Alexander Nadler

Handover


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um eine Ihrem Bruder ziemlich nahestehende Frau. Darauf lassen die langen schwarzen Haare schließen, die vor allem im Badezimmer und Schlafzimmer vorhanden waren. Der Haarstruktur nach handelt es sich wahrscheinlich um eine Asiatin. Allerdings haben wir keine persönlichen Gegenstände dieser Person gefunden, zumindest nichts, was als solches sofort erkennbar wäre, weder Kleidungsstücke, Maniküre oder ähnliches. Was uns zu denken gibt, war Ihr Bruder doch laut Aussage seiner Nachbarn seit etwa zwei Monaten verlobt, und zwar mit einer Thailänderin. Somit dürfte es sich bei den Fingerabdrücken und den Haaren vermutlich um diejenigen seiner Verlobten handeln. Bei solch einer engen Beziehung ist es daher doch einigermaßen merkwürdig, dass wir keinerlei Utensilien der Dame gefunden haben. Einiges deutet darauf hin, dass sie beseitigt wurden. Warum jedoch, dies ist eine der wesentlichen Fragen, mit der wir uns beschäftigen. Sinn macht dies nur, wenn die Person direkt oder zumindest indirekt mit dem Verbrechen in Verbindung steht. Was hat Ihnen denn Ihr Bruder bezüglich seiner Freundschaft beziehungsweise Verlobung mitgeteilt?“

      Die Augen beider Kriminalbeamten sind auf Claude gerichtet, den das Gehörte ebenso irritiert wie seine beiden Gesprächspartner. „Nichts, was mich wundert, denn wenn er sich schon verlobt hat, muss es etwas Ernstes gewesen sein. Philipp hätte niemals eine oberflächliche Affäre zum Anlass einer Verlobung genommen, dazu war er viel zu aufrichtig. Er muss das Mädchen wirklich geliebt haben! Daher erstaunt es mich umso mehr, dass er mich über einen derart wichtigen Schritt in seinem Leben nichts hat wissen lassen, pflegten wir uns doch stets über bedeutsame, einschneidende Geschehnisse in unserem Leben gegenseitig zu informieren. Aber was soll's, er wird seine Gründe gehabt haben.“ So gleichgültig wie es der Ton dieser Äußerung vermuten ließe, ist Claude diese unbeantwortet gebliebene Frage keineswegs, vielmehr war sie einer der zentralen Gedanken, die ihn am Vortag beschäftigt haben. „Haben Sie denn auf dem Verlobungsring keinen Hinweis gefunden, zum Beispiel auf den Namen der Verlobten?“

      „Verlobungsring?“ Krüger stutzt. „Ihr Bruder trug keinen Ring, und sonst wo haben wir auch keinen gefunden. Besaß er denn überhaupt einen?“

      „Angeblich ja. Nach Aussage von Frau Schröder, seiner Nachbarin, Sie wissen schon, hat er ihn ihr sogar gezeigt ... voller Stolz, wie die Dame mir erzählte“, klärt Claude den Hauptkommissar auf.

      „Sie haben also mit Schröders gesprochen?“

      „Ja, am Samstagnachmittag.“

      „Uns gegenüber hat Frau Schröder nichts von einem Ring erwähnt. Auch der Obduktionsbericht vermerkt nichts in dieser Richtung. Was haben Ihnen Schröders sonst noch erzählt?“

      Claude resümiert das samstägliche Gespräch, hin und wieder von kurzen Zwischenfragen der beiden Kriminalbeamten unterbrochen.

      „Noch etwas Herr Duchamp.“ Krüger, der Claudes Ausführungen in zurückgelehnter Haltung zugehört hat, beugt sich nach vorne, beide Arme verschränkt auf dem Schreibtisch platzierend. „Ihr Bruder besaß doch sicherlich ein Adressen- und Rufnummernverzeichnis, oder nicht?“

      „Natürlich, bei der Menge von Klienten und Models, das kann doch niemand im Kopf behalten. Warum?“

      „Wir haben keines gefunden“, wirft Kommissar Mihailovic ein. „Der oder die Täter haben offensichtlich ganze Arbeit geleistet. Echte Profiarbeit! Da wir somit bislang keinerlei Anhaltspunkte haben, mit wem Ihr Bruder hier in Frankfurt, aber auch andernorts verkehrte, möchten wir Sie noch einmal fragen, ob Ihr Bruder Ihnen gegenüber diesbezüglich nichts erwähnt hat. Zumindest, mit wem er in letzter Zeit Kontakt hatte. Denken Sie nach, auch scheinbar Nebensächliches kann eventuell von Bedeutung sein.“

      Lange braucht Claude nicht nachzudenken, dazu hatte er am Tag zuvor Zeit genug. „Tut mir leid, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Seit ich Philipp zuletzt in Mailand gesehen habe, hat er mir in seinen Briefen und Telefonaten nie etwas über seine Freunde und Bekannten oder anderweitige Beziehungen mitgeteilt. Lediglich über seine Aufträge hat er mit gelegentlich etwas erzählt.“

      „Was für Aufträge waren das?“ Der Hauptkommissar greift zu Stift und Papier, notiert hastig Claudes Aussagen, in denen er unter anderem von drei recht ausgeflippten Kollektionsaufträgen berichtet, die Philipp wegen ihrer Spleenigkeit amüsiert hatten.

      „Über irgendetwas anderes als diese Modeaufträge hat er mit Ihnen nicht gesprochen? Über irgendetwas Privates, Persönliches?“ Krügers Stimme klingt ungläubig, in ihr schwingt berufsbedingtes Misstrauen mit.

      „Nein. Umso überraschter war ich ja, als er mich letzte Woche anrief und sagte, er stecke in Schwierigkeiten.“

      „Sprach er davon, ob diese Schwierigkeiten beruflicher oder privater Art waren? Sie erzählten uns, dass Sie und Ihr Bruder in verschiedenen Organisationen tätig sind beziehungsweise waren. Kann es da irgendwo Probleme gegeben haben? Und um was für Organisationen handelt es sich dabei überhaupt im Einzelnen?“ Und noch ehe Claude antworten kann: „Möchten Sie einen Kaffee?“ Auf das: „Warum nicht“ hin schickt Krüger seinen Assistenten zum Kaffeeholen. „Aber bitte, Herr Duchamp“, fordert der Kriminalbeamte Claude zur Beantwortung seiner Fragen auf.

      „Philipp und ich setzen beziehungsweise setzten uns vor allem für bedrohte Völker und Drogensüchtige ein, für den Kampf gegen Drogen überhaupt. Außerdem arbeiten wir an verschiedenen Entwicklungsprojekten für die Dritte Welt mit. Letzteres aber fast ausschließlich finanziell, aus Zeitmangel … leider. Philipp hat sich, da er aufgrund seiner vielen Aufträge kaum Freizeit hatte, insbesondere der Aufklärungsarbeit und dem Kampf gegen die Drogen gewidmet.“ Isabels Antlitz taucht schemenhaft vor seinen Augen auf, gleich einem Menetekel bohrt es sich in sein Gehirn. „Beide sahen wir darin eine der größten Herausforderungen, der die Menschheit derzeit gegenübersteht, denn sollte es uns nicht gelingen, diesen millionenfachen Alptraum zu beenden oder zumindest in den Griff zu bekommen, steht zu befürchten, dass eine Kriminalitätswelle von bislang noch ungekannten Ausmaßen über uns hereinbrechen wird, denn in welcher Branche lassen sich schon solche Gewinne erzielen wie im Drogengeschäft … von den menschlichen Schicksalen ganz zu schweigen. Wir haben viele, meist sehr junge Menschen kennengelernt, die zum Teil auch aus Naivität, als Dealer oft aber des angeblich so leicht zu verdienenden Geldes wegen hineingeschlittert sind. Mit Geld ist schließlich fast jeder zu kaufen, es kommt nur auf die Summe an. Eines aber war ihnen fast allen gemeinsam: Die ideelle Leere, der sie zunächst zumeist mit einem Pfeifchen, später dann mit dem ersten Schuss entkommen wollten. Und noch ehe sie es sich versahen, waren sie in jenem Teufelskreis gefangen, aus dem es nur schwer ein Entrinnen gibt! Danach gefragt, was sie dazu veranlasse, sich in ihre Scheinwelt zu flüchten, antworteten die meisten: Flucht aus einer - ihrer Meinung nach - Gesellschaft ohne lebenswerte Ideale. Was genau sie suchten, war ihnen allerdings auch nicht so ganz klar. Aber da brauche ich Ihnen ja wohl nichts zu erzählen, Herr Kommissar. Wieder wahre Werte, Ideale schaffen, darum ging es meinem Bruder und mir. Ideale statt Idole, denen die breite Masse in unseren … und in zunehmendem Maße auch anderen Breiten verfallen ist. Und eben diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität bedrückte Philipp ab und an ungemein, fühlte er sich doch aufgrund seiner Arbeit mitschuldig am Aufbau einer sinnentleerten Gesellschaft, deren Bewunderung dem einer Wild-West-Stadt gleichenden Kulissenzauber gilt: Viel Fassade, wenig bis nichts dahinter.“ Claude merkt, dass er abgeschweift ist: „Aber Ihre Frage war eigentlich, ob ihm wegen seines sozialen Engagements Schwierigkeiten entstanden sind. Meines Wissens nicht, denn wir haben stets versucht zu überzeugen, durch Worte und Taten, haben nie jemandem etwas aufzuzwingen versucht, das bringt nichts. Wer von einer Sache nicht überzeugt ist, springt bei erstbester Gelegenheit ohnehin wieder ab! Außerdem arbeiteten wir nicht alleine, sondern mit Gleichgesinnten zusammen. Seit ich in Kalifornien bin, habe ich meine Aktivitäten diesbezüglich allerdings sehr vernachlässigt, wie ich zu meiner Schande gestehen muss. Philipp aber war die ganze Zeit über äußerst aktiv.“ Krüger notiert sich die von Claude genannten Adressen jener Organisationen, in denen die beiden Brüder tätig waren.

      Claude nippt derweilen an dem von Mihailovic herbeigeschafften Kaffee, an dem sich dieser fast die Finger verbrannt hat, wie aus dem überhasteten Abstellen der Tassen unschwer