Nick Hermanns

In der Hitze Havannas


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schaltete den Fernseher an und zappte ratlos durch die Unzahl von Programmen. Das TV-Programm hier war wirklich nicht zu ertragen. Aber immer wenn mich Sehnsucht nach dem deutschen Fernsehen überkam, dachte ich schnell an Mario Barth, Carmen Nebel oder Cindy aus Marzahn, dann ließ das sofort nach.

      Ich drückte auf OFF und angelte nach dem Handy.

      „Hi Tyler.“

      „Bob, alles OK?“

      „Klar. Ich will Euch auch gar nicht stören. Ich hab nur gestern vergessen, Euch um einen Gefallen zu bitten. Ich habe nämlich einen dreihundert Pfund schweren Stahlschrank im Auto. Den kriege ich alleine nicht raus. Und außerdem wollten wir doch noch die Fotos anschauen.“

      „Wie wär’s mit morgen Abend?“

      „Prima. Mag wird auch da sein. Dann werfe ich was auf den Grill.“

      „Mag?“

      „Ja, sie wollte was mit mir besprechen.“

      „Sicher, dass Ihr nicht alleine sein wollt?“

      „Quark. Aber ich rufe sie nachher kurz an und gebe ihr Bescheid.“

      „OK. Wenn wir nichts mehr von Dir hören, sind wir pünktlich um sieben da.“

      „Ich würde morgen gerne noch nicht ins Büro kommen. Ich habe einen Zahnarzttermin. Wie nicht anders zu erwarten, wackeln die beiden Zähne immer noch.“

      „Kein Problem. Bis morgen, Bob.“

      „Bis morgen. Grüße an Tim.“

      Ich legte auf und rief Mag an, um ihr Bescheid zu geben. Sie sagte, sie freue sich, Tim und Tyler dabei zu haben.

      Ich war gerade so schön im Schwung, dass ich Hannahs Nummer wählte. Der Rufton brauchte ein Weilchen, um zehntausend Kilometer entfernt in München anzukommen.

      „Decker”, meldete sie sich.

      Ich schluckte, als ich unseren gemeinsamen Namen hörte.

      „Hallo?“

      „Hannah, ich bin es. Ich wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist. Und ... Ach quatsch: ich wollte eigentlich nur Deine Stimme hören.“

      „Das ist nett, Deck. Aber im Moment passt das gerade nicht so gut.“

      „Soll ich später noch mal anrufen?“

      „Nein. Eher morgen, OK? Oder übermorgen.“

      Klick.

      Ich starrte das Telefon an. Die Distanz, die ich spürte hatte nichts mit den zehntausend Kilometern zu tun.

      Ich schenkte mir nach und nahm einen Schluck. Am liebsten hätte ich heute noch einen Flug nach München gebucht.

      ***

      O’Maras Handy klingelte zweimal. Seine Frau schaute auf. Er ging in die Küche und drückte die Kurzwahl für Marc Roberts. Der meldete sich augenblicklich.

      „Ich hoffe, Sie haben gute Neuigkeiten für mich, Jackyboy.“

      „Es ist gerade mal ein halber Tag vergangen. Was erwarten Sie denn?“ O’Mara sprach leise. Seine Frau musste ja nichts davon mitbekommen.

      „Ich erwarte, dass Sie Ihren Job machen, O’Mara.“

      „Sie setzen mich unter Druck.“

      „Allerdings.“

      „Ich brauche noch Zeit.“

      „Haben Sie. Heute ist Mittwoch. Sagen wir bis... übermorgen?“

      „Ich versuch’s.“

      „Sie sollen keine Doktorarbeit schreiben. Ich will einfach wissen, wer der Kerl ist, ob er Dreck am Stecken hat, ob er seine Strafzettel bezahlt, wann er zuhause ist und wann nicht. Und nett wäre es zu wissen, ob er überhaupt legal im Land ist. Das sollten selbst sie rauskriegen können.“

      Roberts legte grußlos auf.

      Es half nichts. Er würde diesen Kraut beschatten müssen. Aus der Sanchez war ja nichts rauszuholen. Wahrscheinlich fickte sie den alten Sack auch noch.

      „Kommst Du Jack? Jeopardy fängt gleich an. Und bring mir doch noch eine Tüte Popcorn mit.“

      O’Mara schlug mit der Faust gegen die Kühlschranktür. Was für ein Scheißleben. Dann nahm er eine Tüte Popcorn und eine Tüte Chips aus dem Hängeschrank und ging zurück ins Wohnzimmer.

      Jeopardy hatte gerade angefangen.

      ***

      Es war inzwischen halb drei Uhr morgens. Ich hatte mir noch einen generösen Schluck Malt eingeschenkt und gegen meine Gewohnheit eine fünfte Zigarre geraucht – aber von diesen Exzessen abgesehen auch ein bisschen was Nützliches getan.

      Ich hatte die Negative der letzten drei Monate noch einmal durchgesehen und alle Fehlbelichtungen und Doubletten durchgestrichen. Die verbleibenden Bilder hatte ich endlich digitalisiert. Davor hatte ich mich seit Monaten gedrückt. Die Arbeit mit dem Negativscanner gehörte nicht zu meinen Lieblingsjobs, war aber leider notwendig. Ich beschloss, mich in der kommenden Zeit Zug um Zug durch meine Negativordner zu wühlen, von den neueren Aufnahmen zurück zu den älteren.

      Erstens brauchte ich die Scans ohnehin zur Archivierung und als Backup, zweitens dienten sie als Entscheidungshilfe, welche Fotos würdig waren, in der Dunkelkammer ausgearbeitet zu werden und drittens dachte ich, angesichts der regen Nachfrage aus Mafiakreisen nach meinen Bildern wäre es praktisch, diese auch per Mail versenden zu können. Ich kopierte alle Scans zusätzlich auf einen Speicherstick, den ich bei Tim und Tyler deponieren würde – falls ich demnächst so alt oder so betrunken – oder so alt und so betrunken – sein würde, dass ich mit einer Zigarre im Mund auf dem Bett einschlafen und das Haus abfackeln würde.

      Ich schob den letzten Negativstreifen zurück in seine Pergamintasche, drehte dem Scanner den Saft ab und fuhr den Mac runter.

      Um zehn nach drei kroch ich in die Federn. Das kurze Gespräch mit Hannah beschäftigte mich noch ein paar Minuten, dann aber siegte gottseidank die Müdigkeit.

      Kapitel 4

      Ich erwachte wieder einmal mit einem dicken Kopf. Wenn man mich gefragt hätte, ob ich ein Alkoholproblem hätte, wäre meine Antwort ganz klar ein Nein gewesen. Wenn ich mich selbst das gleiche fragte, war die Antwort nicht ganz so eindeutig. Ich sagt mir zwar, dass ich jederzeit mit dem Alkohol aufhören könnte – aber ich wollte ja gar nicht. Wie heißt es so schön: Kein Alkohol ist auch keine Lösung. Womit ich das Problem wieder mal verniedlicht hätte.

      Als zweites fiel mir Hannah ein. Was den Tagesbeginn nicht wesentlich fröhlicher machte. Aber ich war zu stolz und vermutlich auch zu feige, um sie gleich noch mal anzurufen und zu fragen, was zum Teufel eigentlich los sei.

      Der dritte Gedanke galt den zwei toten Schlägern. Nicht, dass ich vor Mitleid zerfloss, aber ob sie nun verdient hatten zu sterben wusste ich auch nicht so recht. Vermutlich schon. Aber ich war froh, für ihren Tod nicht verantwortlich zu sein. Allenfalls dafür, dass sie den letzten Tag ihres Lebens Schmerzen hatten.

      Womit ich bei Thema Nummer vier war: ich hatte um zehn einen Termin beim Zahnarzt. Bäh.

      George drückte seine feuchte Nase an mein nacktes Bein. Ich versprach ihm, mich zu sputen und dann mit ihm einen kurzen Strandspaziergang zu machen. Er war einverstanden und verzog sich nach unten in die Küche, wo er vermutlich auf einen kleinen Imbiss spekulierte. Pustekuchen. Er und ich würden erst nach dem Spaziergang frühstücken.

      Eine Stunde später war ich geduscht, der Hund entwässert und gefüttert, das Frühstück verzehrt und die erste Zigarre des Tages entzündet. Ich informierte George über meine Vormittagsplanung und er schien sich mit der Tatsache abzufinden, dass er das Haus hüten würde während ich auf dem Zahnarztstuhl litt. Er hatte eindeutig den besseren Part erwischt.

      Mein