Robert Ullmann

Herbstfeuer


Скачать книгу

„und die Richter wissen, was in solchen Fällen zu tun ist. Das sind schon gefährliche Zeiten, wenn ein Kommandant in seiner eigenen Kaserne im Schlaf Gefahr läuft, erdolcht zu werden“, Timmrin versuchte das Gespräch erneut auf den Kommandanten der Kaserne zu lenken und etwas über seinen Wohnsitz zu erfahren.

      „Nein Sir, da liegt ihr falsch! Argahl muss sich nicht fürchten. Dieses Pack stellt keine Bedrohung dar. Ich bin selbst Vorarbeiter in der Gießerei Kopiljyr! Ich bin Tag für Tag mit diesem Gesindel zusammen, sorge dafür, dass sie nicht einschlafen bei der Arbeit. Man mag über sie denken, was man will, aber es würden sich nie genug finden, um eine wirklich gefährliche Revolte zu beginnen. Und nachdem, was vorletzte Nacht geschah, werden sie es so schnell ohnehin nicht mehr wagen. Ist ja nun wirklich kein Geheimnis, dass diese Dreckfresser flegelhaft sind und undankbar. Aber diese Sache---“ „Wohnt der Kommandant eigentlich selbst in der Feste?“, unterbrach ihn Timmrin jetzt frei heraus, weil er dem Kerl nicht länger zuzuhören vermochte. „Weiß nicht“, antworte der Gefragte und widmete sich wieder seinem Wein. Einem Mann, der sich selbst gern reden hörte, konnte man nur schwer Informationen entlocken, die man wirklich benötigte. Timmrin trank leer. „Verzeiht mir die Frage, Sir, aber dürfen alle Vorarbeiter in den ersten Bezirk?“ Timmrin verstörte der Gedanke, dass dem so wäre. „Nein“, lachte der Gefragte. „Sir Alfregoel hat seinen langjährigen Vorarbeitern Unterkünfte im ersten Bezirk zukommen lassen und Wohngenehmigungen erwirkt. Wer in den Bezirk kann und wer nicht, oder wer hier wohnen darf, entscheiden letztendlich die Fabrikanten.“ Eine gerissene Art, sich die Loyalität ihrer Schinder zu sichern, dachte Timmrin. Er griff in seiner Tasche nach etwas Geld um zu bezahlen, als er plötzlich eine Stimme sagen hörte: „Du kommst von Tag zu Tag früher, Derry“, Timmrin konnte die schweren Schritte eines Mannes hören. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer gerade den Raum betreten hatte. Er kannte diese Stimme nur zu gut. Es war die eines Mannes namens Pargolos - jenes Mannes, dem er Schikane bei der Arbeit, eine gehörige Tracht Prügel und letztlich den Verlust seiner Anstellung verdankte. Timmrin verhielt sich still und umklammerte seinen Weinkelch. Pargolos trat hinzu und stellte sich neben Derry an den Tresen. „Du musst langsam aufpassen, alter Derry, sonst bleibt dir am Ende des Monats nicht mehr viel. Bist ja mehr hier als zuhause“, seine Stimme klang heiter, Timmrin aber konnte sie nicht über die Gefahr hinweg täuschen, die von diesem Mann ausging. „Ich bin zuhause!“, brummte Derry. Pargolos lachte auf und hob die Hand, um den Schankwirt herzubeordern, da drehte sich Timmrin um und ging in Richtung Tür. Doch gerade in diesem Moment wandte Pargolos den Kopf und sah zu ihm herüber: „Das ist doch…“ Timmrin rannte aus der Gaststube, Pargolos ihm nach. Als Timmrin sich im Lauf kurz umdrehte, um nach dem Verfolger zu sehen, stieß er mit einer Person zusammen und stürzte – da war Pargolos auch schon bei ihm. Blitzschnell richtete Timmrin sich auf, wollte weiter, spürte dann aber die Hand seines ehemaligen Schichtführers, die ihn am Kragen festhielt. Timmrin wandte sich um und schlug mit aller Kraft zu, zielte auf das Gesicht des Verfolgers. Der aber zog seinen Kopf blitzschnell zur Seite, wich dem Hieb aus und schlug Timmrin mit der linken ins Gesicht. Timmrin taumelte zurück, spürte eine Erschütterung des Kopfes, ein Taubheitsgefühl auf den Lippen, schmeckte Blut im Mund. Dann hob er die Fäuste, um sich zu wehren, aber Pargolos war schneller. Der nächste Hieb traf ihn am Kinn und warf ihn zu Boden. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Dann sah er verschwommen wieder Pargolos, der über ihm stand. Auch Derry war herbei geeilt. Ein Ring von Menschen hatte sich gebildet, die halb empört, halb schaulustig dreinblickend, die Szene verfolgten. „Kein Grund zur Sorge, meine Herren und Damen!“, Pargolos brüllte aus vollen Lungen. „Wir haben hier einen gefährlichen Betrüger. Wie ihr sehen könnt, trägt er den Orden eines Kriegers. Aber er war nie im Krieg. Noch vor einer Woche hat er unter mir gearbeitet.“ Alle Augen waren auf Timmrin gerichtet. Warum nur hatte er das Schicksal erneut herausgefordert. Skhat würde ihm jetzt nicht mehr helfen können, niemand würde das. Er fühlte sich allein, unendlich allein und erniedrigt. Er versuchte aufzustehen, Pargolos aber trat nach seinem Gesicht, dass Timmrin mit seinen Unterarmen zu schützen versuchte. Ein halbes dutzendmal trat er auf ihn ein und fauchte dabei: „Du widerwärtiger Verbrecher! Hol die Garde Derry!“ Timmrin hatte sich auf den Bauch gerollt, knöpfte den Gehrock vorsichtig auf und schob die Hand darunter. Pargolos beugte sich zu ihm herunter, packte ihn am Genick und drückte sein Gesicht aufs Pflaster: „Was du tust, ist nicht nur gesetzeswidrig! Du bist eine Schande für all die Veteranen, die auf dem Feld der Ehre gefallen sind, du---“, er konnte nicht weitersprechen: Timmrin hatte sein Messer hervorgezogen und es ihm, blind nach hinten stechend, mit aller Kraft in den Rumpf gerammt. Pargolos keuchte. Plötzlich stand er auf und betrachtete ungläubig die blutende Wunde. Dann verdrehte er die Augen und brach zusammen. „Mörder!“, hörte Timmrin eine Stimme brüllen, raffte sich auf, rannte los, bremste aber sofort wieder. Da stand er nun und blickte in die Mündung einer kleinen Pistole. Der Träger war ein Mann mittleren Alters mit nur einem Bein und zwei Krücken. Eine hatte er fallen lassen, um die Waffe zu ziehen. Er trug einen schwarzen Gehrock und einen Zweispitz, an den ein eisernes Veteranenabzeichen geheftet war. Die Augen des Mannes betrachteten Timmrin mit Abscheu: „Das Messer weg!“, sagte er kühl. Timmrin leistete der Aufforderung Folge und schloss die Augen. Nun würde es vorbei sein. Bald darauf hörte er eine Gruppe von Leuten kommen, die sich im flotten Gleichschritt näherten. Es waren Soldaten, die ihn festnahmen und fortbrachten.

      -5-

      Timmrin saß auf dem feuchtkalten Boden einer Gefängniszelle und starrte an die Decke. Es gab eine Pritsche zum Liegen, aber auf der hatte er schon die ganze Nacht gesessen.

      Er dachte an den Tod. Würde man ihn hängen? Vermutlich. Timmrin hatte noch keine Hinrichtung miterlebt. Nur selten wurde eine in den Arbeitervierteln abgehalten. Selbst wenn er eine hätte besuchen wollen, hätte sich dafür wohl kaum Zeit gefunden.

      Die erste Hinrichtung, die er schließlich erleben sollte, würde seine eigene sein.

      Draußen vor der Zelle unterhielten sich zwei Wachen: „Eigentlich könnten sie ihn gleich mit den anderen zusammen exekutieren“, meinte einer.

      „Er bekommt seinen eigenen Prozess, so wie jeder. Du würdest das auch erwarten“, entgegnete sein Gesprächspartner.

      „Ich würde mir aber auch keinen gestohlenen Orden anstecken, in den ersten Bezirk marschieren und einen Mann erdolchen.“

      Der andere entgegnete nichts. Er schien sich nicht mit seinem Kameraden unterhalten zu wollen.

      Timmrin stand auf und ging zur Gittertür. Der Soldat, der zuletzt geredet hatte, drehte sich zu ihm um: „Deine Verhandlung ist schon morgen, heißt´s. Vielleicht hängen sie dich mit den anderen in einer Woche, wirst schon sehen!“

      „Ruhe. Deine Aufgabe ist es nicht, die Gefangenen aufzuklären“, brummte der andere Wächter.

      Timmrin drehte sich weg, lief zur Wand und stemmte sich mit den Handflächen dagegen.

      Warum nur hatte er auf Skhator gehört. Dieser alte Verrückte hatte ihn an den Galgen gebracht. Timmrin wollte wütend werden, als ihm auffiel, dass er keinen wirklichen Zorn mehr in sich trug, nur noch die enttäuschende Akzeptanz seines Schicksals.

      Er hatte nichts verändert und er würde nie etwas ändern. Aber er konnte stolz sein. Er hatte versucht etwas zu bewegen, anders als so viele andere. Aber stimmte das überhaupt?

      Hatte er sich zu etwas schwachsinnigem hinreißen lassen? War er lediglich Teil einer törichten Dummheit geworden, die viele in den Tod geführt hatte? Hatte er sein Glück schließlich unnötig erneut herausgefordert? Hatte er seine Chance verpasst: sogar seine zweite Chance?

      Timmrin wusste keine Antwort auf seine Fragen und diese Unwissenheit quälte ihn.

      Wenigstens würde er ein paar von den anderen wieder sehen, bevor sie ihn töteten. Dann würden sie zusammen untergehen, mit brennenden Fahnen. Doch niemand würde davon überhaupt etwas mitbekommen, zumindest keiner von drüben. Ein paar reiche Bewohner des ersten Bezirks würden ernst dreinblicken, wenn sie die Anklage kurz vor der Hinrichtung verläsen und schließlich beherzt klatschen, während Timm und seine Freunde ihre letzten Atemzüge täten.

      Das