Indira Jackson

Rayan - Der Stich des Skorpions


Скачать книгу

Bücher eintauche, dass ich für Stunden nicht ansprechbar bin. Danke für dein Verständnis!

      Und nun viel Spaß beim Lesen, Rayan und seine Freunde warten schon …

      Eure Indira

      Prolog

      Rayan beobachtete den dicken, ungepflegten Mann mit einer Mischung aus Entsetzen und aufsteigender Panik. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so hilflos gefühlt. Selbst sein Stolz und sein Hass waren mittlerweile verflogen.

      Gleich, als dieser in den Kerker gekommen war, hatte er an dessen lüsternem Blick sein Vorhaben erkannt.

      Obwohl der Scheich in den vergangenen Stunden schon mehrfach versucht hatte, die eisernen Schellen, die seine Handgelenke umkrallten, zu lockern, zog er nun verzweifelt aufs Neue mit all seiner Kraft daran. Die Ketten, die seine Arme nach oben in Richtung Kerkerdecke zwangen, rasselten lautstark. Blut begann an seinen Unterarmen entlang herunterzulaufen und von den Ellenbogen auf seine Schultern zu tropfen, doch er merkte es nicht einmal. Seine Fesseln rührten sich keinen Millimeter. Seine Feinde hatten ganze Arbeit geleistet.

      Von seinen Füßen hatte man ihm die eleganten Reiterstiefel gezogen; vermutlich hatte sich einer der Verbrecher diese inzwischen einverleibt. Stattdessen zierten auch hier schwere Eisenringe seine Sprunggelenke, die auch seine Beine aufgrund schwerer, im Boden verankerter Ketten zur Unbeweglichkeit zwangen. Breitbeinig wie ein menschliches X stand er also völlig hilflos mitten in dem kargen Raum.

      Seine Muskeln schmerzten aufgrund der vielen Stunden in dieser unangenehmen Haltung. Doch er wusste, dass dies gerade einmal der Anfang war.

      Der Bewacher beobachtete seine Bemühungen einen Moment lang mit einem sadistischen Vergnügen, dann wandte er sich wieder seinem ursprünglichen Plan zu.

      „Mach mit mir, was du willst, aber lass die Frau in Ruhe!“, bettelte Rayan verzweifelt, doch der andere lachte nur.

      Dieser Satz riss Carina aus ihrer Lethargie. Auch sie war angebunden, allerdings hatte man sie gnädigerweise in einer bequemeren Haltung, auf dem Boden sitzend, mit Stricken verschnürt. Ihr Blick fiel auf den ekelerregenden Mann und erst jetzt erkannte sie die Gefahr, in der sie schwebte. Sie wimmerte entsetzt und sah Rayan Hilfe suchend an.

      Allein dieser Blick war für den Scheich schlimmer, als alle körperlichen Qualen, die er je durchlitten hatte. Denn er wusste genau, dass er ihr nicht würde helfen können. Wäre er frei gewesen, wäre es ihm ein Leichtes, das Leben des anderen zu beenden. Er hätte ihn in seinem Hass mit bloßen Händen das Genick gebrochen.

      „Du kommst später noch dran“, antwortete ihm der Dicke. Dann packte er Carina brutal an den Haaren, sodass diese gepeinigt aufschrie. „So mein Engel mit den leuchtenden Haaren, jetzt haben wir beide mal ein wenig Spaß. Eine Schönheit wie du wartet doch nur darauf, dass ich mich um sie kümmere“, krächzte er mit vor Erregung zitternder Stimme.

      ……...

      Der Scheich starrte entsetzt auf das grob geflochtene Leder. Er war blass geworden. Nicht etwa, weil er den Schmerz fürchtete, sondern weil er nicht fassen konnte, dass der Mann, der da vor ihm stand, wirklich Hanif war, sein Freund, der ihn in den vergangenen vierzehn Jahren unzählige Stunden begleitet hatte. Und der ihm mehrmals das Leben gerettet hatte! Sein Verstand weigerte sich, diese Wandlung zu begreifen.

      Und gleichzeitig war ihm klar, dass sie gerade an einer Schwelle standen. Sie hatten auch in der Vergangenheit ab und zu ihre Differenzen gehabt, die sie aber immer wieder beigelegt hatten. Selbst die Ohrfeigen von vorhin waren unter Umständen noch verzeihlich. Würde Hanif dieser Aufforderung aber nun nachkommen und die Peitsche an Rayan anwenden, konnte nichts ihn noch retten.

      Anfang August 2015 - Alessia: Hummers Haus - Ein Geständnis

      Rayan hatte sich gerade einige Minuten lang in den Pavillon gesetzt, um sich von der Reise auszuruhen, als Jamal sich näherte. Der Scheich unterdrückte ein Lächeln. Wie üblich gelang es dem Haushälter, sich formvollendet zu nähern. Aber hier in Alessia war die Etikette großgeschrieben, während Rayan in Zarifa weitaus weniger Ansprüche hatte und ihm nur einige Grundregeln wichtig waren.

      Es war einer der Gründe, warum der Scheich spätestens nach zwei bis drei Tagen regelmäßig die Flucht ergriff. Er hasste die Zwänge, die sein Status mit sich brachte, aber Jamal bestand darauf, sie bis ins letzte Detail zu exerzieren. Manchmal fragte Rayan sich, wer eigentlich der Herrscher war - er oder Jamal?

      So blieb dieser in respektvollem Abstand stehen, bis Rayan ihm mit einer Geste zu verstehen gab, dass er bereit war, ihn zu empfangen. Innerlich schüttelte der Scheich den Kopf über derart viel Steifheit und wünschte sich schon jetzt zurück nach Zarifa.

      Die Ankündigung des Haushälters riss ihn jedoch aus diesen Gedanken: „Mein Herr, es ist ein Mann hier, der euch untertänigst um eine Audienz bittet. Ich möchte dazu ergänzen, dass diese Person bereits dreimal während eurer Abwesenheit nach Euch gefragt hat.“

      „Hat er gesagt, was er will?“, fragte Rayan ein wenig gereizt. Er hatte gehofft, wenigstens einige Minuten durchschnaufen zu können. Dann ermahnte er sich selbst, denn er war schließlich nicht oft hier. Da war es verständlich, dass die Menschen ihre Bitten vortrugen, sobald es sich herumsprach, dass er angekommen war.

      Jamal zögerte kurz, was den Scheich stutzen ließ: „Er sagte, er müsse Euch ein Geständnis machen“, er zauderte erneut: „und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Er sieht nicht gut aus. Ihm scheint tatsächlich etwas auf der Seele zu liegen …“

      Nun war die Neugier des Scheichs geweckt: „Dann bring ihn herein.“ - „Ja, mein Herr. Sofort.“

      Vorsichtshalber rief er per Handy Jassim an, seinen Leibwächter, der irgendwo auf dem Grundstück unterwegs war. Man konnte schließlich nie wissen, welche Absichten der Besucher verfolgte. Doch der antwortete knapp: „Ich bin schon auf dem Weg, Herr. Jamal hat mich bereits informiert.“

      Rayan nickte zufrieden, steckte das Telefon weg und überprüfte den Sitz seiner beiden Dolche, die er stets bei sich trug. Er verstand es perfekt, diese Waffen zu benutzen. Vor allem als Wurfgeschoss trafen sie ihr Ziel rasend schnell und punktgenau. Um einen raschen Zugriff zu gewährleisten, hatte er diese in Spezialfutteralen aus Leder, die an seinen beiden Unterarmen befestigt waren. In entspannten Moment wie jetzt trug er diese offen sichtbar, zu offizielleren Anlässen unter den Ärmeln seines Gewandes verborgen.

      Erst als Jassim nicht weniger als vier Männer rund um den Pavillon und sich selbst direkt neben seinem Herrn platziert hatte, ließ Jamal den Bittsteller eintreten. Wieder seufzte Rayan innerlich - als könne er sich nicht selbst gegen einen einzelnen Mann verteidigen. Natürlich hatten weitere Wachtposten bereits an der Eingangstüre zum Anwesen sichergestellt, dass der Mann unbewaffnet war.

      Rayan war sich nicht sicher, was er erwartet hatte, aber auf keinen Fall jemanden, der gerade einmal Anfang Zwanzig sein mochte. Er musste dem Haushälter recht geben: Der Besucher war blass, abgemagert und hatte tiefe Ringe unter den Augen, als hätte er schon länger nicht mehr sonderlich gut geschlafen. Sein Blick war gehetzt und er schlotterte förmlich vor Angst.

      Ohne ein Wort kniete er vor dem Scheich nieder und neigte sein Gesicht zu Boden, so wie es die Etikette verlangte.

      „Sprich mein Junge, was kann ich für dich tun?“, fragte Rayan freundlich. Es gelang ihm dabei nicht ganz, sein Erstaunen über diese Erscheinung zu verbergen. Außerdem hatte er spontan Mitleid, denn jemand schien diesen Jüngling zu bedrohen.

      „… M … mein … H ... Herr …“, stotterte der. Rayan und Jassim tauschten einen fragenden Blick: Was sollten sie von diesem Kerl halten? Im Scheich regte sich die Ungeduld.

      Endlich brach es aus dem Jungen hervor: „Es ist meine Schuld! Ich war es! Durch mich ist Euer Flugzeug abgestürzt!“

      Einige Sekunden lang war es still und wiederum sah Rayan Jassim fragend an, der jedoch auch nur die Achseln zuckte. War der Junge krank?