waren… Viele von diesen kleinen Schätzen wurden irgendwann später, von ungebetenen Besuchern, während einer Geburtstagsfeier, zerstört… Die komplette Einrichtung stammte wohl noch aus den Siebziger Jahren und es hatte etwas von einer verrauchten, schummrigen und würdelos gealterten Eckkaschemme… Wir fanden es gemütlich dort unten, wie wir an den Tischen saßen, in einer Versammlung von vielleicht zehn oder zwölf Leuten, und die Biergläser und das Hochprozentige vor uns aufgereiht sahen.
Ein Würfelbecher ging herum… Neben den Gesprächen in alle Richtungen über den Tisch hinweg, wendete man sich seinem Nachbar entgegen, wenn dieser einem die CD-Hülle mit dem Becher darauf anreichte und hatte meist schon wieder die Zahl vergessen, die man mit dem eigenen Wurf überbieten sollte.
Je mehr ich getrunken hatte, desto misstrauischer wurde ich meinem Nebenmann gegenüber.
»Was hast du?…« Und ich nahm, vorsichtig genug, die abgedeckten Würfel nicht umzuwerfen, die Fracht mit zwei Händen entgegen… »Fünfundsechzig…« Ich sah meiner Nachbarin in die Augen… »Fünfundsechszig?! Na klar, haste ja immer…« Ließ sie selbst noch einmal unter den Becher sehen… »Ganz sicher?…« Und versuchte weiter aus dem dunklen Blau ihrer Iris zu lesen… Sie wendete sich etwas ab… Zuckte mit den Schultern… Ich überlegte kurz, ob es ihr erster oder bereits ihr zweiter Wurf war. Das konnte entscheidend sein. Aber ich hatte es nicht mitbekommen… Ich hob auf… Fünfundsechzig.
»Hmm, ja… Noch einen für mich…« Es galt zwischen Bier und Schnaps zu wählen… Ich entschied mich einen Kurzen als Strafe für meine Fehleinschätzung zu trinken… Kopf in den Nacken… Schwupp… Kurz warten… Nicht das Gesicht verziehen… Einen Schluck Bier hinterher… Nur fürs gute Gewissen.
Bald gab ich mir immer weniger Mühe, die Vorgänge des Spiels zu verfolgen. Schnaps und Bier taten ihre Wirkung… Und drängten mir immer deutlicher das Gefühl des Verlangens auf, diesem gerade neben mir sitzenden Mädchen gegenüber, das so richtig schmutzig zu den Späßen Lachen konnte, die um mich herum geschahen… Eine Brünette mit blauen Augen, die wie die Jungs Handball spielte und meinem Empfinden nach schon in den Stand des Engels aufgestiegen war… Sie begleitete die Gruppe seit einer Weile.
Mit fortschreitender Zeit begann die Versammlung, sich langsam aufzulösen. In unregelmäßigen Abständen rückten die Gäste vom Tisch ab, sagten Ade und schlugen sich hinaus in die Nacht. Das Mädchen blieb. Wir hatten aufgehört zu spielen. Sie schwieg und schaute nachdenklich in ihr Glas, während die verbliebenen Freunde um den Gastgeber und mich keine Schwierigkeiten hatten, sich gegenseitig bei Laune zu halten… Man musste die Chance nutzen… Ich glaubte zu dieser Stunde fest daran, eine günstige Situation aufgefunden zu haben… Man musste es wagen… Jetzt oder nie. Also sagte ich zu ihr, ich müsse sie wegen etwas sprechen und bat sie mir nach draußen zu folgen… Vor der Tür fragte ich sie in naiver Erwartung, ob sie mit mir zusammen sein wolle… Einfach so gerade heraus… Haha! Sie wies mich natürlich ab. Wütend und enttäuscht, forderte ich sie auf mir zu sagen warum und verstand die Welt nicht mehr.
»Schau mal ich find dich ja voll nett und so«, sagte sie… »Aber du bist einfach nicht mein Typ.« Ich glaubte, dass sie mich sogar etwas mitleidig ansah… Wir standen auf der Straße und sie trat von einem Bein aufs andere… Rücklings schwang ich mich auf einen gemauerten Pfeiler, der den Eckpunkt eines Gartenzauns bildete.
»Aber wir sollten trotzdem Freunde bleiben.« Na, klar… Ich sah ihr kurz ins Gesicht, wie sie so dastand und sich nicht entscheiden konnte, ob es an der Zeit wäre wieder reinzugehen, zu den Anderen, oder den Heimweg anzutreten. Dann blickte ich über ihren Kopf hinweg dem geschwärzten Firmament entgegen… Zündete mir eine Zigarette an… Millionen von verwirrten Jungs wurden auf diese Weise abgespeist. Das machte einen noch wahnsinniger. Junge Männer wollten sich nicht damit z ufrieden geben immer nur der gute Freund zu sein. Sie wollten doch nur ein bisschen Vögeln, um dann damit vor den anderen angeben zu können. Sie wollten ihre Jugend auskosten. Doch wie zur Hölle nochmal stellte man das an?… Das zeigte einem doch niemand… Oder doch? Oder hatten sie nicht richtig hingesehen?… Man hatte ihnen immer nur eingehämmert, wie man sich zu verhalten hatte, wie man ein netter Junge wurde. Mädchen wurden ihnen als scheue, keusche Wesen erklärt, die man gefälligst auch so zu behandeln hatte. Wenn man fragte warum man noch nie eine Freundin gehabt habe, bekam man gesagt, dass sich irgendwann die Richtige finden würde… Wie ein zarter Engel gleich, würde sie an einem schicksalhaften Tag vom Himmel herabgleiten und sich einem in die Arme legen… Grenzenloser Schwachsinn!
Sie ging. Ich blieb mit meiner dumpfen Wut zurück.
Wieder drinnen und kaum die Türe zur Kellerbar hinter mir geschlossen, bei den erstaunt dreinblickenden Jungs und Sascha, der mich von seinem Stammplatz über das Bierglas hinweg anschaute und sofort zu wissen schien was vorgefallen war, wurde ich von gellenden Stimmen empfangen.
»Ey was war denn da jetzt los.« Und… »Na, haste Tanja im Gebüsch vergessen, oder was?«, plärrten diese Stimmen.
Sascha begleitet mich auf dem Heimweg. Der Marsch löschte nicht die Wirkung des Alkohols… Zumal wir vorher noch eine Literflasche, mehr als halb voll mit Mische als Proviant eingepackt hatten. Fast schon Zuhause angekommen, schaffte ich es meinen Begleiter dazu zu drängen sein letztes Gras in einem Joint zu verbauen, den er sich mit mir zu teilen habe… Ich sagte ihm das würde mich entspannen. Er riet mir davon ab, aber ich drängte ihn immer mehr dazu. Schließlich rauchten wir unseren Joint und der arme Junge war auch schon ziemlich betrunken, bekam gewaltig einen davon ab und musste fürchterlich kotzen. Ich gab mir die Schuld dafür und gewissermaßen war es ja auch so gewesen… Kaum, dass wir wieder im Zimmer gewesen waren ging das los. Zum Glück gab es im Keller ein Klo… Brachte ihn, nachdem er seinen Magen halbwegs beruhigt hatte nach Hause, sah im hinterher, wie er mit Gummibeinen zur Haustür wankte, die Treppen hinauf stakste, ging und verkroch mich danach selbst ins Bett.
Über die Arbeit und den ganzen anderen Blödsinn, der mich noch bedrängte vergaß ich das Mädchen… Sie tauchte ab und zu wieder auf… Es störte keinen… Nichts war geschehen, was der Rede wert gewesen wäre… Später legte sie sich einen Stecher zu, der wesentlich älter war als sie selbst. Sie wurde nicht glücklich mit ihm. Nachdem sie sich getrennt hatten ging sie auseinander wie ein Hefekloß… Ich fühlte mich plötzlich als Gewinner… Höhöhö!
So lief es jedenfalls eine ganze Weile bei uns. Die Mädchen kamen und gingen, ließen sich auf Flirts ein, wurden zu Freundinnen und verschwanden wieder aus unserem Leben. Die Konstante blieb mein engster Freundeskreis.
…
Ich habe die Richtung gefunden und bin eine Weile gelaufen… Jetzt befinde ich mich in dem Teil der Stadt, zu dem zurückzufinden ich vor Sonnenaufgang noch nicht geglaubt habe und in welchem sich das Appartmenthaus befindet, in dem ich ein Zimmer bezogen habe… Es ist eines von vielen und ich bin es müde die Stufen des an einen Wall gestützten Plattenbaus hinaufzusteigen… Fünfunddreißig Quadratmeter… Lauter Studenten nebenan, deren Behausungen sich um nicht ganz zehn Quadratmeter Flächenverringerung von der Meinen unterscheiden… Und ein paar alleinstehende Hartz-Vier Empfänger… Wand an Wand gemeinsam einsam… Haha!… Ein Witzfigurenkabinett… Ich gehe lieber weiter. Welche Richtung ist mir egal… Vielleicht aus der Stadt heraus… Ich greife in die Taschen meiner Hose, die vom Schweiß gestärkt ihre Ausbeulungen beibehalten, und fische mein Portemonnaie herbei, hole eine Münze aus dem Kleingeldfach und werfe sie in die Luft… Kopf… Ich werde weitergehen… Warum auch nicht? Währenddessen kann ich meine Reminiszenzen fortführen. Scheint mir leichtfällig, über die eigene Jugend hinwegzusehen. Die Erinnerungen sind heller als erwartet… Und heute… Ganz schön finster in meinem Schädel gegenüber der aufgehen wollenden Sonne… Mit gelber Zunge und schwarzem Atem lachender Rauch… Es scheint mir aber nicht wirklich komisch… Man könnte zwar… Aber… Schwefelbelag… Rußiger Atem… Staubiger Atem… Amen.
…
Bevor ich meine Ausbildung beginnen durfte, stand für mich noch einiges an Bürokratie auf dem Programm… Damit verbunden war eine Untersuchung bei meiner Hausärztin. Sie zählte zu der Sorte grobschlächtige,