Wir ließen nichts aus… Auch die typischen Fressanfälle waren zunächst ein fester Teil unseres Programms. Nachdem wir uns eine Weile selbst unterhalten hatten, gingen wir dazu über den Fernseher oder die Konsole einzuschalten… Die Gespräche hörten auf… Es ließ sich immer seltener ein Thema finden, was wir nicht schon durchgekaut hatten.
Sobald man an die Droge etwas gewöhnt ist und man anfängt das Erleben des Rausches zu durchschauen, verkommt das, was man vorher als neu empfunden hat, zu einer Gewohnheit… Man kann zwei oder mehr routinierte Kiffer in einem Zimmer auf die Couch setzen, den Fernseher oder auch nur Musik laufen lassen und so lange sie etwas zu trinken haben, sie sich in einer wohligen Lage befinden, die nicht gestört wird, so werden sie kaum miteinander reden. Vorausgesetzt sie sind gerade wirklich hackebreit, von den klebrigen, aber zumindest Wärme heuchelnden Pranken der Droge umschlossen… Diese Erfahrungen sollten sich nach Ablauf eines längeren Zeitraumes einstellen… Zu der Zeit als ich mit der Arbeit begann, erschien mir das Kiffen noch ein gelegentlicher Zeitvertreib… Ich redete mir ein, es habe keinen großen Stellenwert… Selbst wenn… Wen interessiert es, solange man nicht in Scherereien geriet? Später versuchten wir Wege zu finden, die den Rausch wieder reizvoll machen sollten, indem wir uns einen anrauchten und Blödsinn innerhalb der Außenwelt trieben.
Aber mal ehrlich… Wir zählten gerade etwas über sechzehn Lenze und Discos waren noch nicht von allzu großem Interesse… Vor allem nicht für meine Person. Das wäre so gar nicht mein Ding, sagte ich mir immer wieder, mich für einen ruhigen Trinker, einen Liebhaber geselliger Runden in der Stube, allerhöchstens noch in einer Kneipe haltend und verbrachte daher die Wochenenden lieber damit, Trinkspiele zu spielen und altklug mit den Kumpanen zu schwadronieren… Unter der Woche war das Trinken kein guter Zeitvertreib, wenn man am nächsten Tag aus dem Bett kriechen sollte, um sich hastig aufzupolieren und blitzblank und mit ehrenhaft gespieltem Tatendrang, an der Arbeit zu erscheinen. Also haben wir ein wenig gekifft und fühlten uns am nächsten Tag blendend. Gras war sowieso eine wesentlich mildere Droge als Alkohol. Jeder Mensch brauchte eine Art Ventil, um abends mal runter zu kommen… Dampf abzulassen, der über den Tag Druck aufgebaut hatte… Besonders, wenn man den ganzen Tag mit einem tollwütigen Affen arbeiten musste. Ich malte mir aus wie viele von den Leuten, denen man tagtäglich über den Weg lief, sich abends angenervt vor den Flimmerkasten setzten und ihre drei bis vier Bier vernichteten… Wir trafen uns stattdessen und qualmten Joints… Und tranken unsere drei bis vier Bier.
An manchen Wochenenden suchten meine Freunde gezielt die Discos auf, in die man mit etwas Glück und Erlaubnis der Eltern hereingelassen wurde, nachweislich eines vorgefertigten Formulars, welches man sich aus dem Netz, nämlich auf der Präsenz des erwählten Veranstalters, besorgen konnte… Tatsächlich wurden mit diesem Formular meist ältere Geschwister zur Urkundenfälschung angestiftet… Man musste es schließlich an der Tür vorzeigen und eine gemäß den Eintragungen bevollmächtigte Person, hatte halbwegs nüchtern als Vormund aufzutreten… In der Praxis meist selbige ältere Geschwister, die die elterliche Unterschrift beherrschten… Klang nach einer Menge Spaß und Freiheit, nach Legenden schreibenden Ausschweifungen und phänomenaler Ausgelassenheit in der großen, zügellosen Welt des Nachtlebens… Nein! Außerdem hatte mir jemand mal erzählt, dass es durchaus normal sei, an einem solchen Abend fünfzig Euro loszuwerden… Ich wunderte mich sehr darüber, hielt das Ganze für eine Farce und wies alle Einladungen ab, es selbst einmal zu probieren. Beim Vortrinken jedoch war ich immer dabei.
Teen Creeps
I won't end up like them at all.
This town will take you kissing trees,
before you see the forest bleed.
Teen creeps I've tried to hold it back.
No Age, Teen Creeps
Fremd, groß und neuartig kamen mir die Umbrüche in meinem Leben vor… Die unmittelbare Abspaltung, das automatische Weggehen von den verschiedenen Freundeskreisen, nachdem ich die staatlichen Konformierungsanstalten hinter mir gelassen hatte und den Kontakt zu den Schulkameraden langsam verlor. Stattdessen musste ich mich nun mit den Spinnern an der Arbeit herumschlagen… In meinem naiven Argwohn betrachtete ich die Umstände als den Beginn einer fortwährenden Desillusionierung, die mit dem häufig in Gesprächen Älterer und Gleichaltriger, in Filmen, Büchern und sonstwo aufgeschnapptem Begriff »Erwachsenwerden« verbunden zu sein schien… Ich maß diesen Wandlungen erhebliche Bedeutung bei.
Es bleiben eine Gruppe länger bekannter Freunde übrig, die zu meiner Schulzeit und auch noch eine Weile danach feste Faktoren im pittoresken Vorstadtleben darstellten, und auch im örtlichen Vereinsleben hatten sie sich bereits seit der Grundschulzeit etabliert… Alles schien stur und einspurig in vorgelegten Gleisen zu fahren… Die Mehrheit unter ihnen spielte Handball bei der TSG. Diese sogenannte »Turn- und Sportgemeinschaft« wäre weniger euphemistisch betitelt gewesen mit einer Veräußerung des wahren Endzwecks der dortigen Zusammenkünfte, der sich meist erst nach den Hampeleien auf dem Spielfeld herausstellte… »Trink- und Saufgemeinschaft«… Schon von der Grundschule an, war mir die allübliche Vereinsmeierei zuwider… Die Leute dort in der Turnhalle waren alt und hässlich… Die konnten einen regelrecht in Schreckstarre versetzen. Sie verhielten sich nicht wie Erwachsene, tanzten, sprangen plötzlich auf und krakeelten herum und sie schrien die Kinder und Jugendlichen an, die, dieses Verhalten unterstützend, verbissen und schwitzend einem saublöden, schmutzigen und abgewetzten Ball hinterher hechelten… Ich wollte da nicht mitmachen… Gott sei Dank, versuchten meine Alten nicht mich dafür zu begeistern… Mussten wohl selber Muffensausen davon bekommen haben.
Später erkannte ich schließlich, dass einige meiner Freunde durch ihre Zugehörigkeit zu den verschiedenen Verbänden vor allem Kontakte zu knüpfen suchten und, was noch sehr viel besser war, Mädchen kennenlernen konnten… Bald verkehrten in reger Abwechslung die unterschiedlichsten Gören mit uns… Für mich immer wieder neue schöne Gesichter, die allen anderen bereits vertraut und verbunden waren. Zum ersten Mal verfluchte ich sie… Mitsamt ihrem Nutze der Angepasstheit.
Meistens hingen wir rum, bei mir im Kellerzimmer, in Saschas Kellerzimmer, in der Kellerbar des Großvaters eines anderen Freundes… Überhaupt mit frappierender Häufigkeit in Kellerräumen… Oder auf der Straße, gelegentlich verbunden mit Ausflügen in die umliegenden Dörfer, um die Mädels dort zu besuchen, die oft im Dachgeschoss ihre Herberge hatten. Wir tranken unterhielten uns, rauchten Shi-Sha… Die gruben die Mädchen an und flirteten mit ihnen… Wo hatten sie das gelernt? Was das Flirten anging, war ich total auf dem Holzweg… Mein Bild von den Mädchen beschränkte sich darauf, sie in zwei Kategorien einzuteilen… Engel oder Nutten… Meistens fingen sie als Nutten an, wandelten sich aber bei näherer Betrachtung und hoffnungslos romantischer Verklärung meinerseits bald zu Engeln… Wachsende, strahlende Begehrlichkeiten… Ich war stets höflich, nett und hörte brav zu, wenn sie von ihren kleinen Sorgen und ihrem pubertärem Mädchenzeug redeten… Angetrieben von der Hoffnung, ihnen auf diese Weise näher zu kommen und verschränkt auf den Glauben, sie würden sich bald für mich interessieren… Immer verrückter wurde ich nach ihnen, sah nichts mehr außer den Engel in ihnen. Eingeleitet von einem ungeschickt dahergestammelten Annäherungsversuch, indem ich sie in einer halbwegs von der Gruppe isolierten Situation zur Rede stellte, beendete ich die Sache für mich… Dann fielen sie wieder in den Rang der Nutte zurück… Ich begann zu beobachten, wie die anderen Jungs sich die größten Dreistigkeiten bei den Mädels erlaubten und wie sie dafür von ihnen belohnt wurden. Mit Zuwendung und neckischen Zärtlichkeiten… Ich kam aber nicht dahinter… Blieb nur ein Zuschauer bei dem Spiel, dessen Regeln ich nicht begriff.
…
Die Höhle war voll und ihr antiquierter Charme eingehüllt in Zigarettenqualm und dem Geruch von Bier und Schnaps und dem Hall unserer schwerer werdenden Zungen… Dem angetörnten, jugendlichen Gesprächsstoff… Ein kleiner Raum, in den man durch den provisorisch wirkenden Wintergarten des Hauses gelangen konnte, voll ausgerüstet mit einer Sitzbank in der einen Hälfte des Raums, zwei Tischen und ein paar Stühlen, gefliestem Boden, einer betagten Musikanlage, einem alten Fernseher und einer Bar in einer Nische neben der Tür, mit Kühlschrank,