Nick Hermanns

In der Hitze Havannas


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      „Bist Du nicht mit diesem alten Deutschen befreundet, der seit einiger Zeit bei dem schwulen Surfer und dem Nigger mitmischt?“

      „Zwei Dinge, O’Mara. Erstens hast Du genau zehn Sekunden Zeit, um Deine müffelnde Polyesterhose samt Inhalt von meinem Schreibtisch zu nehmen. Sonst breche ich Dir den rechten Arm. Und zweitens, was Deine Frage betrifft: das geht Dich einen Scheißdreck an.“

      O’Mara erhob sich betont langsam.

      „Dein Ton gefällt mir nicht, Sanchez. Sieh Dich besser vor. Und das gilt auch für Deine Freunde. Hat dieser Kraut überhaupt eine Arbeitsgenehmigung?“

      Mag ignorierte ihn und las weiter in der Akte. Aber sie würde Bob warnen müssen. Wenn sich O’Mara in etwas verbiss, war er wie ein Terrier. Und Bobs Leben in den USA war vermutlich wirklich nicht so ganz legal. Soweit Mag wusste, war er mit einem Touristenvisum im Land. Oder ganz ohne Visum...? Sie würde definitiv bald mit ihm reden müssen.

      ***

      Ich fuhr nach dem Essen wieder nach Hause. Die Ereignisse der letzten zwei Tage saßen mir in den Knochen, ich war hundemüde. Ein Stündchen Schlaf auf dem Sofa erschien mir unglaublich verlockend.

      Ich parkte, ließ George aus dem Wagen und ging zur Haustür. Er winselte und schaute mich vorwurfsvoll an. Er hatte ja Recht.

      „OK, mein Alter. Gehen wir noch ein paar Minuten an den Strand. Ich hole schnell eine Tüte.“ George lief fröhlich zum Gartentor.

      Wir machten es kurz. Zehn Minuten später waren wir wieder beim Haus. George rollte sich zufrieden im Schatten auf der Terrasse zusammen und fing an zu schnarchen. Ich tat es ihm gleich, rollte mich allerdings nicht auf der Terrasse zusammen sondern ließ mich im Haus auf mein Ledersofa fallen. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es halb vier war. Nach wenigen Minuten pennte ich traumlos und tief.

      Gefühlte zwei Minuten später erwachte ich vom Klingeln meines Handys. Da war es halbsechs. Ich hatte wohl wirklich Schlaf nötig.

      „Ja“, murmelte ich schlaftrunken.

      „Mag hier. Alles OK, Du klingst so komisch?“

      „Ich hab nur ein paar Minuten geschlafen.“

      „Oh, sorry.“

      „Nicht schlimm, ich wollte sowieso aufstehen.“

      „Wir müssten mal reden. Nicht am Telefon. Wann hast Du Zeit?“

      „Morgen Abend? Ich könnte uns was kochen.“

      „Das klingt gut. Wann?“

      „Gegen halbsieben, nach Deiner Schicht?“

      „Perfekt. Bis morgen, Bob.“

      „Bis morgen, Mag. Ich freu mich.“

      Ich schlief übergangslos wieder ein.

      Der nächste Anruf weckte mich eine Stunde später. Tim wollte nur wissen, ob alles in Ordnung sei. Und sich noch mal für das Essen bedanken. Diesmal blieb ich wach.

      Ich dachte daran, Hannah anzurufen. Wusste aber nicht, was ich mit ihr reden sollte. Also ließ ich es bleiben und schenkte mir stattdessen einen doppelten Whisky ein. Auch so was, weswegen es mit Hannah immer wieder Streit gab. Ich trank zu viel. Fand sie. Dass ich trank, weil es mir einfach nur schmeckte, war in ihrem Weltbild nicht vorgesehen. OK, dafür war sie Psychotherapeutin.

      Ich suchte mir eine von den Valdez-Zigarren aus dem Humidor und ging damit auf die Terrasse. George öffnete ein Auge und seufzte. Ich ließ mich in den Adirondeck fallen und zündete die Zigarre an. Sie war sehr fein.

      Raoul Valdez war ein Freund geworden. Ich hatte ihn letztes Jahr kennengelernt. Da war er dreiundsiebzig und stand er noch jeden Tag zehn Stunden hinter der Theke seines Zigarrenladens. Er beschäftigte einen begnadeten Zigarrendreher, der aus irgendwelchen ominösen Quellen Tabak aus Kuba bekam. Raoul war seit fünfundvierzig Jahren in den USA. Ich war in meinem Leben zwei Mal in Havanna gewesen. So hatten wir ein Gesprächsthema gehabt. Im Lauf der Zeit hatten wir uns dann angefreundet. Vor rund einem halben Jahr hatte er den Laden an seinen Sohn Tony übergeben. Der war ein netter Kerl und ich kaufte ein, zwei Mal im Monat bei ihm meine Zigarren. Ungefähr genau so oft traf ich mich mit Raoul. Es wurde wieder mal Zeit. Ich nahm mir vor, ihn in den nächsten Tagen anzurufen.

      ***

      Tyler und Tim hatten heute ein bisschen früher Schluss gemacht als sonst. Es war noch nicht mal halb sechs, als sie mit dem Jaguar über den Santa Monica Boulevard nach Hause fuhren. Es war ein milder Nachmittag, Anfang Juni, nicht zu heiß, eben noch nicht richtig Hochsommer.

      „Wir waren bisher ja nicht wirklich erfolgreich“, meinte Tim.

      Tyler sah zu ihm.

      „Nein. Aber wir sind ja auch gerade mal zwei Tag dran. Du weißt, wie lange sich Vermisstenfälle oft ziehen. Und ehrlich gesagt wäre auch nicht sehr lukrativ, wenn wir den Fall schon gelöst hätten.“

      Tim lachte.

      „Stimmt. Dann lehnen wir uns mal entspannt zurück und warten auf Kommissar Zufall.“

      „Du kennst mich lange genug, um zu wissen, dass ich es so nicht meine. Wir tun ja wirklich, was wir können.“

      „Vielleicht kommt ja von Mag noch ein verwertbarer Hinweis. Sie ist wirklich gut.“

      „Ist sie. Ich schätze, sie wird sich heute Abend melden.“

      „Ist da was zwischen Bob und ihr?”, wollte Tim wissen.

      „Quatsch. Bob ist verheiratet und soweit ich weiß, liebt er seine Frau. Und außerdem ist Mag fast zwanzig Jahre jünger als er. Die beiden mögen sich halt.“

      „Achtzehn. Aber seine Frau ist ganz schön weit weg.“

      „Das wird sich irgendwann ändern müssen. Da hast Du Recht.“

      „Ich hab Hunger.“

      Tyler lachte. „Warum überrascht mich das nicht.“

      „Machen wir einen Abstecher zum Pier und leisten uns ein paar Shrimps? Oder sollen wir kochen?“

      Tyler tätschelte Tims Knie.

      „Wie ich Dich kenne, hast Du drei Stunden nach den Shrimps sowieso wieder Hunger. Wir könnten also beides tun.“

      „Ich könnte ihn erschießen.“

      Tyler sah Tim von der Seite an. Sein gelegentlich ans Tageslicht drängende Bedürfnis, jemanden umzubringen, war ihm ebenso vertraut wie sein manchmal wilde Kapriolen schlagender Hang zum unvermittelten Themenwechsel. Aber im Moment war selbst Tyler überfordert.

      „Wen, bitte, könntest Du erschießen?“

      „Diesen O’Hara.“

      „O’Mara.“

      „Den auch.“

      „Weil...?“

      „Weil er Mag das Leben schwer macht. Weil er ein Rassist ist. Weil er ein Arschloch ist. Weil er bestimmt was gegen Schwule hat. Weil er es verdient hat.“

      „Aber Du kennst ihn doch gar nicht.“

      „Mags Wort genügt mir. Also, was meinst Du? Soll ich?“

      „Hmmmm, lass mich mal in Ruhe nachdenken. Ähhh. Nein!“

      „Ich wusste es“, schmollte Tim.

      Tyler bog, am Ozean angekommen, auf den Parkplatz am Pier.

      Tyler legte seinen Arm um Tims Schultern.

      „Komm, jetzt gibt’s erst mal Shrimps. Und dann überlegen wir, wenn Du sonst noch erschießen könntest.“

      ***

      Nachdem ich den ganzen Nachmittag verpennt hatte, wusste ich jetzt schon, dass ich es gar nicht versuchen brauchte,