Robert Ullmann

Herbstfeuer


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nach seinem Glas, lehrte es in einem Zug, stand auf und rannte zur Tür, um dem Fremden zu folgen. Erst als er wieder draußen in der Kälte war, begriff er, dass er töricht handelte. Was versprach er sich davon? Es war, als ob ihm eine innere Stimme sagen wollte, dass er dem Alten folgen musste, weil sein Schicksal mit dem seinigen verwoben war. Vielleicht war es auch einfach die Überlegenheit und Stärke des hochgewachsenen Mannes, die Timmrin in seinen Bann zog. Schnell hatte Timmrin ihn eingeholt und blieb wenige Schritte hinter ihm stehen, der Fremde ebenso. Plötzlich riss er wieder seinen Dolch hervor und hob ihn zum Wurf. „Halt“, brüllte Timmrin und hielt beide Hände erschrocken vors Gesicht. „Ich will nichts von Euch!“ „Warum folgst du mir dann“, der Alte ließ den Dolch nicht sinken. „Ich…ich denke, Ihr seid nicht sicher hier“, Timmrin wusste in Wahrheit nicht, was er antworten sollte. „Sah das gerade so aus für dich, als ob ich mich nicht verteidigen könnte?“, der Alte klang noch immer gelassen und kühl. „War das wirklich nötig?“, stammelte Timmrin. „Ich habe mich nur verteidigt“, der Alte senkte langsam die Waffe. „Und die sterben nicht dran, jedenfalls mit etwas Glück nicht.“ Timmrin blickte dem Alten fest in die Augen, welche wie verrosteter Stahl ihren alten Glanz verloren zu haben schienen. Und doch konnte man darauf schließen. „Was wollt Ihr eigentlich hier? Wer seid Ihr und warum tragt Ihr dieses Schwert?“, er betonte die letzten Worte deutlich. „Was geht es dich an“, brummte der Gefragte. „Nichts, es geht mich gar nichts an.“ „Na also, dann sieh zu, dass du verschwindest!“ „Das werde ich nicht. Ich kann es auch gar nicht, wüsste nicht, wohin.“ „Und was kümmert mich das?“ „Das weiß ich im Augenblick noch nicht.“ „Was soll das, bist du besoffen?“, jetzt war ein gereizter Unterton in der ruhigen, tiefrauen Stimme des Alten. „Vielleicht braucht Ihr Hilfe? Ich kenne mich in dieser Gegend aus, bin hier aufgewachsen. Ich kann auf eure Sachen aufpassen, während ihr schlaft“, Timmrin rang merklich nach Argumenten. „Du hast ja eine blühende Fantasie“, spottete der Alte. „Sie zu, dass du Land gewinnst.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging. Da brüllte Timmrin ihm nach: „Warum seid ihr hier, gegen wen werdet ihr kämpfen!“ Jetzt drehte sich der Fremde noch einmal um und ging ein paar Schritte zurück auf Timmrin zu. „Wer sagt, dass ich gegen irgendwas kämpfen werde?“ Timmrin schwieg ihn an. „Weißt du etwas über die wichtigen Persönlichkeiten der Stadt?“, erkundigte sich der Fremdling. „Was genau wollt Ihr von mir wissen?“ „Du bist nicht dumm und du hast Mut“, der Alte lächelte kurz und kaum wahrnehmbar. „Sag mir, wer der Kommandant der Kaserne ist und wer die Stadtgarde anführt.“ „Tarjeff von Tarzo führt die Heimatgardisten in Ersthafen. Der Name des Kommandanten der Dukor-Feste lautet Argahl. Seinen Vornamen kenne ich nicht.“ Als Timmrin den Namen Argahl aussprach, schien es aufzublitzen in den Augen des Fremden. „Das ist…interessant. Stellt sich jetzt nur die Frage, was DU von mir willst?“ „Euch begleiten“, antwortete Timmrin. „Ihr braucht sicher einen Gefährten, einen…Diener.“ Er musste sich überwinden, das auszusprechen. Der Fremde sah ihm eine ganze Weile in die Augen. „Und was sollen deine Dienste kosten?“ „Einstweilen nur ein Dach über dem Kopf und eine Mahlzeit am Tag.“ Da gab ihm der Alte schließlich zur Antwort: „Du bleibst drei Schritte hinter mir, immer! Du sagst nichts. Du gibst nicht mal einen Laut von dir, wenn ich es nicht sage. Meine Sachen fasst du nicht an. Und wenn ich sage, du sollst verschwinden, dann verschwindest du.“ „Ganz wie Ihr wollt“, Timmrin war angespannt und erleichtert zugleich. „Wo werden wir hingehen? Wir müssen diesen Ort schnell verlassen.“ „Wir gehen nirgendwo hin“, korrigierte ihn der Alte. „Ich gehe ins Händlerviertel und du folgst mir. Dort werden wir uns Quartier für die Nacht suchen…und einen Ofen, um deine schimmelnde Jacke zu trocknen.“ Seine Jacke war nicht schimmlig. Und außerdem fand es Timmrin alles andere als nötig, wie der Alte mit ihm umsprang. Aber er wusste, dass es eine Chance bedeuten konnte und so trottete er ihm nach durch die finsteren Gassen zurück ins Händlerviertel, wo sie sich im Gasthof „zum alten Brunnen“ einmieteten. Es war noch vor dem Morgengrauen, als Timmrin erwachte. Erschrocken drehte er sich im Bett um - seine Erinnerungen hatten ihn in den Träumen eingeholt. Er wusste zuerst nicht, wo er sich befand, doch er spürte, dass es warm war, warm und behaglich. Er lag in weichen Daunen. Es war fast dunkel, nur der Schein einer Kerze warf etwas Licht in den Raum. In jenem Schimmer konnte Timmrin seinen Begleiter erkennen, der auf dem anderen der zwei Betten im Raum saß. Er hatte seinen langen Pallasch über die Beine gelegt und polierte langsam und bedächtig die Klinge des schweren Degens mit einem Tuch. Weil sein Oberkörper nicht bekleidet war, konnte Timmrin jetzt sehen, dass er sehr muskulös war. Eine kleine Narbe zierte die rechte Schulter und eine andere verlief quer über die Brust. Unter dem Kinn fiel Timmrin noch eine weitere auf, die sich knapp über dem Kehlkopf vorbei den Hals entlang zog. Timmrin wollte leise etwas sagen, schloss dann aber die Augen und schlief sofort wieder ein. Als er abermals erwachte, fiel Licht durch die Fenster. Er war noch nicht ganz bei sich, als er die Worte des Alten vernahm: „Für einen aus dem Arbeiterviertel schläfst du aber ganz schön lange. Steh auf, es gibt viel zu tun.“ Was der Alte wohl meinte. Timmrim war neugierig, es zu erfahren. „Hatte ich dich schon nach deinem Namen gefragt?“, wollte der Fremde wissen. „Ich heiße Timmrin Adom. Und Ihr?“ „Timm also!“ „Man nennt mich nicht Timm“, Timmrin gab sich Mühe, nicht gereizt zu klingen. „Und warum?“ „Mein Vater hieß Timmrol. Wir redeten uns immer mit vollem Namen an.“ „Aber dein Vater lebt nicht mehr, oder?“ „Nein, er starb im Krieg.“ „Dann werde ich dich Timm nennen.“ Timmrin war gereizt. Die Grobheit des Alten passte ihm nicht. Er war vielerlei Grobheit gewöhnt. Respektlos oder herablassend behandelt zu werden war auch alles andre als fremd für ihn. Aber dieser Kerl hatte nicht wirklich einen Grund so mit ihm umzuspringen. „Nun, nennt mich wie Ihr wollt. Darf ich Euren Namen auch erfahren?“ „Skhat heiße ich“, antwortete der Alte knapp. Timmrin fragte nicht weiter nach dem Zunamen. Außerdem glaubte er keinesfalls, dass der Mann Skhat hieß. Dieser Wortlaut konnte bestenfalls eine Abkürzung sein, die wohl für Skhator stehen musste. Der Fremde schien nicht viel über sich preisgeben zu wollen. „Steh auf und zieh deine Sachen an“, Skhat deutete auf den kleinen Tisch in der Ecke des Raumes, wo Timmrins Klamotten lagen. „Ich habe sie heute Nacht trocknen lassen unten in der Stube. Danach wirst du dich zu einem Schneider begeben und dir etwas zweckmäßigere Kleidung besorgen.“ „Zweckmäßig?“, fragte Timmrin. „Ja“, antwortete Skhat. „Du wirst für mich ein paar Dinge in Erfahrung bringen. Ich will nicht, dass du dabei unnötig auffällst.“ „Ich habe kein Geld für Kleidung!“, Timmrin richtete sich im Bett auf. „Auf dem Tisch liegt ein Beutel. Der Inhalt sollte ausreichen, deine Ausgaben zu decken“, der Alte ging rüber zum Fenster und blickte auf die Straße hinaus. Timmrin stand auf, ging zum Tisch und zog seine Sachen an. „Was genau soll ich für Euch tun?“ „Das ist einfach“, Skhat wandte sich zu seinem Gesprächspartner um. „Ich werde dir einen Orden geben: den eines Veteranen, den Silberzahn, ein Tapferkeitsorden! Du wirst ihn tragen.“ „Das…das ist gefährlich…und wird hart bestraft!“, Timmrin gab sich Mühe, über ein solches Angebot schockiert zu wirken. „Wie kommt Ihr überhaupt darauf, dass ich so etwas tun würde – das Gesetz brechen?“ „Welches Gesetz?“ „Was ist das für eine Frage?“ „Das Gesetz, dass den Schwachen unterdrückt und den Starken fett und träge werden lässt?“, der Alte klang wie immer ruhig, beinahe monoton. Timmrin setzte sich aufs Bett, dachte nach. Dann antworte er: „Gesetz ist Gesetz! Warum verlangt Ihr so etwas von mir und was soll ich überhaupt mit diesem Orden?“ „Mit ihm gelangst du in den ersten Bezirk.“ Timmrin wurde hellhörig. Das Reichenviertel, ein Ort, an dem er noch nie gewesen ist, noch jemals zu träumen gewagt hätte, ihn zu betreten, ein Ort, der auf ihn ebenso abstoßend wie faszinierend wirkte. Timmrin hatte sich oft vorgestellt, heimlich hinüber zu schwimmen und die hohe Kaimauer hinaufzuklettern, um hinein zu gelangen. „Was soll ich im Reichenviertel? Und warum wollt Ihr mich zur Straftat anheuern? Ihr begeht einen schwerwiegenden Verstoß in diesem Augenblick!“, Timmrin hatte die Gedanken der Neugierde vertrieben und sich die Risiken wieder vor Augen geführt – Gefängnis in Ersthafen, eine mit dem Tod gleichzusetzende Strafe. „Du bist hier, anstatt einer Arbeit nachzugehen, obgleich du gesund bist. Das ist doch richtig, oder?“, fragte Skhat. „Was hat das denn damit zu tun?“, Timmrin wurde ungeduldig. „Ganz einfach, du hast keine Lebensgrundlage. Wahrscheinlich bist du ohnehin ein Dieb oder ein Halsabschneider oder warum bietest du einem Kerl deine Dienste an, der vor deinen Augen drei Männer niedergestochen hat?“ Die Worte des Alten gaben Timmrin