- Joshi

Aficionados - Der Zauber der Giacomettis


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Warum eigentlich nicht? Wenn mich auf der Landstraße mit Alex das Quatschen gerettet hat – und jetzt habe ich keine Landstraße und keine Alex mehr – dann rettet mich vielleicht jetzt das Schreiben. Und schreiben kann doch jeder. Jetzt mach ich mal, was jeder kann. Schreiben ist Schwerstarbeit, stelle ich fest. Das anfängliche Saufen von Wein führt zu Tippfehlern, das Korrigieren hemmt meine Denkmaschine. Daher saufe ich wieder Wein, noch mehr Fehler. Ich gehe jeden Morgen spazieren und bleibe fit, denn nach sechs Stunden Sitzen tut einem schon der Rücken weh. Ich laufe sogar etwas, versuche es auf dem Rasen, meine Beine fühlen sich die ersten Tage an wie Beton, aber das regelmäßige Aufstehen lässt mich in eine Art Kampfeshaltung geraten, ich steuere schon immer mit ausgestreckten Armen auf meine Haustür zu, bringe die Kampfgreifer beim Treppensteigen in Stellung wie Greifarme, damit ich gleich am Rechner die Tastatur bearbeiten kann. Die Schuhe schaben die Treppenstufen ab, ich kann gar nicht schnell genug hoch, wie ich hinauf will. Wer im vierten Stock wohnt, merkt natürlich erst auf der untersten Treppenstufe, dass er was vergessen hat. Dann muss man noch mal hoch. Mit der Zeit merke ich: das macht fit und vergesse absichtlich was. Am frühen Vormittag trinke ich draußen meinen Kaffee, dann schreibe ich, gehe erst wieder um 19.30 Uhr runter, pendele erneut beim Café vorbei, hole liegengelassene Zeitungen, das ist mein ganzer Kontakte mit der Außenwelt in den nächsten Wochen: „Kann ich die haben?“, mehr rede ich nicht14. Oliven, schwarz, das knabber ich den ganzen Tag, sonst nichts. Sonst nichts wird mein bestimmender Gedanke. Schaufel die Oliven nur so in mich rein. Diese Selbstkasteiung macht zunehmend süchtig, weil man endlich mal wirklich loskommt von allem, man fühlt sich wie Lawrence von Arabien, ein Peter O`Toole in Reinkultur und will noch besser werden als er, ihn übertreffen. Das geht natürlich nicht, aber irgendeinen Maßstab muss man ja haben. Alle zwei Tage esse ich gar nichts, der eigene Körper wird sozusagen zum Empty Room, alles Völlende lasse ich weg, kommt wirklich mal so etwas wie ein Hungergefühl auf, dann ist das ja gar kein richtiger Hunger15, „it`s all in your Head“, dann zerbeiß ich eine rote Peperoni, das Zeug is so scharf, dass die Zunge erstmal durchs Zimmer tanzt, aber da vergeht einem der Appetit und man fängt an zu schwitzen. Dann merkt man, dass die rote Peperoni eigentlich eine Chili ist und ihr Inhaltsstoff, Capsaicin, den Körper regelrecht von innen auffrisst. Das gleiche gilt für Knoblauch, man spürt förmlich wie er durch die Gefäße rennt und allen Dreck einsammelt damit er sich nicht an den Thrombozyten festsaugt. Wer beim Reinbeißen in die rohe Zehe nicht mindestens ein Gefühl für den eigenen Mundraum entwickelt, sollte die Marke wechseln, das Zeug muss brennen, verbrennen. „In unserer Gesellschaft werden die Leute zu sehr verhätschelt, deshalb sind sie so gelangweilt“ plärren mir irgendwelche Metal–Buben 16 auf arte vor, das kann ich mit jedem Bissen nur unterschreiben. Abnehmen funktioniert von innen. Schwitzen ist Wasserverlust und daraus bestehen wir nun mal hauptsächlich. In ne blöde Sauna gehen ist mir zu eklig, kann nackte Menschen nicht ausstehen, da zieh ich mir lieber nen Winterpullover an im Hochsommer, aus Schafswolle, darüber ne Thermojacke, da schwitzt die Haut zu Zwiebelpapier, bis der Schweiß Pfützen hinterher schleppt wie Linus17 seine Schmusedecke. Winterpullover mit Brustreißverschluss vertikal, darunter T-Shirt, V-Ausschnitt, dunkel, keine Jacke, das kommt sexy. Is ne alberne Annahme, alles was glänzt oder glatt daherkommt mache von alleine sexy. Der fellige Pullover lässt einen bei hohen Temperaturen gemütlich schwitzen, man badet in der eigenen Suppe, die einem vom Kopf hinter den Ohren am Hals herunterläuft. Die Nässe der Nackenhaare lässt einen jede leichte Brise fühlen. Der Reißverschluss dient zur Betonung des Halsansatzes. So jogge ich nicht nur täglich bei 35 Grad durch den Tiergarten, ich behalte das Ding einfach den ganzen Tag an, in meiner Dachkammer. -- Peperoni machen süchtig, Schmerz macht süchtig. Nach ein paar Tagen gewöhnt man sich an die Schärfe und kann selbst Knoblauchzehen roh essen, bis man täglich ne Knolle verdrückt. Dann merkt man erst, was für ne Lullersoße Hefeweizen Bier war, das soll mal schön dieser Waldi18 saufen, dem steht wenigstens auch das Fettsein. Der trockene Weißwein kitzelt den Magen, man fühlt sich schlecht, es schmeckt nach gar nichts - also beste Voraussetzung zum Schreiben. Ich habe mich auf nen Kalifornischen Chardonnay festgelegt, schneide Limetten in Scheiben, die schwimmen in meinem Weinglas als Geschmacksirgendwas. Kombiniert man Krautsalat mit Weißwein, springt einem der Magen im Dreieck, weil Säure und Essig sich überhaupt nicht vertragen, merke ich. Wieder steigt diese Wärme im Körper auf, man denkt, genau, jetzt musst du dir was Gutes tun und beginnt zu schreiben. Ich nutze das wieder aufgenommene Weingesaufe und die Übermüdung als meine Droge. Selbst wenn ich um 1.30 Uhr ins Bett gehe, stehe ich um 4.45 Uhr wieder auf, ziehe meine Turnschuhe an und los. Das Spazierengehen dient zum Entzug der Droge. Einlassen, Ablassen, neu aufbauen, sonst kommt man in diesen Kick-Kreislauf und da passiert dann gar nichts mehr. Das scheiß Buch wird mir den Sommer rauben, den Sommer 2012, stelle ich fest, schon wieder. Während die anderen am See liegen, macht der Leo Kunst, diesmal schreibt er einen Porno-Roman. Aber die Vorstellung treibt mich an, ich erhöhe mein Schreibtempo fast täglich. Die Vorstellung macht mich kirre, dass die beiden, Carl und Alex, am See liegen, er sich in sie reindrückt, tiefer und immer öfter, und schließlich beide anfangen zu lachen: Der Leo is doch `n Dummkopf, und Alex sagt: „Noch ein Stößerchen für Leo, Carl, ist es nicht wunderschön hier?“ „Bringt mir das kleine Arschloch her“, schimpft der Produzent, „bevor ich hier in Mitleid ersaufe!“ Er steigert seine Stimmlautstärke bis zu einem hochroten Kopf. Auf seiner Bettdecke thront sein wieder aufgetauchter Laptop. „Ich sage dir Carl, die stecken dich in den Knast, so völlig humorlos, und dann wird’s kein lustiges Klaviervorspielen mit Berlusconi mehr geben!“ „Wir tun ja was wir können“, versucht Carl zu beschwichtigen. „Leo stellt eben Bedingungen.“ „Was denn für Bedingungen? Ich bin der Produzent, ich bin die einzige Bedingung. Ist der bekloppt geworden? Der soll seinen Text lernen, der kleine Blödmann!“ „Er will, dass ich vier Tage mit ihm schlafe“, purzelt es Alex heraus. Der verfettete Produzent sieht die dünne Alex an, zupft an seinem Hosenträger und fragt: „Dich dürres Gestell? Mit was denn? Der kommt doch bei dir hinten wieder raus.“ „Jetzt werd mal nicht frech, du Fettsack“, poltert Alex zurück. „Ihr meint, der kleine Spinner hat sich in deine dürre Freundin verkuckt, Carl?“ „Na ganz so wissen wir`s nich, aber müssen wa doch hier nicht alles ausarbeiten oder?“ „Müssen wa sehr wohl“, schreit der Produzent, Krümel spuckend. Carl merkt, da zeigt sich ihm einer, der die ganze Last eines Studiosystems auf sich trägt. Der Produzent wird leise, fasst sich: „Eure Kinderkacke kostest nur 200 Millionen, is aber gekoppelt in nem Paket, da hängt halb China dran, und“, weint er nun fast, „die Kanadier sind auch mit drin.“ „Kanadier?“ stutzt Alex, die jetzt an den Schuhladen denken muss, die Lunge, dieses Gefühl an ihrer Wade, die kleine Frau. „Ja, die sind von stupender Gelehrsamkeit, erstaunliches Wissen. Da reden alle von den Deutschen, aber die Kanadier, da bringt jeder Typ quasi sein eigenes Labor mit, das sind wandelnde Analytiker, die Bäume fällen können, ne ganz gefährliche Kombination. Und der Chinese, na viel Spaß, Carl, euch beide möchte ich sehen in Gefängniskleidung. Die kommen alle zum Treffen nach Berlin, da habt ihr, Du und Leo, gefälligst freudige Pfannekuchen zu mimen, wir präparieren schließlich jetzt schon an der Preview-Party rum, in zwei Monaten, ein Riesending!“ Alex´ und Carls Augen weiten sich. „Zwei Monate? Wir haben doch noch gar nichts gedreht.“ „Is doch scheißegal“, raunzt der Produzent, „ihr seid ne Marke, da braucht man kein Produkt, mit was für Hirnakrobaten habe ich`s hier eigentlich zu tun?“ Dann Stirnfalten: „Stellt der das Geschreibe etwa ins Internet? Dann bin ich erledigt!“ „Nein, der Leo hat doch kein Internet. Kennste nich sein berühmtes Bild? `Seit Februar 08 kein Internet´?“ „Nee, Bilder kucke ich mir nur beim Film an.“ Und nach einer Pause: „Na dann fährt die Kleine da eben hin, wenn er sonst nicht drehen will. Soll er vier Tage in ihr rumbohren und dann ab mit dem Leo - hierher. Wo is das Problem?“ „Wo das Problem liegt?“ schimpft Alex später in der Kneipe. „Das fette Produzentenarschloch hat wohl vergessen, dass der Leo schon gar nicht mehr weiß, wie sich ne Frau anfühlt. Vielleicht bricht der mir da noch irgendwas ab mit seinen Turnübungen. Ich schlaf nicht mit Männern, die kleiner sind als ich, schon aus Prinzip nicht! Könnt ihr den Produzenten nicht rausschmeißen?