Robert Ullmann

Herbstfeuer


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„Mein Bruder wird uns hier verbergen, zumindest bis morgen. Er wird versuchen, uns die Flucht aus der Stadt zu ermöglichen. Wenn wir die Stadt sicher verlassen haben, wirst du hin gehen können, wohin du willst.“ „Ich wüsste nicht wohin“, sprach Timmrin halb zu sich selbst. „Versucht etwas zu schlafen. Ihr werdet eure Kräfte brauchen.“, mit diesen Worten griff Skhator nach der Lampe und löschte das Licht.

      -8-

      Timmrin wurde geweckt vom Geräusch eines Möbelstückes, das erneut am Boden scheuernd, Stück für Stück, beiseitegeschoben wurde. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, doch fühlte er sich müde und entkräftet. Die Luke öffnete sich.

      „Kommt“, war die leise Stimme Skholopans zu vernehmen, der seine Hand nach unten streckte. Skhat griff nach ihr und zog sich nach oben. Endlich raus aus diesem beklemmenden Grab, dachte Timmrin. Selbst in der Gefängniszelle war mehr Platz gewesen. Gleich nach Skhat kletterte er aus dem Loch, dann folgte Drahesk.

      „Kommt zu Tisch“, meinte Skholopan zu seinen Gästen.

      „Wir essen kurz und dann werdet ihr die Stadt verlassen.“

      Sie folgten Skholopan ins erste Stockwerk, wo ein Tisch bereitstand. Jener war gedeckt mit Brot, geräuchertem Schinken, Käse und Pökelfleisch. Eine Schüssel mit Lebertran stand in der Mitte der Tafel.

      Die Gäste setzten sich schweigend. Als Timmrin das Essen gierig begutachtete – er hatte seit Tagen nicht richtig gegessen – viel ihm als nächstes sofort das Besteck auf.

      Es war kostbar graviert und blitzblank. Er wusste nicht genau, wie er Messer und Gabel richtig einsetzen sollte, als er schließlich mit den Händen nach einem Stück geschnittenem Schinken griff.

      „Keine Angst, mein Junge! Iss, wie du magst, Hauptsache du wirst satt und kommst wieder zu Kräften.“

      Diese Worte kamen aus dem Mund eines gut betagten, wie betuchten Mannes aus dem ersten Bezirk. Timm wusste nicht genau, wie er darauf reagieren sollte.

      „Es tut mir leid, mein Herr. Ich bin nur mit dem Messer zu Essen gewohnt“, gab er zurück.

      Im Augenwinkel sah er Skhat geschickt mit Messer und Gabel Teile vom Pökelfleisch abtrennen und auf seinen Teller manövrieren. Der alte Meister aß wie ein Mann von Stand, doch er kämpfte wie ein Schlechter. Wieder einmal sann Timmrin insgeheim über die Vergangenheit des Alten nach.

      Was ihn allerdings noch mehr beschäftigte, war die Tatsache, dass sie hier saßen und aßen. Jeden Augenblick konnte die Garde das Haus durchsuchen. Jeder Augenblick, den sie verstreichen ließen, bedeutete ein hohes Risiko. Timmrin entschied sich, nicht nachzufragen, zu groß war der Hunger. Außerdem riet ihm seine innere Stimme, dass es das Beste wäre, auf Skhat und die anderen zu vertrauen.

      „Mein Bruder Skholopan riskiert sehr viel!“, ergriff Skhat das Wort. „Wenn sie ihn erwischen, oder ihm nachweisen können, dass er uns Unterschlupft gewährt hat, verliert er an deiner Stelle seinen Kopf!“, Skhat sah scharf zu Timm hinüber.

      Als Timmrin etwas sagen wollte, antwortet Skholopan an seiner statt: „Hör nicht auf meinen starrköpfigen großen Bruder! Er hat zu lange gekämpft für Könige, die ihr Volk zur Schlachtbank führen. Mich wird man nicht an einer solchen finden, denn ich habe immer meinen Weg gefunden – und überlebt.“

      Timmrin war verwirrt. Weniger von dem Sinngehalt der Worte Skholopans, als viel mehr von den Altersangaben. Er hatte Skhat auf etwa fünfzig geschätzt, Skholopan auf Mitte sechzig.

      „Ihr seid jünger als Skhat“, fragte Timmrin gerade heraus.

      Skhat lachte leise, während sein jüngerer Bruder beherzt schmunzelte.

      „Ja, das ist schwer zu glauben. Ich bin 55. Skhat aber wird bald 58 Jahre alt.“

      Timmrin blickte ungläubig in die Runde. Drahsek kaute langsam, bedächtig und ungestört auf einem Stück Schinken.

      „Verzeiht, Herr, ich wollte Euch nicht beleidigen mit meiner Frage“, entschuldigte sich Timmrin.

      Skohlopan erwiderte: „Wer könnte dir das verdenken? Iss, Bursche! Und mach dir nicht so viele Gedanken. Morgen wirst du weg sein von hier. Und ich wünsche dir von Herzen, dass dich ein besseres Leben erwartet.“

      Skholopans Stimme klang beruhigend. Er wirkte ausgeglichener als Skhat, obgleich auch er um sein Leben zu fürchten hatte. Skholopan schien voller Güte, die Timmrin in diesem Moment beinahe wie väterliche Zuwendung empfand.

      Wenn er väterliche Strenge brauchte, so hatte er sie von Skhat zu erwarten und seid dieser ihn vor dem sicheren Tod gerettet hatte, versuchte er sie als solche anzunehmen.

      Der alte Meister war widerspenstig und hart, er war erbarmungslos, aber machte ihn das zu einem bösen Menschen?

      Timmrin aß langsam, weil er sich solche Fragen während der Mahlzeit immer wieder stellte.

      Skhat schien selbst sein Alter bekämpft zu haben. Wieso konnte sich ein Mann in seinen Jahren derart schnell bewegen, mit einer solchen Kraft kämpfen. Etwas trieb ihn an, verlieh ihm Stärke. Doch was es war, galt es für Timmrin noch herauszufinden.

      Die Stimme des Meisters riss ihn aus seinen Gedanken:

      „Ich danke dir, Bruder. Den restlichen Schinken werden wir mitnehmen. Weißt du, wie du uns hier heraus bringen kannst?“

      „Darüber reden wir nach dem Essen!“, entgegnete Skholopan.

      „Ich fürchte nicht den Tod“, meinte Skhat zu seinem Bruder, „aber es wäre nicht recht, wenn du meinetwegen---“, er wurde von seinem Bruder unterbrochen: „Ich fürchte den Tod nicht mehr als du, auch wenn du es denkst, auch wenn ich kein Soldat bin. Ich bin, wie du, der Sohn eines Händlers – und kein erfolgloser. Schwinge ich auch nicht das Schwert, so ist die Klinge meiner Möglichkeiten vielleicht genauso scharf wie die deinige. Und glaube mir, ich habe deine Kinder öfter gesehen als du! Ich betrauere den Verlust meiner Neffen nicht weniger. Und ich werde dir helfen, koste es, was es wolle!“

      Skholopan hatte diese Sätze sehr direkt an seinen Bruder gerichtet, der ihm fest in die Augen sah, aber nicht antwortete, nur langsam weiter aß.

      Dann schwiegen sie und verzehrten fast alles, was Skholopan aufgetischt hatte. Schließlich fiel Timmrins Blick auf das außergewöhnliche Gewehr von Drahesk, das er neben sich an seinen Stuhl gelehnt hatte.

      „Was ist das für eine Waffe?“, unterbrach er die gezwungene Stille.“

      Drahesk antwortete ihm, nachdem er hinuntergeschluckt hatte:

      „Es ist ein Repetiergewehr. Es kann mehrere Patronen schnell hintereinander abfeuern.“

      Timm starrte ihm ungläubig in die Augen, richtete seinen Blick dann wieder auf die Waffe.

      „Wie ist das möglich?“

      „Siehst du den Kasten über dem Schloss?“, gab ihm Drahesk zur Gegenfrage.

      „Ja.“

      „Das ist ein Kastenmagazin.“

      „Befinden sich darin Patronen?“

      „So ist es. Immer wenn ich den Repetierbügel nach unten drücke, wird der Verschluss geöffnet. Dann fällt eine Patrone aus dem Magazin ins Schloss. Wenn ich den Hebel nach oben drücke, wird das Schloss wieder verriegelt. Dann spanne ich die Zündnadel mit dem kleinen Hebel an der Seite und die Waffe ist wieder feuerbereit. Sechsmal hintereinander kann ich damit einen Schuss abgeben.“

      Timmrin musterte noch immer die Waffe. Mit dem langen Hebel über dem Abzug statt einem Abzugsbügel wirkte sie wie eine neuartige Form einer Armbrust. Auch war sie kurz gehalten und der Kolben, aus rötlichem Wurzelholz gefertigt, war merkwürdig verkrümmt, sowohl nach unten als auch leicht zur Seite.

      Timmrin kannte sich nicht wirklich aus mit Waffen. Immerhin aber hatte er in einer Munitionsfabrik gearbeitet und die Materie war ihm nicht fremd.

      Der Magazinkasten befand sich dort, wo eigentlich