Christine Boy

Das Blut des Sichellands


Скачать книгу

ich das. Wandan hat mich probieren lassen. Also?"

      "Das ist ja wohl ein Unterschied!" protestierte der Diener. "Einen Schluck zu probieren oder..."

      "Afnan, ich wiederhole mich ungern. Ich will, dass du mir eine Flasche Sijak bringst. Und wehe, du erzählst es jemandem. Mir fällt übrigens gerade ein, dass du mir noch einen Gefallen schuldest. Ich habe niemandem gesagt, dass du letzte Woche vergessen hast, die hintere Turmpforte abzuschließen. Erinnerst du dich?"

      Afnan schien kurz zu überlegen, ob er eine Zurechtweisung wegen der vergessenen Tür nicht leichter ertragen konnte als die Tatsache, dass Saton erfahren könnte, dass er seiner Tochter den stärksten Branntwein des Sichellandes lieferte. Aber dann gab er sich doch geschlagen.

      "Also gut." flüsterte er ärgerlich. "Aber seid vorsichtig. Ihr seid nicht mehr als einen Becher Met gewöhnt. Die gleiche Menge Sijak könntet ihr vor niemandem mehr verbergen, der euch plötzlich überrascht."

      "Du wirst dafür sorgen, dass uns niemand überrascht, verstanden? Und jetzt beeil dich!"

      Rahor traute seinen Augen kaum.

      „Sijak?“

      „Natürlich. Der Beste überhaupt. Aus dem Mooshain.“

      Auch Osa und Taruq wollten ihren Mund vor Staunen kaum mehr schließen. Sijak war teuer und selbst ihre Eltern gönnten sich nur an den höchsten Festtagen einen Becher voll.

      „Wo hast du den denn her? Doch wohl nicht von deinem Vater?“ Rahor wirkte misstrauisch. „Du bist gerade mal vierzehn...“

      „Ja und?“ Sie zuckte gleichgültig die Achseln. „Hast du etwa noch nie welchen getrunken?“

      „Nun ja... nicht direkt. Ein bisschen. Aber … das ist eine ganze Flasche. Sag schon, Lennys, wo hast du den her?“

      Sie verdrehte die Augen. „Jetzt stell dich nicht so an. Wo soll ich ihn schon herhaben? Aus unseren Kellern natürlich. Und mein Vater braucht das gar nicht zu wissen. Klar?“

      Dass Osa und Taruq lieber sterben würden, als Lennys an irgendjemanden zu verraten, war für die Tochter des Shajs selbstverständlich, doch Rahors Zögern irritierte sie.

      „Bist du nicht vielleicht ein bisschen zu jung dafür?“

      „Das ist ja wohl meine Sache! Wenn du keinen willst – umso besser. Mehr für uns!“

      „Sei doch nicht gleich so empfindlich. Ich meinte ja nur. Mehr als einen halben Becher kriegst du sowieso nicht runter.“ Er grinste.

      „Das werden wir ja sehen!“

      Osa rutschte etwas nervös auf der ausgebreiteten Decke hin und her.

      „Und wenn uns jemand erwischt?“

      „Wer soll uns denn erwischen? Außerdem passt Afnan auf. Also los, holt eure Becher!“

      Doch Osa winkte ab. „Lieber nicht...“

      „Ach, du bist wirklich feige! Taruq?“

      Der Sohn des Kochs nickte zögernd. „Na gut. Aber nur ein Schluck....“

      Lennys reichte ihm die Flasche.

      „Was seid ihr nur für Langweiler....“

      Dann füllte sie selbst zwei Tonkelche bis zum Rand, reichte einen Rahor und nahm selbst den anderen.

      „Na dann... auf unsere eigene kleine Feier! Wir brauchen die Keller der Cas nicht!“

      Rahor nippte an seinem Becher, verzog kurz das Gesicht, lächelte aber dann.

      „Nicht übel.“

      Lennys hingegen begnügte sich nicht mit wenigen Tropfen, sondern nahm gleich mehrere Schlucke. Der Branntwein machte seinem Namen alle Ehre und sie glaubte zuerst, ihre Kehle würde Blasen werfen, doch nach einem kräftigen Husten spürte sie schon die wärmende Wirkung in ihrem Bauch. Der herbe Geschmack der Sakkalabeeren schwebte noch in ihrem Mund.

      „Ja, das kann man wohl sagen.“ bestätigte sie Rahors Urteil und tat, als hätte sie eben nur Wasser getrunken.

      „Bist ihn wohl doch nicht gewöhnt.“ grinste Rahor und spielte damit auf den Hustenanfall an.

      „Unsinn. Ich hatte nur einen trockenen Hals. Diese Hitze heute bringt mich noch um!“ Als wollte sie ihm den entscheidenden Beweis für ihre Worte liefern, setzte sie noch einmal den Becher an ihre Lippen. Diesmal war sie auf das Brennen gefasst und fast schien es ihr, als sei es jetzt weniger unangenehm.

      „He, mach langsam.“ warnte Rahor. „Dein Kelch ist schon halb leer. Ich dachte eigentlich, wir wollten noch ein wenig zusammensitzen und vielleicht einen Übungskampf machen.“

      „Können wir doch.“

      „Nicht, wenn du so weitermachst. Außerdem soll man nicht kämpfen, wenn man Sijak getrunken hat. Die Säbelmeister predigen das jeden Tag.“

      „Ach, wir kämpfen doch gar nicht richtig. Und sie sehen es ja auch nicht.“

      „Hoffentlich....“ bemerkte Osa ängstlich. „Ich möchte keinen Ärger.“

      „Wir kriegen keinen Ärger, solange wir mit Lennys zusammen sind.“ sagte Taruq. „Haben wir doch noch nie. Schon gar nicht, wenn Afnan aufpasst.“ Er leerte seinen Becher, der nur wenige Tropfen enthalten hatte und räkelte sich auf der Decke. „Aber ich könnte mich ehrlich gesagt an solche Abende gewöhnen.“

      „Das glaube ich...“ schnaubte Lennys. „Die Cas machen das ständig. Oder nicht, Rahor?“

      „Naja, ständig ist vielleicht übertrieben. Aber die Cas sind auch älter. Das sind Männer.“

      „Na und? Gib mir ein paar Jahre Training, dann stecke ich die locker in die Tasche!“ Sie erhob erneut den Kelch.

      „Du gibst ganz schön an.“

      „He, beleidige mich nicht, Rahor! Sonst ...“

      „Sonst?“

      „Soll ich dir noch einmal beweisen, dass ich besser bin als du?“

      Rahor stellte seinen Becher zur Seite, der noch bedeutend voller war als der Lennys'.

      „Nur zu. Aber sei vorsichtig! Der Sijak könnte dich beeinträchtigen.“

      „Blödsinn.“

      Beide zogen ihre Waffen. Während Taruq sich in eine bequemere Position wand, um dem Kommenden besser zu folgen, rutschte Osa ein Stück zurück.

      „Passt bloß auf...“

      „Yami solei!“

      „Arhat zen!“

      Dann klirrten die Säbelklingen aufeinander. Doch schon kurz darauf lag Rahors Shajkan im Gras und er sprang instinktiv zurück, bevor ihn ein weiterer Schlag treffen konnte.

      „Nicht schlecht.“ murrte er anerkennend. „Aber das ist ein Übungskampf. Du schlägst zu fest.“

      „Ich schlage zu fest? Ich bin ein Mädchen und jünger als du! Angst, Rahor?“

      „Nein. Aber du musst lernen, dich zu kontrollieren.“

      Sie spuckte abfällig auf den Boden, hob ihren Becher auf und leerte die zweite Hälfte in einem Zug.

      „Belehr mich nicht. Los, nochmal! Yami solei!“

      Diesmal hielt Rahor dagegen, und schaffte es, den Säbel zu behalten. Allerdings entging ihm nicht, dass Lennys nicht mehr ganz so gut zielte wie sonst und nach ein paar Schlägen zog er sich zurück.

      „Das ist gefährlich. Wir sollten das lassen. Es ist schon zu dunkel.“ Der letzte Satz war gelogen, denn als Batí konnte er in der Dunkelheit ebenso gut sehen wie seine Gegnerin, aber er stellte erleichtert fest, dass sie ihm die Ausrede abnahm.

      „Du hättest wieder verloren!“ sagte sie und schob den Säbel wieder