selbst als König eingesetzt, sondern sich im Hintergrund gehalten und dafür gesorgt, dass die anderen Reiche nicht zu mächtig wurden – hätte Ares noch etwas länger gelebt, so wäre Moréngard nun die Hauptstadt des mächtigsten Reiches. Leider war er das Opfer eines Attentats geworden und noch vor Vollendung seines Werkes gestorben. Die Könige hatten alle seine Andeutungen ignoriert und nun war Iridania offiziell die mächtigste Macht im Kontinent.
Jedoch wusste jeder, dass der Kaiser der endlosen Wüste vor dem Letzten Herrscher erzitterte, ebenso wie jeder andere Herrscher der anderen Reiche. Solange der Letzte Herrscher über ihr Reich herrschte, würde es kein anderes Land wagen, sie anzugreifen. Sie wussten alle noch, wer die Menschheit vor dem Untergang gerettet hatte – niemand geringeres als ihr Gott.
Ares' Statue stand riesengroß im Zentrum des Platzes und in dessen Schatten lehnte General Aaron, leise pfeifend und unauffällig in zivil.
Bei Tageslicht wirkte er nicht halb so einschüchternd wie noch gestern Abend, doch vielleicht gehörte dies zu seiner Tarnung. Die Entschlossenheit und die Intelligenz waren aus seinem Gesicht verschwunden, seine Schultern hingen ein wenig herunter und er schlurfte mit einem ausgiebigen Gähnen auf sie zu, als sie den Platz betrat.
„Guten Morgen, meine Dame. Du bist pünktlich, das ist gut. Punkt eins ist erfüllt. Nun begleite mich bitte“, begrüßte er sie ohne Umschweife und hielt ihr einen Arm hin; zögerlich ergriff sie seinen dargebotenen Arm und umgehend machten sie sich auf den Weg. Luciana folgte Aaron einfach und versuchte so unauffällig wie möglich zu wirken.
Das wird mir niemand glauben. Ich laufe Händchen haltend mit einem General des Ordens durch die Altstadt!
„Was machen wir hier?“, zischte sie leise, als ein einzelner Passant sie misstrauisch anstarrte.
„Spazieren“, erwiderte Aaron geradeheraus und winkte fröhlich einem Studenten zu, der in diesem Augenblick müde aus seinem Haus schlurfte.
„Wozu? Ich dachte wir sollen einen Mörder suchen!“, antwortete Luciana und setzte ein gequältes Lächeln für die zunehmende Menge der Passanten auf.
Hätte ich gewusst, dass das eine so peinliche Episode werden würde, wäre ich nicht gekommen!
Aaron antwortete nicht sofort, sondern bog von der Hauptstraße ab in eine Seitengasse und lockerte ein wenig seinen Griff um ihre Hand.
„Wir sind auf dem Weg zu meinem ersten Verdächtigen. Einen Mann, den du sehr gut kennst, wie ich gehört habe und der eine Schwäche für dich hat. Ich will dich dabei haben, um möglichst viele Informationen zu sammeln“, Aaron deutete aus der Seitengasse hinaus auf die Hauptstraße und auf einen kleinen Hügel inmitten der Altstadt; dort thronte die Residenz des Erzbischofs.
„Dorthin gehen wir!“
Lucianas Kinnlade klappte ungläubig nach unten und sie beherrschte sich kurz, nicht prompt kehrt zu machen.
Er verdächtigt den Erzbischof einen seiner Priester ermordet zu haben? Und dann auch noch Godric? Er hat alle Paladine in ihren Rang erhoben und sie zu dem gemacht, was sie heute sind! Und das seit der Gründung des Ordens vor hundertsechzig Jahren! Wieso sollte der Erzbischof so etwas tun?
Dahinter muss mehr stecken!
Sie kannte den Erzbischof gut, vielleicht besser als jeder andere lebende Mensch.
Nachdem Godric sie aus den Trümmern ihres Heims gezogen hatte, hatte er sie dem Erzbischof vorgestellt und wenn er gerade nicht auf sie aufpassen konnte, war sie in der Residenz des Erzbischofs gewesen; seltsamerweise hatte Erzbischof Ethgar mit ihr Zeit verbracht und sich um sie gekümmert, als wäre er nicht der Vertreter Gottes auf Erden, sondern ein einfacher Mann.
„Tut mir Leid, General, aber das glaube ich nicht!“, widersprach sie endlich und Aarons Augenbrauen wanderten überrascht in die Höhe.
„Der Erzbischof und Godric hatten wenige Stunden vor dem Mord einen heftigen Streit, der von mehreren Dienern beobachtet wurde. Außerdem hat Ethgar etwas an sich genommen, das am Tatort gefunden wurde, als wolle er nicht, dass wir es finden“, Aaron zuckte mit den Achseln und führte sie weiter, „das ist die einzige Spur, die wir haben; sonst gibt es keinen Anhaltspunkt. Also beginnen wir hier.“
Den Rest ihres Weges schwiegen sie beide.
Luciana versuchte sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie dabei waren, einen der mächtigsten Männer des Landes des Mordes anzuklagen. Zudem fühlte sie noch eine Verbindung zum Erzbischof, die unweigerlich brechen würde, wenn er sah, auf welcher Seite sie stand.
Es war noch dunkel, als sie endlich die Residenz des Erzbischofs erreichten und plötzlich fiel Luciana ein Detail auf, das ihr bisher entgangen war.
„Wo ist eigentlich Sirian? Sollte er nicht auch da sein?“, fragte sie auf einmal und Aaron schüttelte leicht den Kopf.
„Als wir gestern Nacht bei mir ankamen, sagte meine Frau, sie habe eine Nachricht betreffend Sirians Schwester erhalten. Sie ist seit längerer Zeit krank und er bat mich, nach ihr sehen zu dürfen“, Aaron seufzte und kratzte sich in Gedanken versunken am Kinn, „also habe ich ihm erlaubt, zu ihr zu gehen. Er ist noch gestern Nacht ins Hafenviertel aufgebrochen. Ehrlich gesagt wundert es mich nicht, dass es seiner Schwester noch schlechter geht. Im Hafenviertel machen die schlimmsten Krankheiten die Runde, die meisten davon tödlich. Er hat sich in der Oberstadt mit Kräutern eingedeckt und ist umgehend aufgebrochen.“
Ich verstehe seine Bedenken … das Hafenviertel ist das dreckigste und unhygienischste Viertel der ganzen Stadt und dort haben die Menschen gar nichts. Wenn er seine Schwester dort leben lässt, muss er sich nicht wundern, wenn sie krank wird.
Luciana nickte knapp und atmete tief durch, wünschte Sirians Schwester im Stillen viel Glück und wandte der Residenz ihren Blick zu. Sie war wirklich prachtvoll, selbst in der Dunkelheit des jungen Morgens. Eine breite Marmortreppe führte zu einem Vorgarten hinauf. Dort oben angekommen führte ein Steinweg direkt vor den Eingang der Residenz. Links und rechts der Straße standen lose Säulen, auf deren Spitzen die Abbilder von diversen Helden und verschiedener Fabelwesen aus Stein saßen, ihre leeren Blicke auf die Mitte des Steinwegs gerichtet, dorthin, wo die Passanten und Besucher des Erzbischofs hinliefen. Im gespenstischen Halbdunkel des Morgens wirkten die Statuen wie Wächter, groß und furchteinflößend. Am Ende dieses Steinwegs ragte die Residenz schließlich in die Höhe. Betont lässig schlenderten sie die Marmortreppe hinauf, Stufe um Stufe, bis sie schließlich auf dem breiten Weg waren und diesen entlang liefen. Es war ein seltsames Gefühl zu wissen, dass die Statuen ihnen ihre kalten Blicke in die Rücken bohrten, als könnten sie zum Leben erwachen und sie angreifen, wenn sie etwas Falsches taten. Und tatsächlich munkelte das Volk, dass diese Statuen den Erzbischof beschützen konnten, wenn ihn jemand bedrängen sollte.
Die große Fassade der Residenz, die wie ein Wall vor ihnen aufragte, ließ sie geradezu winzig wirken, degradierte sie zu Insekten.
„Und hier wohnt er. Kein Wunder, dass er sich mit den Adeligen so um die Altstadt streitet“, knurrte Aaron und schnaubte. Luciana erwiderte nichts. Es schien ihr unangebracht und außerdem fiel ihr keine passende Antwort ein. Stattdessen schaute sie sich neugierig um, jedes Detail des Gebäudes bewundernd. Zwischen den Säulen wuchsen Pflanzen; Pflanzen, die man sonst nirgendwo in der Welt sah, selbst im Winter. Gottesrosen, die mit ihren silbernen Blütenblättern und goldenen Blattadern jede andere Rose weit in den Schatten stellten, Blutlavendel, sogar goldene Tulpen ragten hier und da zwischen dem Schnee auf.
„Eines muss man dem Erzbischof lassen …“, murmelte Luciana mehr zu sich selbst, als zu jemand anderem. Vorsichtig strich sie mit einem Finger über die Blüten einer Gottesrose. Sie waren warm und dufteten herrlich, viel intensiver als gewöhnliche Rosen.
„Er hat Stil.“
Aaron ignorierte die Exotik dieses Ortes und starrte geradewegs zu dem überdachten Holzportal, das in das Innere der Residenz führte. Selten betrat jemand dieses Gebäude. Sehr selten sogar. Es war eine große Ehre und doch fühlte sich keiner der beiden geehrt, sondern viel mehr eingeschüchtert. Ehrfürchtig traten sie