davon.“
Inzwischen hatte Lennys vollkommen vergessen, dass sie Sara eigentlich hatte hinauswerfen wollen.
„Aber vielleicht waren es keine leeren Rollen. Vielleicht stand etwas darauf...?“ überlegte die Novizin.
Lennys wusste sofort, worauf sie hinauswollte. „Etwas, das diesen hohen Preis wert ist? Etwas, dass er nur aus einem Tempel bekommen kann? Das wäre ein ungeheures Verbrechen. Aber wieso Gold?“
Sara dachte weiter nach. „Eine Turmwache Askaryans.... Dieser Mann könnte doch ein Mittelsmann sein. Er könnte in seiner Position die Rollen problemlos weitergeben – über die Grenze. An jemanden, der eben in Gold bezahlt und nicht in Silber....“
„Das wäre Hochverrat. Wenn tatsächlich jemand Tempelschriften an einen Außenstehenden verkauft... Ihm wäre ein grausamer Tod gewiss. Niemand wäre so dumm, so etwas auch noch schriftlich festzuhalten.“
„Aber es war sicher nicht beabsichtigt, dass euch das Dokument in die Hände fällt. Vielleicht wollte der Händler oder Bote, der die Pergamente nach Askaryan gebracht hat, einen Nachweis über die Lieferung haben. Oder er hat diese Notiz sogar selbst verfasst. Sie trägt ja kein Siegel, jeder hätte sie schreiben können.“
„Das wäre immerhin möglich. Ausnahmsweise zahlt es sich aus, dass manche Schreiber keinen Sinn für Ordnung haben. Sonst wäre das hier sicher nicht zwischen die Militärberichte gerutscht. Ich werde morgen früh umgehend veranlassen, dass sowohl der betreffende Priester als auch der Wachsoldat eindringlich verhört werden. Heute hat das keinen Sinn mehr. Und wenn an unserem Verdacht etwas dran sein sollte, wäre die Situation sehr viel ernster, als wir bisher angenommen haben.“
Da sie in diesem Augenblick nichts weiter unternehmen konnten, legten sie das verdächtige Schreiben beiseite und widmeten sich nun den anderen Dokumenten.
Sara stellte schnell fest, dass der Großteil der Schreiber und Verwalter peinlich genau und ordentlich arbeitete. Schnell hatte sie begriffen, nach welchen Kriterien die Säbelkämpfer aufgelistet wurden, welche Waffenschmiede welche Kasernen belieferten und welche geheimen Bezeichnungen und Namen die Kundschafter in ihren Briefen verwendeten. Zuerst war sie erstaunt gewesen, dass tatsächlich nur sehr wenige Schriftstücke in Cycalanisch verfasst wurden, doch Lennys erklärte ihr, dass die „Alte Sprache“ normalerweise nicht für allgemeine Geschäftsangelegenheiten verwendet wurde. Nur die Priester und einige enge Kriegerzirkel sowie der Stamm der Batí bevorzugten das Cycalanische auch in weniger formellen Gesprächen. Briefe, die die Welt jenseits der Grenzen erreichten oder durchquerten, durften hingegen auf keinen Fall eine sichelländische Redewendung enthalten, damit sie nicht zu leicht zugeordnet werden konnten.
Lennys war mittlerweile nicht mehr ernsthaft verärgert über Saras Anwesenheit. Im Gegenteil, sie musste zugeben, dass die Novizin ihr wirklich eine Hilfe war und durch Saras unverkennbares Talent, Ordnung in das angehäufte Chaos zu bringen, kamen sie schneller voran als erhofft. Dennoch war Mitternacht längst vorüber, als sie auch die letzte beschriebene Seite auf dem richtigen Stapel legten. Ein beträchtlicher Teil der Schriftstücke war schon auf einem großen Haufen gelandet, den Lennys verächtlich als „Müll“ bezeichnete. Sie enthielten keine Informationen, die im Augenblick für sie von Interesse waren und so hatte sich der Bestand an Schreiben, die sie noch einmal gründlicher durchgehen musste, schon merklich reduziert.
„Ich könnte mich um den Schriftverkehr der Kundschafter kümmern.“ schlug Sara vor. „Von euren Kriegern habe ich kaum Ahnung, aber was die Fremdländer angeht, könnte ich euch vielleicht nützlich sein.“
„Eigentlich ist es die Aufgabe von Menrir, Imra und Akosh, alles Wichtige zusammenzufassen und mir sofort mitzuteilen. Aber auch sie können das eine oder andere übersehen. Schau dir die die Briefe an, ob du etwas Neues findest, aber rechne nicht zu sehr damit, fündig zu werden. Ich werde mich inzwischen mit den Einsatzberichten des vierten Shajkan-Grades auseinandersetzen. Es wird wirklich Zeit, dass sie eine anständige Schlacht schlagen dürfen. Wenn man sich das hier ansieht, könnte man meinen, sie wären genauso überflüssig wie die Wachen des Westbogens.“
„Verzeiht, aber ich denke, ihr solltet euch heute nacht nicht mehr länger damit herumärgern.“
Lennys warf Sara einen strengen Blick zu. „Willst du mich etwa ins Bett schicken wie ein kleines Kind?“
„Wenn ihr es so nennen wollt – ja. Auch ihr müsst irgendwann schlafen. Und es ist doch besser, das jetzt zu tun als dann, wenn die ersten Kämpfe toben oder wenn eine lange Reise ansteht.“
„Allmählich fängt deine ständige Vernunft an, lästig zu werden.“ erwiderte Lennys, aber es klang nicht besonders böse. „Aber meinetwegen, machen wir eben Schluss für heute nacht. Viel Zeit zum Ausruhen bleibt ohnehin nicht, ich muss so schnell wie möglich Akosh nach Askaryan schicken, damit er sich um diesen Turmposten kümmert. Meine Güte, warum müssen wir uns jetzt auch noch mit solchen Sachen herumärgern?“
Die Ratsmitglieder waren sehr überrascht, als Lennys bereits am nächsten Mittag wieder eine Versammlung einberief. Aufgrund der zahlreichen Tagesgeschäfte, die in der letzten Zeit liegengeblieben waren, hatten einige von ihnen Semon-Sey verlassen, um sich um dringliche Angelegenheiten zu kümmern, doch es kümmerte Lennys nicht besonders, dass sie nicht zu dem heutigen Treffen erscheinen konnten. Neben fünf Cas, darunter Balman und Sham-Yu, fehlten auch Talmir und Imra, wobei Letzterer aber durch Menrir vertreten wurde. Die verbliebenen Anwesenden wirkten müde und überarbeitet.
„Natürlich konnte ich die Schriftstücke noch nicht in allen Einzelheiten sichten.“ erklärte Lennys knapp. „Aufgefallen ist mir aber, dass zwar alle Vorgänge in diesem Land sehr genau dokumentiert werden, dass sich aber anscheinend niemand näher mit ihnen befasst, wenn sie erst einmal abgelegt wurden. Einige bedenkenswerte Abhandlungen wurden einfach achtlos beiseite gelegt und schnell vergessen.“
Verlegene Blicke senkten sich ringsum.
„Ich erwarte also, dass jeder in seinem Zuständigkeitsbereich jede einzelne Ungereimtheit noch einmal genau unter die Lupe nimmt. Was die Verteidigungs- und auch die Angriffskraft Cycalas' angeht, bin ich einigermaßen zufrieden. Die Cas sind dafür zuständig, dass wir jederzeit marschbereit sind und dass alle Krieger unseres Landes bestmöglich auf die bevorstehende Kämpfe vorbereitet sind. Ist das klar?“
Die vier verbliebenen Cas nickten.
„Was ist mit den Berichten über Iandals Kontakte? Habe ich nicht klar und deutlich gesagt, dass ich sie ebenfalls haben will? Warum hat sich niemand darum gekümmert?“
Ein sichtlich verunsicherter Rahor stand auf.
„Verzeih, aber wir mussten uns um so vieles kümmern. Und wen hätten wir denn fragen sollen? Es gibt kaum noch jemanden, der Iandal so gut gekannt hat und er hatte wohl hauptsächlich Verbindung zu den damaligen Cas...“
„Keine Ausreden!“ fuhr Lennys ihn an. „Wenn ihr nicht in der Lage seid, seine Vergangenheit aufzurollen, obwohl es wichtiger ist als alles andere, dann wird es eben jemand tun, der sich nicht von der kleinsten Schwierigkeit abschrecken lässt!“
Jetzt meldete sich Akosh zu Wort. „Ich werde das übernehmen.“
„Du hast genug mit den Waffenschmieden zu tun. Und als ehemaliger Cas kannst du Rahor bei der Inspektion der Shajkan-Truppen unterstützen. Das liegt dir mehr!“
„Aber ich...“
„Hast du mich nicht verstanden? Ich will, dass jeder Tag, jede Stunde aus Iandals Leben ans Licht kommt! Ich will wissen, wie er an all seine Informationen gekommen ist. Und wer ihm dabei geholfen hat! Er konnte unmöglich alles allein schaffen. Und anscheinend erkennt keiner von euch, wie bedeutungsvoll dieser Punkt ist!“
„Natürlich verstehe ich das.“ protestierte Akosh. „Ich kann mich gern darum kümmern und...“
„Nein! Bist du taub? Für dich habe ich sowieso noch eine andere Aufgabe. Ich will jemanden, der sich ausschließlich mit Iandals Kontakten beschäftigt! Jemand, der sich nicht von anderen Angelegenheiten ablenken lässt! Jemand, der Iandal kennt! Ich