zu lange fest, als dass er sie Hals über Kopf über den Haufen schmeißen konnte oder wollte, so gerne er es in den Augenblicken innigen Nebeneinanders auch getan hätte. Mit seiner Hinhaltetaktik betrog er sich indes letztendlich aber nur selber, wie er sich andererseits rasch eingestehen musste. Doch auch sie bedrängte ihn nicht, genoss die Stunden an seiner Seite, respektvoll den Ausgang seines inneren Kampfes abwartend, was sie für ihn nur noch begehrenswerter machte. In der dritten Woche ihrer Bekanntschaft stellte er sich gegen Ende eines Bummels schließlich vor sie, blickte ihr - kaum eine Handspanne Raum lassend - tief in die von Erwartung und sehnsüchtiger Begierde erfüllten Augen und zog ihren Kopf mit beiden Händen sachte zu sich heran. Als sich ihre Lippen berührten, durchfuhr es beide wie von Stromschlägen getroffen. Fest hielt er ihre Zunge mit seinen Lippen umschlungen, die beiden Zungenspitzen rieben sich leidenschaftlich aneinander.
Er erzählte Philipp von Isabel, unterrichtete ihn von seinem Vorhaben, nach Erledigung einiger Dinge in Deutschland wieder nach Mailand zurückzukehren, woraufhin ihm sein Bruder erfreut anbot, zunächst einmal weiter bei ihm zu wohnen. Einen besseren Assistenten könne er sich ohnehin nicht wünschen, meinte Philipp.
Obwohl er sich beeilte, alles Nötige in Köln zu arrangieren, gingen doch knapp zwei Wochen ins Land, ehe er zurückkehrte. Die Sehnsucht, die er während der Telefonate, die er zwischenzeitlich mit Isabel geführt hatte, gespürt hatte, überflutete ihn, als sie ihn am Flughafen abholte. Der kleine Fiat Panda bis unters Dach mit all seinen Sachen vollgestopft, brachte sie ihn zur Wohnung seines Bruders, dem er sie voll Stolz vorstellte. Dass sie auch Philipp gefiel, stellte er beim anschließenden gemeinsamen Abendessen fest, das sie auf dem Balkon ausklingen ließen, von dem aus man einen phantastischen Blick auf die ins nächtliche Lichtergewand gehüllte Stadt hatte. Während Philipp und er ihr von ihren Reisen und ihrem - wenn auch spezifisch sehr verschiedenen - Beruf erzählten, berichtete Isabel von ihrem Studium und ihrem Traum, eines Tages davon leben zu können.
An diesem Abend bat er sie, ihren Eltern vorgestellt zu werden, ein Wunsch, dem sie am nächsten Tag nachkommen wollte. Es war sehr spät geworden, als sie sich verabschiedet hatte, dennoch war er am nächsten Morgen zeitig auf, sog die frische, tauerfüllte Luft des jungen Tages ein, die einen weiteren sonnigen Frühlingstag in Aussicht stellte. Tagsüber blieb er zu Hause, ihres Anrufs harrend, in dem sie ihm mitteilen wollte, ob ihre Eltern seinem Wunsch entsprächen. Als sie sich schließlich meldete und ihm die Einladung ihrer Eltern für den gleichen Abend durchgab, konnte er es kaum noch erwarten, bis sie ihn abholte, freudig erregt wie ein kleiner Schuljunge, dem eine Auszeichnung überreicht werden soll.
Zum ersten Mal trug Isabel Schmuck: eine Perlenkette und dazu passende Ohrringe mit je einer Perle. Das im Rücken tief ausgeschnittene, knöchellange, türkisfarbene Abendkleid ließ sie begehrenswerter denn je aussehen, wodurch es ihm beinahe unmöglich war, nicht auf die Erfüllung jenes Wunsches zu drängen, der ihn seit ihrer ersten Begegnung innerlich schier zerfraß.
Ihr Vater war Leiter einer der großen hiesigen Banken, so viel wusste er von Isabel, welcher Prunk ihn jedoch empfangen würde, davon hatte er indes nicht die geringste Ahnung oder Vorstellung, und war aus Isabels Andeutungen bezüglich ihrer Familie auch nicht zu entnehmen gewesen. Die alte Renaissancevilla ihrer Eltern lag ein Stück außerhalb der Stadt, eingebettet in uralten Baumbestand, die Zufahrt gesäumt von farbenprächtigen Blumenrabatten und -beeten. Als er, nachdem ein livrierter Diener förmlich den Wagenschlag der Limousine aufgerissen hatte, die weitausladende Freitreppe zum Eingang hochstieg, glaubte er zu träumen, musste aber, als ein weiterer der Hausangestellten das doppelflügelige Eingangsportal öffnete, feststellen, dass all dies ebenso Realität war wie die an seiner Seite gehende junge Frau, die offensichtlich einer Welt entstammte, die er bislang nur aus Klatschkolumnen und Seifenopern kannte. Mit einem Lächeln auf den Lippen trat ihnen Isabels Mutter entgegen, hieß den Gast willkommen und entschuldigte sich dafür, dass ihr Mann sich, obwohl er versprochen hatte pünktlich zu sein, aus geschäftlichen Gründen verspätet habe und daher noch nicht zu Hause sei. Durch reich und erlesen ausgestattete Räumlichkeiten, deren Wert und Glanz ob der Opulenz von ihm gar nicht richtig wahrgenommen, eingestuft werden konnten, führte die Gastgeberin die beiden Verliebten hinaus auf die Terrasse, wo sie ihm, während die Sonne zwischen Pinien, Zypressen, Ahorn und Buchen ihre Tagesbahn allmählich vollendete, die unübersehbar in sein Antlitz geschrieben stehende Verwirrung zu nehmen versuchte. Ihr gepflegtes Englisch harmonierte seinem Empfinden nach überaus gut mit ihrer sonoren Stimme, wobei hinter ihrer Eleganz niemand die einundsechzig Jahre vermutete, zu denen sie sich offen bekannte, was sie ihm auf Anhieb sympathisch machte. Gerade in jenem Augenblick, als der orangerote Feuerball, partiell verdeckt durch das Gehölz der sich rings um die Villa ausbreitenden Parkanlage, auf der Horizontlinie stand, stieß der Herr des Hauses zu ihnen, bei seiner Gattin und bei ihm um Entschuldigung für die Verspätung bittend, woraufhin er neben seiner Gemahlin in einem der nicht gerade kleinen, weiß gepolsterten Korbstühle Platz nahm. Und kaum hatte er sich gesetzt, brachte ihm ein weiterer dienender Hausgeist im Livree einen Drink, mit dem er auf den Gast anstieß, auch wenn dieser, da er keinen Alkohol trank, nur mit einem frisch gepressten Orangensaft dagegenhielt.
Ob er den Erwartungen von Isabels Eltern entsprach oder nicht, konnte er beim besten Willen nicht feststellen, das Gespräch bei Tisch jedenfalls war geprägt vom vorsichtig und taktisch geschickten Abklopfen seiner Person. Das des Öfteren sich zeigende sanftmütige Lächeln der Mutter erschien ihm echt, ließ Herzenswärme und mütterliche Sanftmut durchschimmern, und auch in des Hausherrn Fragen glaubte er keine Beleidigung heraushören zu müssen, lediglich die zum Teil besorgte Neugier eines liebenden, fürsorglichen Vaters. Das künstlerische Talent ihrer Tochter erfüllte beide mit Stolz, wie er nicht nur im Gespräch selbst feststellen konnte, sondern auch an der Art und Weise, mit der sie ihm im Anschluss an das Abendessen die im ganzen Haus hängenden Arbeiten Isabels zeigten. Während ihm der Hausherr diese, aber auch die vorhandenen, nicht gerade wenigen Bilder alter Meister interpretierte, folgten ihnen Isabel und ihre Mutter, die ihren linken Arm fest um die Schultern ihrer Tochter geschlungen hielt, sie mit der ganzen Liebe einer Mutter an sich drückend, wenn der Vater Malstil und -technik Isabels mit demjenigen verstorbener Künstlergrößen verglich, diesbezügliche Parallelen aufzeigte oder Unterschiede herausarbeitete. Erstaunt über dessen Sachverstand, konnte Claude nicht umhin, dies auch kundzutun. Bevor er in die Hochfinanz eingestiegen war und das Bankhaus seines Vaters übernommen hatte, so ließ ihn Isabels Vater daraufhin wissen, hatte er Kunstgeschichte studiert und darin sogar promoviert, mit dem Thema: Das Porträt bei Picasso. Einen promovierten Kunsthistoriker hatte er nun ganz gewiss nicht hinter diesem - allem Anschein nach - erfolgreichen Finanzmann vermutet.
Gegen Mitternacht verabschiedete er sich, nicht ohne Isabel ein leises: „Ich liebe dich!“ ins Ohr zu flüstern. Während er vom Chauffeur nach Hause gebracht wurde, versuchte er den Abend zu bewerten, in Hinsicht auf sich selbst und seine Chancen, die er, so sein abschließendes Resultat, gar nicht so schlecht einstufte. Was ihn ein wenig nachdenklich stimmte, worauf er keine Antwort fand, waren jene melancholisch traurigen Blicke der Eltern in Richtung Isabel, die er ab und an erhascht hatte, wenn er sich unvermutet einem der Elternteile zugewandt hatte; besonders bei Isabels Mutter waren sie ihm hin und wieder aufgefallen. Sie passten nicht so recht in das restliche Bild, das erfüllt zu sein schien von Harmonie und gegenseitigem Verständnis. Vielleicht rede er sich dies auch nur ein, zog er letztlich einen gedanklichen Schlussstrich und nahm sich vor, diesbezüglich bei Isabel nachzuhaken. Hätte er in diesem Augenblick auch nur die leiseste Ahnung davon gehabt, was ihn erwartete, wäre er nicht mit jener Beschwingtheit zu Bett gegangen, wie er dies infolge dieses überaus interessanten und allem Anschein nach positiv verlaufenen Abends tat.
Als er Isabel zwei Tage darauf in der Wohnung seines Bruders wiedersah, kam sie ihm verändert vor, spürte er hinter ihrer Zuneigung ein gewisses Streben nach Distanz, das zu verbergen sie sich zwar bemühte, was ihr aber nicht hundertprozentig gelang. Dass etwas nicht stimmte, wurde ihm spätestens klar, als er sie in einem Moment, in dem sie sich unbeobachtet wähnte, leise in sich hinein weinend auf dem Sofa antraf. Mitleidvoll schloss er sie in die Arme, doch wich sie seinen Fragen aus, entrang sich seiner Umarmung und ließ ihn völlig verwirrt und ratlos zurück. Die irrsinnigsten Vermutungen rasten ihm daraufhin durch den Kopf, die abstrusesten Spekulationen stellte er an, was denn passiert, die Ursache für ihr rätselhaftes Verhalten sein könne. Auf seinen tags