Manfred Peter Oebel-Herrmann

Achims Ring


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der berühmten Seebrücke befand. Er holte sich dann ein Köstritzer Schwarzbier, setzte sich an einen Tisch mit Blick zur Dünenstraße und beobachtete die Feriengäste. Die Touris teilten sich auf in zwei Hauptströme. Der eine kam aus Richtung Swinemünde und strebte in Richtung Heringsdorf, der andere umgekehrt. Wenn man sich einzelne Personen merkte, konnte man feststellen, dass die, die in Richtung Heringsdorf liefen, wieder zurückkamen und in Richtung Swine-münde weitergingen und umgekehrt. Wenn ein Schiff an der Seebrücke anlegte, ergoss sich der Strom der Fahrgäste ebenfalls in beide Richtungen. Warum sich die Leute so verhielten blieb Achim ein Rätsel. Ihm war aufgefallen, dass die meisten der Prominierenden stark übergewichtig waren; Frauen, wie Männer und Kinder. Und alle waren bestrebt diesen Zustand nicht nur zu erhalten sondern auch noch zu verbessern. Die Leute aßen ununterbrochen. Sahneeis, Bockwürste, Matjes, Fisch-brötchen, Sandwiches und vieles mehr. Der Anblick der dicken Ärsche in knappen Shorts inspirierte den Fotografen Achim, erin-nerte ihn aber auch an etwas Unangenehmes, an seine Schwieger-mutter. Ein Bildband oder zumindest eine Bildserie über die dicksten Hinterteile in Farbe, das wäre es.

      Das wollte sich Achim genau überlegen.

      Er ging die bestellten Filme für seine Hasselblad abholen. Dann sah er auf die Uhr; es war höchste Zeit seinen Aufenthalt in Ahlbeck zu beenden.

      Achim war mit Hanni zum Mittagessen im Koserower Restaurant Bernsteinhexe verabredet.

      Zu dem Restaurant gehört ein Gartenrestaurant, welches bei warmem Wetter besonders stark frequentiert wird.

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      In Koserow angekommen kurvte Achim in die Siemensstraße und bog dann links ab in die Gartenstraße. Dort befinden sich die Parkplätze des Restaurants. Er stellte seinen Smart ab und ging um die Ecke. Der Eingang zum Restaurant befindet sich an der Meinholdstraße. Achim sah sich im Gartenrestaurant um und erstarrte. Am Tisch von Hanni saß seine Schwiegermutter.

      Sein erster Gedanke war Flucht, nichts wie weg; zu spät, seine Schwiegermutter hatte ihn bereits erspäht. Mit schwabbelndem Oberarm winkte sie ihm zu. Es war kein fröhliches Winken, so in der Art „Hallo, da bist du ja, komm doch zu uns“; es war ein herrisches, befehlendes Winken „Daher, Sitz, Platz!“. Traurig und deprimiert schlich er zu dem Tisch. Achim hatte sich auf das Mittag-essen mit Hanni gefreut und wollte über ihren bevorstehenden Geburtstag reden, was sie so machen würden und was er für sie kochen solle. Denn an Hannis Geburtstag kochte immer Achim, aber sonst auch, meistens jedenfalls.

      Eigentlich ist Achim ein Querulant. Als sich im Laufe der Zeit alle auf die englische Sprache stürzten und so taten als ob sie kaum noch ohne Anglizismen auskämen wandte er sich vermehrt dem Franzö-sischen zu. Er besuchte Sprachkurse und engagierte einen Coach, um sein Französisch zu optimieren.

      Da Achim mit Hanni zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz lebten, hielten sie sich so oft wie möglich in der Romandie, dem französisch sprechenden Landesteil der Schweiz auf und besuchten das benach-barte Frankreich, vorzugsweise das Elsass, das Burgund und die Provence.

      Als Achim noch ohne Hanni in Genf lebte hörte er im Fernsehen den französischen Staatspräsidenten reden und verfolgte die Wahlkämpfe von de Gaulle, Mitterrand und Lecanuet. Er rockte mit Johnny Halliday, lauschte den alten Chansons von Piaf, Gréco und Azna-vour. Achim war fasziniert von der Eleganz und Kraft der fran-zösischen Sprache. Französische Filme mit Gabin, Delon, Belmondo und Moreau standen bei ihm hoch im Kurs. Ein Film mit Jean Gabin, er hieß „Der Unerbittliche“, hatte es ihm besonders angetan. Jean Gabin spielte einen Bauern, dessen Familie bedroht wurde. Das Gesetz nahm er selbst in die Hand. Durch nichts und niemanden ließ er sich in seinem Handeln beirren; die ganze Familie stand unter seinem Kommando.

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      Das war Unabhängigkeit, wie Achim sie sich vorstellte. Ihm gefiel es ausnehmend gut, dass die Sonne im Französischen männlich war.

      Le soleil. Das war ihm wichtig, weil er männlich mit Kraft verband. Oft fügte er französische Ausdrücke und Zitate in sein Deutsch ein, und es machte ihm viel Freude zu erleben, dass sich seine Schwiegermutter ärgerte, weil sie nichts verstand.

      Seine Stimmung besserte sich. Er begrüßte Hanni und ihre Mutter mit einem „Hallo“. Die Schwiegermutter giftete „Du bist spät.“ „Ich bin nicht mit dir verabredet“ dachte er und „ich dir wirklich keine Erklärung schuldig sei.

      Lächelnd sagte er „Madame, quelle seriöse, et quäl plaisir.“

      „Lass den Quatsch und rede deutsch mit mir, hier bei uns wird deutsch geredet!“

      Achim war zufrieden mit seinem Auftritt und schaute Hanni gerade in die Augen; ruhig und fest begegnete sie seinem Blick und schüttelte leicht den Kopf. Jetzt wusste er, dass Hanni nichts für die Anwesenheit ihrer Mutter konnte.

      Ute, die Bedienung, brachte die Speisekarte. Möglichst unauffällig musterte er seine Schwiegermutter und genierte sich.

      Ein grellrot bemalter Mund, ein geblümtes Kleid (force de fleurs) umhüllte sie wie ein Zelt, die Füße steckten in weißen Sandalen. „Grauenhaft!“

      Natürlich bestellte sie zuerst und zwar etwas Fettes, etwas Handfestes, wie sie es nennt. Grützwurst – eine Spezialität, die man auf Usedom nicht nur in der kalten Jahreszeit schätzt, sondern auch im Sommer. Und ein großes Lübzer Pils dazu musste auch sein.

      Hanni entschied sich für eine halbe Portion gedünsteter Aal und Achim bestellte gebratenen Zander. Er liebte Zander besonders, wenn er in der Haut kross gebraten war.

      Achim fragte Hanni ob sie sich bei einer Flasche Pinot Grigio anschließen würde. „Oh ja, sehr gerne“ strahlte sie.

      Zu seiner Schwiegermutter sagte er scheinheilig „schade kannst du beim Wein nicht mithalten aber der Pinot passt wirklich nicht zur Grützwurst“.

      Achim gab die Bestellung an Ute weiter. „Die Getränke bitte jetzt und das Essen in circa einer halben Stunde. Danke.“

      Er wollte ein bisschen französische Lebensart, Savoir-vivre, in ihr Leben bringen; zuerst in Ruhe der Apéritif und dann das Essen. Und nicht immer alles um Punkt zwölf.

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      Ein Paar mit Kind kam in das Gartenrestaurant. Die drei standen gut im Futter. Das Kind war ungefähr sechs Jahre alt. Mit Huronenge-brüll stürzte sich der Knabe auf die Schaukel, die für die kleinen Gäste installiert worden war.

      Dann rief der Junge nach seinem Vater, weil er mit der Schaukel nicht zurecht kam.

      „Was für ein Depp“ ging es Achim durch den Kopf „zu doof zum Schaukeln“. Die Eltern des Knaben bestellten ihr Essen und wollten ihren Sohn zu einem Kinderteller animieren.

      „Mäuschen“ wurde der Kleine von seinen Eltern gerufen, wollte aber unter keinen Umständen etwas essen. Mutter und Vater insitierten aber so lange, bis Mäuschen sich zu einem Schnitzel entschloss. Aber essen wollte er nicht. Der Vater wollte jetzt essen, Mäuschen lieber schaukeln; Mutter mampfte seelenruhig und hielt sich aus dem Konflikt heraus. Der Vater sprach zu Mäuschen: „Wenn du jetzt nicht isst, werde ich das essen.“

      Sprach’s und machte sich über das Schnitzel seines Sohnes her. Mäuschen sah seinem kauenden Vater zu, was ihn aber keineswegs animierte desgleichen zu tun.

      Mäuschen begann zu quengeln, dass er schaukeln wolle. Vater stand zwischen zwei Bissen auf und schaukelte seinen Sohn. Sobald er wieder am Tisch saß ging das Gebrüll wieder los.

      Das permanente Hin und Her des Vaters und das Gebrüll des Kindes waren der reinste Horror. Nach anfänglichem Amüsement war Achim jetzt genervt. Er konzentrierte sich wieder auf Hanni und ihre Mutter.

      Eine Idee geisterte durch seinen den Kopf. Er würde seine Schwie-germutter künftig auf Französisch „La belle-mère“ nennen.

      Ihm gefiel die Idee, weil es übersetzt „die schöne Mutter“ bedeutet; charmant und wohl auch ironisch.