Indira Jackson

Rayan - Der Stich des Skorpions


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Ausblick auf die Wüste, ganz alleine leben.

      Doch Rayan hatte hier Männer stationiert. Mit der offiziellen Begründung, dass ein permanenter Aussichtsposten unabdingbar sei. Denn von hier aus konnte man jegliche Annäherung an das Gebirge von Zarifa bereits aus vielen Kilometern Entfernung vorhersehen. Und diese Funktion hatte sich in der Vergangenheit bereits mehrfach als nützlich erwiesen. Aber Carina vermutete, dass es nicht der einzige Grund war, sondern er zudem die alte Dame nicht alleine wissen wollte.

      Die letzten Tage hier waren schön und entspannt gewesen. Ohne die vielen, sonst üblichen Termine und stundenlangen Gespräche und Diskussionen, die Rayan täglich meistern musste, um die Belange seines Stammes zu ordnen. Nicht zu sprechen von den Arbeiten in seinem Büro, die er für seine Sicherheitsfirma TanSEC in den USA durchführte.

      Es war wie ein Kurzurlaub gewesen, und Eleonora hatte sich nur zu gerne mit Sheila beschäftigt. Rayans Bruder Daoud war ebenfalls mit von der Partie, und die beiden hatten darum konkurriert, wer ihr wann das Fläschchen geben durfte. Fast war Carina ab und an ein wenig eifersüchtig, weil jeder ein Stück von ihrer Tochter wollte. Aber sie hielt sich gerne zurück. Es war doch im Grunde ganz wunderbar, dass jeder so um die Kleine bemüht war.

      Allerdings, so war sie sich jetzt schon bewusst, würde sie später darauf achten müssen, dass ihre Tochter nicht vollkommen verwöhnt werden würde.

      Als sie später in ihrem Bett lag, und Rayan kurze Zeit später zu ihr unter die Decke schlüpfte, flüsterte sie leise: „Danke.“ Der Scheich wusste, was Carina damit ausdrücken wollte. Sie war froh, dass er ihr mittlerweile so sehr vertraute, dass er sie ohne Schwierigkeiten gehen ließ. Und dass er sich bereits für sie Gedanken gemacht hatte.

      „Schon gut“, antwortete er. Sie konnte am Tonfall hören, dass er lächelte. Und plötzlich überkam sie eine derart starke Welle der Zuneigung zu diesem wundervollen, starken, aber auch gefährlichen Mann, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.

      Anfang August 2015 - Alessia: Hummers Haus - Eine besondere Form der Gnade

      Jassim ließ sich mittlerweile kaum noch zurückhalten, diese Unverschämtheit des Burschen, ihren Herrn direkt anzusehen, brachte ihn in Rage.

      „Ich habe Euren Freunden geholfen! Sie wollen die Hintermänner stellen …“

      Irgendwo ganz tief unten begann eine Ahnung in Rayan aufzusteigen und er fragte nun misstrauisch: „Welche Freunde?“, sein Tonfall war kühler geworden.

      „Ich kenne ihre Namen nicht, Herr. Aber sie sind nicht von hier. Einer ist Asiat, der Zweite riesig und muskelbepackt …“ Er wollte noch mehr sagen, doch Rayan brachte ihn zum Schweigen: „Schon gut. Ich weiß, wen du meinst. Wie ist dein Name?“

      „Ich heiße Adnan und habe als Techniker am Flughafen gearbeitet …“

      Rayans Gesicht war starr geworden, und selbst Jassim hatte alle Gedanken an Etikette inzwischen verworfen. Hier gab es wichtigere Entwicklungen! Der Scheich zog sein Handy hervor und wählte eine Nummer. Bereits nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine fröhliche Stimme auf Englisch: „Hey Guy, what’s up?“ Rayan ging nicht auf den scherzhaften Tonfall seines Freundes Cho ein und antwortete ohne Einleitung: „Ein Junge namens Adnan behauptet, er habe mich und das Flugzeug auf dem Gewissen - stimmt das?“

      Auf einmal war es mehrere Sekunden lang völlig still in der Leitung. Dann folgte ein Fluch: „Dieser verdammte Idiot! Ich habe ihm gesagt, er soll sich irgendwo verkriechen und neu anfangen.“

      Rayans Blick war eisig geworden. Denn dieser eine Satz war sowohl eine Bestätigung der Absturzursache als auch der Schuld des Flughafentechnikers. Gefährlich leise fragte er: „Und ist es korrekt, dass er euch geholfen hat?“

      Cho antwortete nun vorsichtiger, er hatte die Stimmung seines Freundes bemerkt und wusste, dass Gefahr drohte. „Ja, das stimmt. Ohne ihn wären wir echt nicht weiter gekommen.“ Sein Tonfall wurde fast flehentlich, als er fortfuhr: „Hör zu Yasin. Er ist ein dummer Junge, der einen Fehler gemacht hat. Er ist naiv und noch viel zu jung! Bitte …“ Doch in diesem Moment hatte Rayan das Gespräch bereits unterbrochen. Kurz ging es ihm durch den Kopf, dass er Cho nicht einmal gefragt hatte, warum er über diese wichtige Entwicklung nicht informiert worden war, doch das würde er später mit Cho und Hummer klären. Jetzt würde er sich erst einmal um diesen feigen Verräter kümmern.

      Seine sonst so strahlend blauen Augen waren dunkel geworden. Jassims kompletter Körper war nun angespannt. Er kannte seinen Herrn und wusste, dass etwas Entscheidendes passieren würde. Es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dem Scheich dabei nichts passierte. Und so verfolgte er jede Bewegung seines Anführers nun mit Argusaugen.

      „Nun Adnan“, sagte Rayan kalt. „Mein Freund … “, dabei betonte er das zweite Wort so, dass Jassim seinen Ärger auf den japanischen Amerikaner bemerkte, „ … hat deine Geschichte bestätigt. Warum hast du diesen Verrat begangen? Hast du Geld dafür genommen?“

      Die Veränderung in der Haltung des Scheichs war auch Adnan nicht entgangen. Einen Moment lang zweifelte er, ob es nicht doch besser gewesen wäre, Alessia hinter sich zu lassen. Vorsichtig antwortet er: „Ja Herr, anfangs schon. Aber als ich erfahren habe, dass es um Euer Flugzeug geht, habe ich mich geweigert und wollte es zurückbezahlen! Ich schwöre!“ Er sprach jetzt hektisch und das Zittern war in seine Stimme zurückgekehrt.

      „Und? Warum hast du es dann trotzdem gemacht?“, fragte Rayan mühsam beherrscht. Jassim sah, dass sein Herr kurz davor stand, zu explodieren und trat noch einen Schritt näher heran.

      „Sie haben mich bedroht! Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Außerdem haben sie mir gesagt, dass es lediglich um ein Aufzeichnen der Flugdaten geht … Niemand sagte mir, dass ihr an Bord sein würdet …“ Seine Stimme brach ab, als würde er erst jetzt verstehen, wie dumm diese Erklärung klang.

      „Ach so, wenn sie über diese Software den genauen Standort von Zarifa und vor allem der Landebahn gefunden hätten, wäre der Verrat weniger groß gewesen. Ist es das, was du mir gerade als Entschuldigung sagen willst?“, entgegnete Rayan. Seine Stimme triefte vor Sarkasmus.

      Noch immer hielt er sich zurück, als er fragte: „Und warum kommst du nun hierher, anstatt dem Rat meines Freundes zu folgen? Was erhoffst du dir von mir?“

      Adnans Stimme überschlug sich: „Ich konnte es nicht mehr ertragen! Hinter jedem Baum und jeder Hausecke sah ich Schatten lauern. Seit Wochen kann ich nicht mehr richtig schlafen. Man sagt, dass Ihr gerecht seid, mein Herr. Deshalb erhoffe ich mir Gnade von Euch …“

      Rayan, der bis zu diesem Zeitpunkt noch immer auf der Sitzgelegenheit im Pavillon gesessen hatte, war aufgestanden. Das veranlasste Jassim dazu, seinen Männern ein Zeichen zu geben, nun besonders achtsam zu sein. Dieser Adnan hatte schließlich selbst gestanden, ein Verräter zu sein, wer weiß, ob er nicht gekommen war, um seinen Auftrag zu Ende zu führen.

      Der Scheich blieb neben dem Jungen stehen.

      „So? Gnade?“ Mit diesen Worten riss er Adnan so plötzlich mit der rechten Hand an den Haaren nach oben, dass dieser vor Schmerz laut aufschrie. Seine panisch geweiteten Augen richteten sich auf den Tarmanenführer.

      Mit vor Wut zitternder Stimme zischte Rayan: „In diesem Flugzeug, sind drei meiner Männer gestorben. Und dass meine Frau mit meinem ungeborenen Kind überlebt hat, ist wohl kaum DIR zu verdanken - von mir ganz zu schweigen. Ich sollte dich für diesen Verrat so lange auspeitschen lassen, bis deine Haut sich vom Körper löst!“ Er umklammerte mit der Linken nun seinen Hals und ließ stattdessen die Rechte nach unten sinken. Jassim kannte diese Bewegung und wusste, was folgen würde.

      Rayan betrachtete Adnan einen Moment lang wie ein Insekt - voller Ekel und Hass - und fuhr dann ätzend fort: „ Du willst Gnade von mir? Die sollst du bekommen: Weil du dich freiwillig bei mir gemeldet hast, werde ich dir statt eines qualvollen, langsamen Todes einen Schnellen verschaffen.“

      Bei den letzten Worten brachte er so abrupt seine Hand wieder nach oben, dass der unglückliche Flugtechniker nur noch