Dadurch sind wir auf ein soziales Netzwerk gestoßen, in das Fotos von der jungen Frau hochgeladen waren. Die Seite war aber dummerweise in einer Sprache, die ich nicht kannte. Es musste aber etwas Afrikanisches sein, also sind wir mit einem Ausdruck zu unserer Freundin Kemi gefahren. Die kommt aus Afrika.“
„Und Kemi konnte dir nicht sagen, was da stand?“, fragte Peter.
„Nein. Sie konnte mir aber sagen, dass es sich bei der Sprache höchstwahrscheinlich um Mabuntisch handelt. Sie gab mir die Visitenkarte von einem David Kame. Er kommt aus Mabunte und er ist bei so einer Gruppe von Amnesty International, die schwerpunktmäßig zu Mabunte arbeitet. Auf seiner Karte steht ‚Koordinationsgruppe Mabunte‘. Ich habe ihn gestern Abend noch angerufen. Er kommt gleich um zehn vorbei. Er kann uns bestimmt sagen, was auf der Seite drauf steht. Es kann auch nicht schaden, etwas über Mabunte zu lernen. Vielleicht haben wir ja sogar Glück und er kennt die Frau.“
„Mann, bist du optimistisch,“ sagte Peter. „Aber eines muss ich dir lassen: Du warst gestern echt fleißig. Wenn du nicht auf die Idee mit Grit gekommen wärst, dann würden wir jetzt hübsche Plakate basteln und die dann anschließend in der Stadt aufhängen. Wenn die Informationen zu uns kommen, ist das doch bedeutend angenehmer.“
„Ich dachte, als Hundehalter läuft man gerne“, stichelte Handerson.
„An sich schon – aber wenn ich an jedem Laternenpfahl stehen bleibe, ohne mein Bein zu heben, dann denkt Hektor sich auch, sein Herrchen ist bescheuert, weil ich den Pfosten weder lange und ausgiebig beschnuppere noch anpinkele.“
~
„Entschuldigung, ich suche eine Frau Carenin.“
Ein dunkelhäutiger Mann um die Dreißig stand in der Tür des Büros und schaute etwas verlegen.
„Das bin ich,“ sagte Anna. „Sie müssen Herr Kame sein. Wir haben gestern miteinander telefoniert.“
„Ja, genau.“
„Kommen Sie doch herein und setzen Sie sich. Das sind meine beiden Kollegen, Sergeant Peter Müller und Kommissar Björn Handerson. Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?“
„Sehr erfreut. Ja, gerne,“ sagte David Kame und nahm Platz. „Ich bin etwas erstaunt, dass die Carlshavener Polizei meine Hilfe benötigt. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?“
„Nein, Sie haben das ganz richtig verstanden, Herr Kame,“ sagte Anna, während sie ihm den Kaffee eingoss. „Wir kommen in einem Fall nicht weiter. Milch oder Zucker?“
„Schwarz bitte. Was ist das für ein Fall?“
„Wir hatten hier vor ein paar Tagen einen Selbstmord“, sagte Handerson.
„Die junge Frau, die vor den Güterzug gesprungen ist? Davon habe ich in der Zeitung gelesen. Kam sie aus Mabunte?“
„Das wissen wir nicht genau,“ antwortete Anna. „Ihre Identität ist immer noch unklar, aber erste Hinweise haben uns auf eine Webseite geführt, die in einer afrikanischen Sprache verfasst ist. Kemi sagte, es könnte Mabuntisch sein.“
„Darf ich die Webseite einmal sehen?“
„Natürlich.“ Anna reichte ihm den Ausdruck, den sie am Vorabend auch schon Kemi gezeigt hatte. David warf einen kurzen Blick darauf.
„Ja, das ist Mabuntisch.“ Er begann zu lesen, während die drei Polizisten ihn wie ein seltenes Zootier angafften. Nach einigen Minuten wandte David sich ihnen wieder zu.
„Die junge Frau auf dem Foto heißt Nana Makame. Sie stammt aus Kontuba, das ist die Hauptstadt von Mabunte. Die Texte auf dieser Internetseite hat ihre Schwester verfasst. Anscheinend hatte Nana vor einem Jahr ein Angebot erhalten, als Dienstmädchen in Europa arbeiten zu dürfen und zwar hier in Amberland. Sie flog ein paar Tage später nach Europa und seitdem hat die Familie nichts mehr von ihr gehört. Nana war immer für die Familie da. Der Vater ist recht früh gestorben und Nana hat die Familie versorgt, da die Mutter sehr schwer krank ist. Die Schwester schreibt hier, es sei ungewöhnlich, dass die Familie nichts mehr von ihr gehört habe, da sie ein Familienmensch sei, und man mache sich große Sorgen. Die Schwester ruft dazu auf, sich bei ihr zu melden, wenn man wüsste, was mit Nana sei.“
„Das passt zu dem, was Kemi mir gestern über Mabunte erzählt hat.“
„Und das wäre?“, fragte Peter.
„Ich glaube, das kann Herr Kame besser erklären als ich.“
„Vermutlich hat Kemi Ihnen von den Vorfällen mit jungen Frauen aus Mabunte hier in Europa erzählt.“
„Nein, von konkreten Fällen hat sie nichts gesagt.“
„Worum geht es denn hier eigentlich?“, fragte Handerson irritiert. „Ich verstehe jetzt gar nichts mehr.“
David räusperte sich. „Mabunte ist eine ehemalige französische Kolonie im Westen Afrikas. Einige wenige Menschen dort sind sehr reich, aber das Gros der Bevölkerung ist sehr, sehr arm. Die meisten Leute da träumen von einem besseren Leben. Viele möchten ins Ausland, um dort zu arbeiten und mit dem Geld, das sie verdienen, die Familie zu Hause zu unterstützen. Es gibt Menschenhändler, die sich diesen Umstand zunutze machen. Sie sprechen gezielt junge Frauen an und gaukeln ihnen vor, dass sie einen Job im Ausland für sie hätten, bei dem sie viel Geld verdienen könnten. Die Mädchen werden nach Europa gebracht und dann entweder an Bordelle verkauft oder an reiche Afrikaner, die sich die Mädchen dann wie private Sklaven halten. Wir von Amnesty International hatten schon mit einigen solchen Fällen zu tun, allerdings nicht hier in Amberland, sondern in Deutschland, Österreich und England.“
„Aber das muss doch auffallen, wenn man einen Nachbarn hat, der sich eine kleine Sklavin hält!“, warf Peter empört ein.
„Nein, meistens nicht. Oder zumindest für eine sehr lange Zeit nicht. Diese Leute, von denen wir hier reden, sind sehr reich, auch nach amberländischen Standards. Meist sind es Industrielle oder Diplomaten. Solche Leute wohnen normalerweise nicht in einem Reihenhaus und die Grundstücke, auf denen ihre Häuser stehen, sind riesig. Außerdem kommen die Mädchen in der Regel gar nicht vor die Tür. Vielleicht dürfen sie mal im Garten hinter dem Haus Arbeiten verrichten, aber vor dem Haus sieht man sie üblicherweise nicht.“
„Und warum laufen die nicht einfach weg?“ Peter konnte es immer noch nicht glauben, dass es mitten in Europa so etwas wie Sklavenhaltung geben sollte.
„Das können sie nicht. Tagsüber ist immer jemand in ihrer Nähe und nachts werden sie in Zimmern ohne Fenster eingeschlossen.“
„Ist es denn in Mabunte legal, sich Sklaven zu halten?“, fragte Björn. Auch er konnte es nicht wirklich glauben, dass es so etwas im modernen Europa gab.
„Nein. Mabunte hat genauso wie Amberland auch die entsprechenden internationalen Abkommen unterzeichnet, die Sklavenhandel verbieten. Umso widerwärtiger ist es, dass sich Diplomaten, die diesen Staat im Ausland vertreten, hier Sklaven halten.“ Er verzog angeekelt das Gesicht.
„OK, unsere unbekannte Selbstmörderin könnte also diese Nana Makame aus Kontuba in Mabunte sein. Irgendwie müssen wir jemanden von der Familie herkommen lassen, der uns die Leiche eindeutig identifiziert“, stellte Björn fest. „Herr Kame, könnten Sie vielleicht Kontakt mit der Schwester aufnehmen? Wir würden dann dafür sorgen, dass sie ein Flugticket hierher bekommt.“
„Ja, das kann ich machen.“
„OK,“ sagte Anna. „Jetzt wissen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit, wer die junge Frau ist und woher sie kommt, aber der Rest ist immer noch unklar.“
„Und wenn wir mal bei der mabuntischen Botschaft hier in Carlshaven anfragen?“, meinte Peter.
„Und was genau möchtest du sie fragen?“, konterte Handerson. „‚Entschuldigung, wir hätten da so eine unbekannte Tote. Hat die vielleicht als Sklavin bei ihnen gearbeitet‘?“
David grinste breit. „So wird das wohl nichts, aber der Ansatz ist prinzipiell schon richtig. Es gibt hier nur