auf der Bettkante saß und sagte druckvoll: „Hier gibt es keine Penner. Hier sind alle gleich, hier sind nämlich nur die, die woanders nicht mehr sein können.“ Der Produzent blickte kurz aus seiner beleidigten Sitzposition auf. Der Arzt schnurrte weiter: „Und wenn Sie hier mit nem Haufen Zebras die Hütte teilen, hier sind alle gleich und zwar gleich krank. Merken Sie sich das und erst wenn Sie in ein paar Monaten vor mir stehen und glaubwürdig versichern können ‘Ich bin alkoholkrank’, dürfen Sie mal ein bisschen Luft schnuppern.“ „Carl… !“ richtete der Produzent seinen Blick auf den Arzt und dann einfach durch ihn hindurch, „…nimm den Kittelmann zur Seite, wir machen geschäftlich, was redet der hier von Monaten?“ „Zwecklos“, trat der Arzt den Rückzug an, nicht ohne zu erwähnen, ihm sei es egal, und der Herr Produzent könne jederzeit gehen, das sei hier freiwillig, soll er sich doch woanders zugrunde richten. Der Produzent winkte Carl und Leo heran, die sich jeder mit einem Stuhl zu ihm setzten. „Habt ihr die Mücke schon erreicht? Die is verschollen.“ Das meinte der Produzent ernsthaft, aber Carl, grinste: „Nee, die is auch hier im Krankenhaus, hat n Splitter im Fuß, weißt du doch, letztens is die Bühne eingekracht.“ „Wie denn sowas?“ „Ich hab ihr Theaterstück finanziert. Da hat sie auf die Bühne gleich 200 Leute gestellt, sechs Pferde und acht Ziegen, irgendwann haben sich unter dem Getrampel die Holzleisten ergeben. Das sollte ich ersetzen. Ersetzen? fragte ich, kenn ich nicht. Da hab ich gleich das komplette Theater gekauft. Jetzt haben wir alle Sitzreihen rausgerissen und die Zuschauer müssen stehen. Plötzlich ist das Haus immer voll. Und Mücke studiert brav zusätzlich noch Theaterintendanz, da kann se dann gleich alles übernehmen und alleine managen.“ „Bei Mückes Stück kamen doch kaum Leute. Das hatte doch so nen beknackten Titel.“ „Ja: ‘Käse Ziegen Ziegen Käse’, konnte keiner aussprechen, kam auch keiner.“ „Euern Titel müsst ihr auch noch ändern, Carl. ‘So ein geiler Titel…‘ is doch kein Filmtitel.“ „Machen wa schon noch, sind doch schon in den Vorbereitungen, siehste doch, da steht der Leo, der spielt den Leo.“ „Dass der den auch wirklich spielt“, wurde der Produzent eindringlich. „Steht im Vertrag, die ziehen euch das Fell über die Ohren, die haben sich versichern lassen, da zahlt ganz Nordamerika ab, wenn ihr das nicht auf die Reihe kriegt.“ „Aber ich muss doch den Leo spielen, ein bisschen was ham wa ooch kapiert“, konterte Leo. „Und das mit dem Saufen is eben so. Jetzt mal Schluss.“ „Genau“, sagte Carl, „das sagt der richtige“, tippte auf meinen Bauch und zischte: „Weizenbier. Dann mal weiter machen, Herr Produzent, wir schicken euch nen Drehbuchentwurf in ein paar Wochen.“ „Ja schickt mal, dann ist hoffentlich auch mein Laptop wieder aufgetaucht“, er flüsterte: „I saw you only standing there…Huh…huh!“ „He“, protestierte Leo beim Rausgehen, „das is mein Song, mein Text.“ „Ja, ja!“, brüllte der Produzent, „läuft hier stündlich im Radio, red du mal….“ Wir gingen zu Mücke, die mit einem Elefantenfuß über den Flur humpelte: „Zwölf Operationen, zu blöd nen Splitter rauszuholen, Lymphsystem anschneiden, Eiter nich von Schorf unterscheiden können, was n das für n Krankenhaus hier? Schlächter sind das, schlimmer als im Kosovo.“ „Hier is der Leo. “, sagte Carl zu Mücke als Einleitung, „er hat dein Stück aber nich gesehen, war mit Alex in ner Kneipe.“ Wir gingen raus, Mücke begleitend, humpelten wir ein bisschen mit, damit’s was zu lachen gab. Grün. Rasen. Mücke saß mit ihrem Gipsbein mehr schlecht als recht auf dem Rasenstück, von ihrem Joghurtbecher aufsehend, sagte sie zu mir: „Das is jetzt echt aber n Flash, dass du hier vor mir sitzt. Ich kenn dich ja nur als Kunstfigur.“ Da war das Wort wieder. Mir wurde klar, die wird mich auch nicht küssen. „So was bin ich nicht gewohnt“, sagte Mücke, „dass einer wie der Leo leibhaftig vor dir sitzt?“ lachte Carl. „Ich kann ja auch liegen“, sagte ich. „Da siehst du es, Carl, diese Scheiß Berühmtheit lässt die Leute wie durchgeknallte Männchen über die Tische hüpfen oder vor Ehrfurcht zu Stein erstarren.“ „Das schafft die Mücke schon“, sagte Carl, „du musst dich eben mal an die große Welt gewöhnen, sollst ja mal später großes Theater machen und nicht weniger will ich von dir sehen.“ Mücke sah Carl sanft lächelnd an, dann wendete sie das Lächeln zu mir: „Hab schon gehört, bist jetzt Alexens Streetdesigner, Modefachmann sagt man ja nicht mehr, ha, ja, das macht dir wohl Spaß, mit nem schnieken Mädchen Verkäufer zu erschrecken?“ „Oh, der Leo geht da richtig drin auf“, warf Carl ein. „Alex berichtet mir jeden Abend, wie toll es mit ihm ist.“ „Was, die ruft dich dauernd an?“ fragte ich erstaunt. „Naja, ich will die ja auch mal wieder sprechen. Hab dir hier kein Alex-Abo geschenkt.“ „Ach die Alex geht mir auf den Geist“, sagte Mücke und rückte ihre schwarze Brille nochmal zurecht, so eine wie ich sie habe, aber ihre eben mit zwei Bügeln, statt nur einem. „Die geht eigentlich allen früher oder später auf den Geist“, trällerte Mücke, „das dreht sich bei der ja immer im Kreis. Ich bin es leid, mir stundenlang die Wahl der Farbe eines Schals erklärn zu lassen.“ „Ich find’s niedlich“, verteidigte ich als Leo meine Alex. „Du bist ja auch bald wieder weg – wir müssen Frau Spring-Herum hier n ganzes Jahr ertragen.“ „Ich ertrag das gern“, sagte jetzt auch Carl. „Waren gerade beim Produzenten, Saufalarm, kaltgestellt auf der Entzugs.“ „Ja, ja“, sagte Mücke, „der hat ja auch gebechert, sogar bis alle gegangen sind, so n Scheiß Catering machen wa auch nich nochmal, is beim Film wohl so üblich. An alle Anfänger: Wir haben’s schon durch, nie Fressen und Alk hinstellen.“ „Na immerhin“, atmete ich, der Leo, beschwichtigend durch, „sind wir für unseren Film jetzt hier, und haben nen Löwen als Logo“, ich grinste, Mücke grinste nicht. „Na, verstehste?“ sagte Carl, „da brüllt ein Löwe – ein Leo.“
Der Vorfall mit dem Papageienkleid
Der Abend wurde spannend, wir warteten in der Küche auf die ersten Meldungen von Alex’ Familienparty. Erstaunlicherweise passierte nichts. Um die Spannung zu erhöhen, bauten wir uns auf dem Küchentisch fast einen Alex-Schrein, voll mit Alex verdächtigem Zeugs, dazu die Bronzefiguren von Giacometti, aufgereiht wie Oscar-Statuen. Carl ließen sie eher kalt. „Was habt ihr denn da getrieben in Augsburg, dass ihr diese hässlichen Dinger hergeschleppt habt?“ Er drehte sie ein bisschen hin-und her, mit sowas dürrem, ungeschliffenen kann man Carl nun wirklich nicht beeindrucken. „Mh, wenn man denen Beutel umhängt könnten sie zumindest als Teekanne...“ „Nee, nee“, sagte ich, „die suchen keine Verwendung, das ist wieder so n Kunstwerk, aus der Not geborn, aus Materialmangel sozusagen. Zu der Zeit als die Dürr-Männchen entstanden sind, war Bronze am einfachsten verfügbar. Und ich finde, da hat er was geschaffen, das sich jeglichem Urteil entzieht, musste erstmal schaffen.“ Carl stimmte zu: „Die haben wirklich keine anachronistisch-nostalgische Ausstrahlung. Aber weshalb so dürre, und so geschlechtslos? Irgendwie deprimieren die mich.“ „Ach nee“, sagte ich, „ich find die lustig, wie die da in ihrer Verkrumpeltheit versuchen, gerade auf zwei Beinen zu stehen, so ganz aufrecht.“ „Na, aber“, sagte Carl, „wenn ich Skulpturen bauen würde, dann doch eher sowas wie die Griechen, in Lebensgröße, da könnte sich doch jeder Mann sein eigenes Modell zum Anfassen anfertigen.“ „Ja“, sagte ich, „ne Wichsvorlage in Echtzeit. Antike-porno. Michelangelo baut sich seine Männer, um ihnen ans Genital zu fassen. Alex würde natürlich die Hände und Füße weglassen.“ „Ja“, sagte Carl, „Torso“, „Nee, El Topo“12, erwiderte ich. „Torso!“ bestand Carl drauf, „da waren die Griechen konsequent, die haben gleich nur noch den Rumpf belassen!“ „Genau, ohne Arme, das gefiele Alex, die beschwert sich doch andauernd über ihre Hängeärmchen.“ „Nee“, wusste Carl, „Konsequenz ist bestimmt nicht Alex’ Stärke.“ Dann klingelte Carls Telefon. Es war dieser Flutsch-Sendeton, als verschluckte sich die Elektronik. Alex schickte ein erstes Foto von ihrer Familienparty, dachten wir zumindest. Beim aus dem Fenster Sehen waren wir verblüfft, es war noch nicht mal dunkel, die hat’s aber eilig. Was wir da noch nicht ahnen konnten, das erste Foto von Alex würde auch das einzige bleiben, für den ganzen Abend. Dafür war es aber auch wirklich top. Es war das Foto von ihrem Kleid, dem Papageienkleid, wie ein Starschnitt sah sie aus, vertikal, von hinten aufgenommen. In diesem Kleid. Tatsächlich, sie stand an die Wand gelehnt, hatte ihr Papageienkleid an, die Arme hoch gebeugt wie zur Leibesvisitation, die flachen Hände angedrückt über Kopf an das Mauerwerk, links und rechts an der Wand. Die vom Nacken abwärts bis zum Po-Ansatz abfallenden Rüschen links und rechts brachten ihren Rücken gut raus,