hatte er schon ein geschlagenes Jahr damit verbracht sich einzuleben, funktionierte aber noch immer nicht so, wie man es von ihm erwartete. Sein Spitzname kam von den Kollegen. Sie erzählten mir die Anekdote, wie er diesen bekam, während einer Mittagspause… Man erteile ihm die Aufgabe, die Schubladen der Werkzeugschränke mit Angaben über ihren Inhalt zu beschriften. Eine der Schubladen enthielt Schleifpapier und er beschriftete sie mit dem Wort Schmörgelpapier… Als die Kollegen sein Werk entdeckten, hatten sie augenblicklich nicht nur was zu lachen, sondern gleich eine willkommene Vorlage, ihn aufzuziehen… Wenn er etwas verbockte oder eine dumme Frage stellte… »Du bist aber auch ein trotteliger Schmörgel! Menschenskinders!…« Oder sie beobachteten ihn bei seinem Murks… »Na Schmörgel, bereitest du die nächste Katastrophe vor?…« Bei einer Bremsenreparatur drückten sie ihm einen der Beläge in die Hand, zeigten darauf und erklärten ihm die Ähnlichkeit, die zwischen der Funktion des Bremsbelages und seiner Rolle im Betrieb bestand… Ich durfte mir noch die eine oder andere Anekdote über ihn anhören… Doch erst als ich wirklich mit ihm zusammenarbeitete, wurde es unwiderlegbar, dass er hier wirklich am falschen Ort war.
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Die Werkstatt war in einem geduckten, an das Wohnhaus des Mackers und seines Mannsweibes geklebten Anbau untergebracht… Das Haus selbst, eine alte, schiefe Fachwerbude, im Zuge weiß-nicht-wie-vieler Renovierungen verputzt, verbaut, verklinkert und derart verschandelt, dass es von außen nichts mehr von seiner Grundsubstanz erkennen ließ. Von der Werkstatt aus gelangte man in den Keller des Hauses, der nun Lagerräume für den Werkstattbedarf und allerlei Unrat, eine Waschküche und einen Umkleideraum beherbergte. Im ersten Stock befanden sich Büro und Wohnhaus, ein Stockwerk darüber hatte das Schrauberehepaar noch eine Wohnung, die vermietet wurde. Darüber lag dann noch ein verwahrloster und verdreckter Dachstuhl, wo wahllos unbrauchbare alte Sachen und Baumaterial gelagert wurden und Staub ansetzten, wohin sich also die muffige Vergangenheit des Hauses zum Sterben geflüchtet hatte… Aber nie ganz damit fertig geworden war… Alles in allem der blanke Irrsinn auf vier Ebenen, mit Anbau.
Insbesondere die Lagerräume, die sich im Keller befanden, waren nicht viel mehr als verdreckte Löcher. Alles war krumm, schief, uralt und verstaubte Spinnenweben hingen wie faules Segeltuch in den Ecken… Die Decken waren so niedrig, dass man als Mensch von normaler Statur ständig gebückt umherirren musste. Schon die architektonischen Gegebenheiten machten einem unterbewusst klar, dass man zu kriechen und sich den gegebenen Strukturen zu fügen hatte… Ebenso die Toilette, welche sich unter der zweiläufigen Treppe mit Zwischenpodest vor dem Wohnhaus befand. In der so eingeschachteten Bedürfniskammer waren die Bodenfliesen zersprungen und in den Rillen sammelte sich der Schmutz. Man stieß schon bei normaler Statur im Stehen mit dem Kopf an die Decke und konnte nie in Ruhe scheißen, denn ständig hörte man Schritte über sich, wenn jemand die Treppe rauf oder runter lief. Man sah körperhafte Schemen vor der Milchglasscheibe in der Tür vorbeihuschen und hörte derart oft Autotüren zuschlagen, dass man sich den Kopf des Schlagenden zwischen Tür und Einstieg wünschte… Irgendjemand keifte herum, der Lehrling rupfte Unkraut aus den Fugen des Pflasters oder schabte mit einem Messer darin… Irgendetwas war immer… In jeder Ecke der sogenannten Lagerräume flogen undefinierbare Gerätschaften, altes verklumptes Werkzeug und anderer Unrat herum, der mich allein schon durch seinen Anblick dazu brachte, mir auszumalen, wie man am besten all den Müll abfackeln könne. Mein Chef war aber beherrscht von krankhaften Trennungsängsten… Außer es ging um seine Mitarbeiter… Wie ein Hamster oder ein dickliches, gedrungenes Mauswiesel hortete er Dinge, deren Wert und Verwendung er selbst allerdings kaum bestimmen konnte… Vielleicht würde man sie ja nochmal brauchen, hieß es stets… Bei einer zukünftigen Gelegenheit. Sicher… Und solange verschwanden sie eben in den dunklen und verstopften Eingeweiden des Hauses… Trotzdem wurde benötigtes Material regelmäßig neu herangeschafft, da selten jemand den Überblick darüber behielt, was noch irgendwo in dem mit irrsinniger Effizienz errichteten Chaos lagerte.
Die Mietwohnung sollte, in den meiner Anstellung folgenden Wochen und Monaten, eine Großbaustelle werden, die die ganze Firma beanspruchte und für viel Stress sowie einen nicht endenden Schwall an Drecksarbeit sorgen würde. Man hatte sie nach langem wieder betreten und fand sie von der ehemaligen Mieterin in unfassbar verwahrlostem Zustand zurückgelassen. Ich selbst war nicht dabei gewesen, die Kollegen erzählten mir zur Veranschaulichung jedoch von dem, was sie vorgefunden hatten… Christoph habe sich beim Blick in die Küche und den Kühlschrank beinah übergeben müssen und sei sofort getürmt… Die gesamte Einrichtung, die Heizkörper und weitere Teile der Wohnung seien von der Mieterin in den verrücktesten Grüntönen gestrichen worden und eine Schaukel habe an den Holzbalken in einem der Zimmer gehangen… Es waren überall Nägel in die Balken des Fachwerkgerüstes geschlagen, die Tapeten waren völlig vergilbt und schälten sich bereits von den Wänden… Dahinter hockte fusseliger Schimmel… Auch das Badezimmer war von Schimmel und Dreck verwüstet, überall lag Müll herum und der Schmutz steckte sowieso in allen Poren der desolaten Wohnung… Meine Freude hielt sich in Grenzen, als sie mir sagten, das Wiesel habe vor, sobald etwas Zeit übrigbleibe, mit vereinten Kräften die Renovierung voranzutreiben.
Dazu kam es zum Leidwesen aller Bediensteten tatsächlich… Einzig das Wiesel lebte regelrecht auf, nun da es seine Mitarbeiter zu jeder Zeit, in der es möglich war und auch wenn es, bedingt durch die Auslastung der Werkstatt, eigentlich nicht möglich war, beschäftigen konnte… Das ging zu wie auf der Großbaustelle. Unter dem Dach hämmerte es noch ärger als aus der Werkstatt und, sobald sich dort für bloß eine Minute lang keine Schraube mehr drehte, sollte man in Windeseile in der Wohnung aushelfen oder wurde unter sonst einem Vorwand in die Renovierungsarbeiten hineingezogen.
Überhaupt war dieser Mann… Nein, dieses Wiesel… Von einer krankhaften Arbeitswut besessen, die es nie zur Ruhe kommen ließ. Ständig fing es neue Baustellen an und nie konnte ihm eine Arbeit schnell genug verrichtet werden. Aus Zeitmangel wurden Projekte eingestellt, nur damit wenig später, bei gleichzeitiger oder versetzter Wiederaufnahme der eingestellten Vorhaben, wieder neue begonnen werden konnten… Ich fing ernsthaft damit an, ein System dahinter zu suchen, es aufdecken und erkennen zu wollen, bis zu einem gewissen Grad, ab dem man ins Unerklärliche stieß, zumindest… Sollte es unserer Arbeit auf mir unersichtliche Weise zuträglich sein, dass man wegen zahlreichen, überstürzt begonnenen und nur halb zu ende gebrachten Projekten bald völlig den Überblick verlor?… Oder war der Kerl einfach nur ein Sadist?… Masochist?… Psychopath?… Ständig wurde während der Renovierung Werkzeug aus den Schränken in der Werkstatt geplündert und bald flog es überall in der Wohnung herum. Dauernd mussten die Kollegen hinauf in den zweiten Stock rennen, um sich das Zeug wiederzubeschaffen… Oder sie schickten mich… Eine Strategie, die sie jedoch aufgeben mussten, denn sobald ich mich vor den Augen des Wiesels blicken ließ, brüllte es mir schon Anweisungen entgegen und ließ mich nicht mehr gehen… Bald wusste keiner mehr, welches Werkzeug wo zu finden war. Das Wiesel pflegte darauf zu reagieren wie ein großes, zorniges und dummes Kind, wenn man ihm das angeforderte, aber unauffindbare Utensil nicht schnell genug brachte… Oder, wenn man aus eigenen Belangen um eines der Spielzeuge bat, das es selbst gerade in den Krallen hatte… Meine schlimmste Befürchtung war es, wieder davonschleichend, selbst in den Wahnsinn getrieben zu werden.
Die vorgebliche Vergesslichkeit, welche aus der Selbstsucht resultierte, mit der das Wiesel uns für seine wertlosen Vorhaben einspannte, war brillant… Ohne je auch nur ein Wort des Dankes zu verlieren, hielt es uns im Trab. Ständig machten wir unbezahlte Überstunden und wurden dafür belohnt mit Wutausbrüchen und noch mehr Überstunden am Folgetag. Denke ich jetzt daran zurück, fällt mir ein, dass ich angesichts dieser Methoden nur selten richtig handelte… Ich sehe mich, zusammen mit ihm auf der Treppe stehend und den Werkzeuganreicher spielend. Es war schon dunkel geworden und das Wiesel installierte neue Türklingeln. Es kroch eine lähmende Wut in mir hoch, während ich, am Leben erhalten von dem dringenden Wunsch nach Hause zu gehen, wie ein Garderobenständer herumstand und mir das Zeug aus den Händen und Taschen reißen ließ… Und seine Arbeiten wollten kein Ende nehmen… Fast sah es so aus, als ob es sich mehr Zeit als gewöhnlich ließ, um mich bei sich zu behalten… Noch dazu hatte das alles nichts mit der Arbeit zu tun, die man erwartet, in einer Werkstatt tun zu müssen. Bis zum Bersten voll mit unterdrücktem Hass, platzte mir endlich nervös heraus, ich müsse nach Hause