Peter stimmte Carina begeisterter, als sie sich wirklich fühlte, zu.

      Als die Drei gemeinsam den Raum verließen, fing Carina den dankbaren Blick von Sandra auf und zwinkerte ihr zu. Lautlos formte Sandra ein „Danke“ und lächelte erleichtert.

      Draußen schlich Peter schon um Rayans Auto herum, um dieses von allen Seiten ausgiebig zu bewundern, als dieser sich entschuldigte, er müsse noch kurz telefonieren. Carina vermutete, dass er mit ihren beiden Leibwächtern sprach, die auf der gegenüberliegenden Seite in einem Volvo saßen und mit Engelsgeduld warteten. Anfangs hatte sie sich entsetzt geweigert, diesen Personenschutz anzunehmen, doch Rayan war hart geblieben: wenn sie allein nach München gehen wollte, müsse sie diese Bedingung von ihm akzeptieren. Sie hatte dann klein beigegeben, zu deutlich stand ihr noch das Erlebnis von Anfang Februar hier in München vor Augen, als sie alle beinahe erschossen worden waren. Aber sie hatte ihm abgerungen, dass die Männer sich im Hintergrund hielten und ihr unauffällig folgten, sodass ihre Freundinnen nichts bemerkten.

      Bereits eine Minute später war Rayan zurück und nickte den beiden Tarmanen kurz zu. Dann stiegen sie in Rayans roten Aventador LP 750-4 und Peter in seinen silbernen McLaren 675 LT. „Sag bloß, du hast dieses Auto gekauft?“, fragte Carina kopfschüttelnd, als sie auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Es hatte sie ein wenig Mühe gekostet, sich in den Wagen zu zwängen. Offenbar war dieser weniger für Bequemlichkeit gebaut. Erfreut stellte sie fest, dass die Stimmung ihres Partners durch das bevorstehende Ereignis wieder deutlich besser war. Er grinste jetzt wie ein Junge. „Nein“, sagte er vergnügt. „Ich fahre es nur Probe.“ Carina musterte ihn misstrauisch von der Seite. Ein wenig Ahnung hatte sie auch von Autos, und sie bezweifelte, dass der Besitzer eines derart teuren Gefährts „einfach so“ einen Fremden Probe fahren lassen würde. Rayan bemerkte ihren Zweifel und lachte: „Der Aventador gehört einem guten Freund von mir, aber das muss Peter ja nicht wissen, oder?“

      Dann nahm er sein Mobiltelefon zu Hand und tätigte noch einen Anruf, der jedoch nur einige Sekunden dauerte. „Ihr bleibt hier. Wir kommen bald zurück“, befahl er in Tarmanisch kurz und legt auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Carina war verwirrt. Wenn das der Anruf für die Leibwächter war, mit wem hatte er dann vorher gesprochen? Aber sie hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn der Fahrstil der beiden Männer wurde ehrgeiziger und rücksichtsloser. „Sag mal, ihr könnt doch wohl nicht wirklich auf einer öffentlichen Straße einfach Rennen fahren? Das war doch sicher ein Scherz von dir, oder?“ Doch sie erhielt keine Antwort und wagte auch nicht darauf zu drängen, um Rayan nicht abzulenken, der sich mehr und mehr auf das Fahren konzentrieren musste. Denn obwohl sie die Bundesstraße 11, die Wolfratshauser Straße noch nicht erreicht hatten, auf der sie ihr Rennen abhalten wollten, schenkte keiner dem anderen etwas. Carina begann zu zweifeln, ob die Idee mitzukommen, wirklich so gut gewesen war.

      Aber nun gab es kein Zurück mehr und sie wollte sich weder blamieren, noch das Klischee der ängstlichen Beifahrerin schüren. Also spielte sie tapfer mit. Dann standen sie nebeneinander am Startpunkt und ließen die Motoren heulen. Als die Ampel auf Grün sprang,