Adrienne Träger

Kommissar Handerson - Sammelband


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zusammen zur Schule gegangen und hatten auch da schon ähnliche Interessen gehabt, daher hatten sie sich immer viel zu erzählen und die Zeit verging schnell. Sie unterhielten sich gerade über einen Roman, den Grit vor Kurzem ausgelesen hatte, als der Computer ein deutlich hörbares „Ping“ ertönen ließ.

      „So, da wollen wir doch einmal sehen, ob er etwas gefunden hat“, sagte Grit.

      Sie gingen zum Computer hinüber. Tatsächlich. Das Programm zeigte einige Fotos von der unbekannten jungen Frau. Aber auf diesen lebte sie noch und lächelte winkend in die Kamera. Anna klickte auf eines der Fotos. Sie landete in einem sozialen Netzwerk, von dem sie noch nie gehört hatte und auch die Sprache auf der Seite verstand sie nicht.

      „Mh, sieht so aus, als käme deine Unbekannte irgendwo aus Afrika.“

      „Ja, scheint so. Komisch. Die sah gar nicht so arm aus, wie hier auf dem Foto. Hast du irgendeine Ahnung, was das für eine Sprache ist?“

      „Nee, aber vielleicht kann dir Kemi weiterhelfen.“

      Eines Tages, als sie beide in der sechsten Klasse gewesen waren, kam die Schulleiterin herein und brachte ein dunkelhäutiges Mädchen mit. Kemi war damals gerade mit ihren Eltern als Flüchtling nach Amberland gekommen, weil in ihrem Heimatland Bürgerkrieg herrschte. Anna erinnerte sich noch gut daran, dass das fremde Mädchen damals die ersten Wochen in der Schule nur geweint hatte. Sie hatte Anna und Grit sehr leid getan und sie hatten ihr geholfen, wo es nur ging. Mit Händen und Füßen hatten sie sich verständigt, bis Kemi irgendwann genug Deutsch sprach, um sich auch einmal richtig mit ihnen unterhalten zu können. Kemi hatte ihnen damals erklärt, dass sie so viel geweint hatte, weil sie in diesem Land, das so ganz anders war als ihres, zur Schule gehen musste und nichts verstand. Dabei war sie früher immer so gut in der Schule gewesen. Sie war Anna und Grit sehr dankbar dafür, dass sie ihr so viel geholfen hatten und die drei waren bis heute gut miteinander befreundet und halfen sich, wo sie nur konnten.

      „Dann fragen wir sie doch am besten gleich“, sagte Anna und druckte die Seite aus.

      Carlshaven, Anfang Oktober 2013

      So hatte sie sich das mit dem Job in Europa nicht vorgestellt. Sie war jetzt schon vier Wochen hier. Die Madame hatte ihr bislang nicht erlaubt, das Haus zu verlassen. Nur einmal hatte sie in den Garten gehen dürfen. Das aber auch nur, um das Unkraut zu jäten. Überhaupt arbeitete sie den ganzen Tag von morgens um fünf bis abends um elf. Pausen gab es nicht wirklich. Wenn sie sich einmal länger als ein paar Minuten irgendwo hinsetzte, um auszuruhen, schrie die Madame sie an. Sitzen durfte sie nur zu den offiziellen Essenszeiten, nachdem sie Madame und Monsieur bedient hatte, und essen durfte sie nur das, was von den Mahlzeiten übrigblieb. Geld hatte sie bislang auch noch keines gesehen.

      Michel war einmal da gewesen. Als sie ihn darauf angesprochen hatte, hatte er ihr erklärt, dass das Geld, das sie verdiene, auf ein spezielles Konto eingezahlt werde. Sie bekäme demnächst Zugriff darauf. Aber sie müsste sich keine Sorgen machen. Er habe es so geregelt, dass ein Teil ihres Geldes direkt an ihre Familie in Mabunte ausgezahlt würde. Das beruhigte sie zumindest ein bisschen.

      Gerne wäre sie einmal vor die Tür gegangen, um sich die Stadt anzusehen, aber das ging nicht. Andauernd musste sie arbeiten und die Madame war ständig in ihrer Nähe. Und die beiden großen Hunde, die das Haus bewachten, machten nicht den Eindruck, als ob sie sie gerne hinausließen.

      Auch die Unterbringung war nicht das, was sie sich erhofft hatte. Das Zimmer im Haus, das man ihr versprochen hatte, hatte sich als karger Kellerraum entpuppt, in dem nur eine Matratze lag. Nachts schloss die Madame sie ein. „Zu deiner Sicherheit“, so hieß es. Angeblich hätte es hier schon Einbrüche gegeben und wenn die Einbrecher auf Frauen träfen, täten sie ihnen schlimme Dinge an. Hinter der Eisentür des Kellers sei sie sicher. Aber das glaubte sie der Madame nicht. Sie kannte sich mit den Gepflogenheiten dieses fremden Landes nicht aus, hatte aber langsam das Gefühl, dass sie betrogen worden war.

      Carlshaven, Kemis Wohnung, 10. September 2014, 19 Uhr

      Anna und Grit waren direkt vom Präsidium aus zu ihrer Freundin Kemi gefahren. Sie hatten Glück gehabt, denn Kemi war gerade vom Einkaufen gekommen, als Grit den Wagen parkte. Sie hatten zusammen gekocht und gegessen und nun saßen sie an dem runden Küchentisch in Kemis kleiner Wohnung am Stadtrand von Carlshaven.

      „Mh, die Sprache kommt mir bekannt vor“, sagte Kemi.

      „Wirklich?“, Anna schöpfte Hoffnung.

      „Ja, ich glaube, das ist Mabuntisch.“

      „Mabuntisch?“, fragte Grit

      „Mabunte ist ein sehr armes Land in Westafrika. Oder besser gesagt, der größte Teil der Bevölkerung ist sehr arm und ein kleiner Teil ist sehr, sehr reich.“

      „Aber verstehen kannst du das nicht, oder?“, fragte Anna.

      „Leider nein. Aber ich habe neulich jemanden kennen gelernt, der aus Mabunte kommt. Ich kann dir die Adresse geben, wenn du magst.“

      „Das wäre super. Ich will jetzt langsam wirklich wissen, wer diese Frau ist und was sie hier in Carlshaven gemacht hat. Irgendeinen Grund muss sie ja schließlich gehabt haben, um von Mabunte aus nach hier zu kommen,“ erwiderte Anna.

      „Vermutlich hat sie Arbeit gesucht“, sagte Kemi, die emsig in einer Schublade kramte. „Ah, hier ist die Telefonnummer von meinem Bekannten. Er heißt David. Sag ihm, dass du eine Freundin von mir bist. Aber um auf die Frage zurückzukommen, wieso sie hier in Carlshaven war, also, wie gesagt, die meisten Menschen in Mabunte sind sehr arm. Viele träumen von einem besseren Leben im Ausland. Sie möchten hier arbeiten und ihre Familien in Mabunte mit dem Geld unterstützen, das sie hier verdienen. David erzählte mir neulich, dass es Menschenhändler gibt, die arme, naive Mädchen aus den Slums anwerben. Sie machen ihnen weis, dass sie nach Europa kommen und da als Dienstmädchen arbeiten dürfen. David kann dir da aber sicher mehr zu erzählen, da er bei Amnesty International arbeitet.“

      „Amnesty?“, fragte Grit. „Ist das nicht so eine Menschenrechtsorganisation?“.

      „Ja, und zwar die größte weltweit“, antwortete Kemi.

      Carlshaven, Polizeirevier, 11. September 2014

      „Einen wunderschönen guten Morgen“, sagte Peter, der Hektor ins Büro folgte. Der junge Hund lief sofort zu Anna und ließ sich von ihr durchknuddeln.

      „Und, hast du etwas herausgefunden?“

      „Klar, im Gegensatz zu euch war ich fleißig. Aber ich warte jetzt, bis Björn kommt, sonst muss ich alles doppelt erzählen.“

      Im nächsten Augenblick ging die Bürotür auf und Handerson trat ein.

      „Wenn man vom Teufel spricht…“, sagte Peter.

      „Was heißt hier ‚Teufel‘? Der einzige Teufel, der hier rumrennt, ist das Mistvieh hier. Wieso ist der eigentlich immer so wild darauf, mich zu begrüßen?“, schnaubte Handerson, während er versuchte, den ungestüm an ihm hochspringenden Hektor abzuwehren.

      „Wahrscheinlich riecht der deine beiden Katzen. Die sind für so einen pfiffigen Suchhund in Ausbildung wie Hektor total spannend. Riechen ist schließlich seine größte Leidenschaft.“

      Handerson schob den übermütigen, jungen Hund mit dem Fuß zur Seite und bahnte sich einen Weg zu seinem Schreibtisch.

      „So, jetzt ist Björn da. Du kannst also erzählen, was du weißt.“

      „Du hast etwas herausgefunden?“, fragte Handerson verwundert.

      „Ja, denn im Gegensatz zu euch war ich gestern sehr kreativ und sehr fleißig.“

      „Was du nicht sagst. Also, dann erleuchte uns mal: wer war die Tote?“, fragte Björn.

      „Also, das kann ich euch nicht sagen. Noch nicht.“

      „Was meinst du mit ‚noch nicht‘? Was hast du denn nun herausgefunden?“,