Adrienne Träger

Kommissar Handerson - Sammelband


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ein Ansatzpunkt. Die Mädchen, die in den anderen Ländern befreit wurden, warten noch auf den Prozess wegen Menschenhandels, bei dem sie als Zeuginnen auftreten sollen. Vielleicht kann man mit ihnen sprechen. Man weiß nie, ob sie nicht möglicherweise doch etwas wichtiges aufgeschnappt haben.“

      „Das ist eine sehr gute Idee, Herr Kame. Wir kontaktieren die Kollegen im Ausland und Sie halten uns bitte auf dem Laufenden und sagen uns Bescheid, wenn Sie den Kontakt zu der Familie der jungen Frau hergestellt haben“, Björn stand auf und streckte ihm die Hand entgegen. David stand ebenfalls auf und drückte die ihm angebotene Hand mit beiden Händen. Anschließend gab er Handerson noch seine Karte.

      „Das werde ich tun. Und wenn sie noch mehr Informationen über Mabunte oder meine Hilfe als Übersetzer brauchen, dann zögern Sie nicht, sich bei mir zu melden.“

      Peter verabschiedete sich ebenfalls von ihrem Gast und Anna brachte ihn hinaus.

      „Man, Sklaven in Carlshaven. Ich fasse es nicht“, sagte Peter immer noch kopfschüttelnd, als Anna wiederkam.

      Carlshaven, Anfang November 2013

      Dass sie das Haus nicht verlassen durfte und den ganzen Tag arbeiten musste, empfand Nana als schlimm, denn sie war immer frei gewesen. In ihrer Wellblechhütte im Township von Kontuba hatte es keine richtigen Türen gegeben. Sie hatte kommen und gehen können, wie und wann sie wollte. Und sie hatte zwar hart gearbeitet, um die Familie zu ernähren, aber sie hatte immer irgendwo Freizeit gehabt, um mit den Nachbarjungen Fußball zu spielen oder mit ihrer Freundin gelegentlich ins Kino zu gehen und sich in fremde Länder wegzuträumen. Hier gab es so etwas wie Freizeit nicht. Sie musste den ganzen Tag waschen, putzen und kochen und wehe, die Madame glaubte auch nur ein kleines Staubkorn zu sehen – dann zögerte sie nicht, Nana anzuschreien und ihr mit der flachen Hand ins Gesicht zu schlagen. Geschlagen zu werden war etwas, das Nana noch nie erlebt hatte. Sie kam aus ärmlichen Verhältnissen, aber ihre Eltern hatten sie mit viel Liebe und Geduld erzogen.

      All das war schlimm und erniedrigend. Doch in der vergangenen Nacht war etwas geschehen, das für Nana noch viel schlimmer war. Madame hatte sie wie üblich um elf Uhr in ihrem „Zimmer“ eingeschlossen. Sie hatte schon geschlafen, als das Geräusch des Schlüssels in der Tür sie weckte. Es war der Monsieur. Er kam hinein, schaltete das Licht an und schloss die Tür wieder von innen ab. Was dann kam, erfüllte Nana immer noch mit Schaudern und Ekel. Nie hätte sie gedacht, dass man sich so verletzlich fühlen konnte. Er hatte sie auf die Matratze gedrückt und sich auf sie gelegt. Sie glaubte immer noch, seinen heißen, schnaufenden Atem an ihrem Ohr zu spüren, der ihr unaufhörlich irgendetwas von Liebe vorsäuselte. Auch den Schmerz meinte sie noch wahrzunehmen, den sie empfunden hatte, als er in ihre jungfräulich Scham eingedrungen war. Heute fühlte sie sich immer noch wund und wäre am liebsten im Bett geblieben, aber die Madame kannte keine Gnade. Sie musste den ganzen Tag das Haus putzen. So schmutzig, wie sie sich fühlte, wäre sie am liebsten selbst in den Putzeimer gekrochen.

      Als er in der Nacht gegangen war, hatte Monsieur ihr erklärt, sie habe ihn sehr glücklich gemacht und er wolle sie wieder in ihrem Zimmer besuchen. Bei dem Gedanken daran, wurde ihr speiübel und sie erbrach sich in den Putzeimer. Nur gut, dass die Madame im Nebenzimmer war und es nicht bemerkt hatte.

      Carlshaven, Polizeirevier, 22. September 2014

      „So gegen eins? Ja, wir treffen uns dann hier und fahren gemeinsam in die Gerichtsmedizin. Bis später.“ Anna legte den Telefonhörer auf die Gabel.

      „War das Herr Kame?“, fragte Handerson.

      „Ja. Er holt jetzt Maria Makame vom Flughafen ab und bringt sie her. Wir fahren dann zusammen in die Gerichtsmedizin. Die beiden werden in etwa einer Stunde hier sein.“

      „Wie alt ist denn diese Maria?“, fragte Peter.

      „Maria ist fast siebzehn. Ihre Schwester war zwei Jahre älter. Wenn es wirklich Nana ist, die im Kühlhaus liegt, dann tut Maria mir leid. Seine Schwester so wiederzusehen, muss schrecklich sein.“

      „Haben wir eigentlich schon irgendetwas Neues herausgefunden?“, fragte Handerson.

      „Nein, nicht wirklich“, antwortete Peter. „Die jungen Frauen, die man in Deutschland und England befreit hat, konnten nur sehr spärliche Angaben machen. Sie haben immer wieder irgendetwas von einem Michel erzählt, aber dessen Identität konnte noch nicht geklärt werden. Die Leute, die sich diese Mädchen als Sklavinnen gehalten hatten, waren alle Diplomaten, die auf ihre Immunität bestanden haben und obendrein so bald als möglich ausgereist sind. Sie haben jetzt neue Jobs in anderen Ländern und wurden durch neue Diplomaten ersetzt.“

      „Wie praktisch“, konstatierte Handerson.

      „Ich kann mir aber irgendwie nicht vorstellen, dass diese Nana hier als Haussklavin gehalten wurde“, sagte Peter.

      „Wieso nicht?“, fragte Handerson.

      „Na, denk doch einmal dran, was sie anhatte. Das war doch ein sündhaft teures Abendkleid. Gibt man denn so etwas seinem Sklavenmädchen?“

      „Und was ist mit den Händen?“, entgegnete Handerson. „Denk daran, was Weidmann gesagt hat. Sie hat entweder sehr viel geputzt oder mit sehr scharfen Mitteln. Und die Schwester schrieb, sie hätte hier eine Stelle als Hausmädchen vermittelt bekommen.“

      „Also, irgendwie passt das doch alles nicht zusammen.“

      ~

      Maria war etwas eingeschüchtert. Sie war zum ersten Mal im Ausland und die Polizei war eigentlich etwas, um das man in Mabunte einen großen Bogen machte, wenn man im Township wohnte. Der Mann, der sie kontaktiert und nun auch vom Flughafen abgeholt hatte, war sehr nett zu ihr und sprach glücklicherweise ihre Sprache, sie konnte zwar auch ein paar Bröckchen Englisch, aber viel war es nicht. Dass dieser David auch aus Mabunte kam und ihr alles erklärte und übersetzte, was sie nicht verstand, beruhigte sie ungemein. Er war ihr gleich sympathisch gewesen, und sie hatte sofort Vertrauen zu ihm gefasst.

      Als sie das Büro im Polizeipräsidium betrat, kam ein schwarzer Hund schwanzwedelnd auf sie zu, um sie zu begrüßen. Eigentlich hatte sie ein bisschen Angst vor Hunden, aber er schien noch sehr jung zu sein und war verspielt. Er brachte ihr einen kleinen Ball und schaute sie erwartungsfroh an. Sein Schwanz wedelte nicht nur hin und her, sondern schien sich wie ein Propeller zu drehen. Sie verstand, was er von ihr wollte, nahm und warf den Ball. Er lief sofort hin und brachte ihn zurück. Dabei machte er ein paar lustige Luftsprünge. Sie lachte. Dieser Hund wirkte gar nicht so bedrohlich, wie die Polizeihunde, die sie in Mabunte gesehen hatte. Irgendwie war hier in Europa alles ganz anders.

      „Nun ist es aber gut, Hektor“, sagte Peter streng, aber er konnte sich ein Lächeln nicht verbeißen. Die junge Frau hatte so verschüchtert ausgesehen, als sie das Büro betreten hatte, und nun war sie sichtlich lockerer. Aber sie hatten sehr ernste Dinge zu besprechen, also schickte er Hektor auf seine Decke in der Ecke.

      Handerson bedeutete Maria, sich zu setzen und bot ihr etwas zu trinken an. David dolmetschte. Nachdem sich alle gesetzt hatten, erklärte Björn ihr mit Davids Hilfe, wozu man sie nach Amberland geholt hatte und was sie gleich würde tun müssen. Maria nickte. Nachdem sich ihre Schwester nicht mehr gemeldet hatte, hatte sie schon befürchtet, dass ihr etwas Schlimmes zugestoßen sein müsse. Dass sie nun hier, in diesem kleinen Polizeibüro in Europa saß, war nur die logische Konsequenz.

      Als Handerson mit seinen Erklärungen fertig war und Maria keine Fragen mehr hatte, gingen Handerson, David und Maria zum Auto, um in die Gerichtsmedizin zu fahren. Handerson hatte sich entschieden, mit seinem Privatwagen zu fahren. Er hatte die Befürchtung, dass ein Streifenwagen Maria verschrecken könnte.

      ~

      Eine halbe Stunde später kamen die drei vor dem großen, weißen Gebäude der Gerichtsmedizin an. Sie gingen zu Weidmanns Büro und Handerson hoffte, dass er sich nicht so benehmen würde wie sonst. Ein schlechtgelaunter Weidmann war das letzte, was die junge Frau jetzt brauchen konnte.

      Aber er hätte sich keine solchen Sorgen machen brauchen, denn Weidmann erwies