hatte, mit dem Landschaftsmaler Lorrain0, und wenn dessen Wellen braun badeten, malte Turner sie noch gischtiger, und wenn dessen Berge verschneit waren, malte Turner sie noch flockenverdichteter. Dabei stimmte das gar nicht. Lorrain lebte viele Jahre früher, Turner bewunderte ihn nur, ich brachte alles wieder durcheinander, aber – ich fühlte mich besser. Die Alex ließ mich, was ich am besten konnte: quatschen. Das rettete mich. „Bei euch gibt es aber nette Leute“, sagte ich. „Ich finde diese bescheidene Einfachheit inzwischen viel spannender als dieses Rumgeturne auf dem Kunsttrapez da oben.“ „Ja“, triumphierte Alex, „da habe ich Glück gehabt. Bin auch erst zwei Monate hier. Und den Carl kenn ich also auch erst zwei Monate, na was man so kennen nennen beim Sehen kann.“ „Du meinst kennen vom Sehen nennen?“ Meinen Einwurf ignorierte sie. „Erst dacht ich immer, wer ist denn dieser ‘Berli’ und wer ‘Pauli’? Hab echt gebraucht, um dahinter zu kommen.“ Ich stutzte: „Wie, du liest die Textmails von Carl? Eines Carl C. Wildes Textnachrichten liest man doch nicht!“ „Nein, nein“, beruhigte Alex, „die zeigt er immer rum und dabei lacht er so verschmitzt, hat wohl mal mit diesem Berlusconi im Gefängnis gesessen und Pauli is natürlich der Papst, nur damit die Mails, falls die einer knackt, du verstehst …“ Ich schwieg, weil ich gar nichts verstand. Alex erklärte geduldig: „Carl muss sich auch jedes Halbjahr ein neues Auto kaufen, hier im Ort waren Zinnober/Cinnabar führend, jetze aber Blau/Metallic. Also muss er wieder los.“ Das ist doch Porno, dachte ich, Chrom Metallicgesabbere, Auto-Porno, nur Fassade! Was macht der Carl denn hier, was zieht der hier ab? Dann wurde mir klar, dass die uns für Berühmtheiten halten, den Carl und mich. Ach Quatsch, Blödsinn, wir sind berühmt! Na klar, dem Carl war das völlig egal. Während ich in Berlin schon zusammenzuckte, wenn mich einer nur anstarrte, knallte Carl hier seine Storys raus. Der warf hier nur so um sich. „Das erzählt euch der Carl so einfach alles?“, fragte ich ungläubig. Daraufhin wackelte Alex lustig mit den Schultern, wippte am Lenkrad wie Chaka Khan und trat aufs Gaspedal. Als sich der nächste Landstraßenhimmel aufmachte, lachte Alex sogar laut: „Aber Leo, muss er doch, er will doch das Buch verfilmen. Da braucht er jede Aufmerksamkeit. Is n richtiger Werbefilou der Carl, hat euch ja auch nach oben gebracht.“ Tja, das stimmte allerdings, dachte ich resignierend. Carl schien sein Selbstbewusstsein anderen wie eine Plastiktüte überzustülpen, so dass die gar nicht mehr anders konnten, als Erfolg zu haben. „Wieso sollst du eigentlich Regie führen?“ „Ich?“ fragte ich überrascht. „Find ich blöd“, legte Alex nach, „dass du dich auch noch selber spielen sollst.“ „Ich?“ „Du bist doch n bekannter Künstler, da könnt ihr euch doch Stars leisten.“ „Wie meinst du das?“, spielte ich kurz den Beleidigten, „entweder ziehen wir das hier durch mit dieser Berühmtheit oder dampfen Carl und mich wieder auf Normalniveau.“ Alex spielte brav mit: „Entschuldige Leo – ach – Ihr seid ja die Stars. Hach Leo, ich bin sowas nicht gewöhnt“ – und trat wieder einmal kräftig aufs Gaspedal. Jedes Mal ruckte es mich im Beifahrersitz nach hinten, mein Kopf knallte gegen die Nackenstütze, was Alex ebenfalls jedes Mal ein zufriedenes Kichern abrang. Ich musste irgendwie zusehen, das Gespräch zu bremsen, die Fahrt aus der Unterhaltung nehmen, weil die Frau bei jedem ausstöhnenden „Hach“ ihren Fuß auf dieses Pedal drückte. Wem nutzte schon ein Leo mit nem platten Hinterkopf? Oder sah beim Aussteigen jeder so aus, den sie irgendwo hinfuhr? „Genau“, schrie ich gegen das Dröhnen des Motors an, „wir sind die Stars!“, war aber gleich wieder leiser: „Das is doch der Beschiss. Biste erstmal groß, traut sich keiner mehr ran an dich. David Hockney pur; als der sein erstes Millionenbild gemalt hat, da konnte er seinen Freunden keine mehr verkaufen. Du bist zu teuer, jammerten die, und was hat er gemacht? Nich blöde, der Hockney, er versendete die Dinger per Fax.“ „Hockey?“ schrie Alex durch den Motorenlärm zurück. „Nee, H-o-c-k-n-e-y. In den 60ern, seine Swimmingpools, hatte Glück, weil, danach kam dieser Manson und dessen Auffassung von Swimmingpools…, da wollte plötzlich keiner mehr Hockney kaufen, ach, das führt zu weit…die 60er…“ Und da sagte Alex ihren zweiten berühmten Satz, neben „Hallo, hier is die Alex!.“ Sie sagte: „Da war ich noch nicht geborn.“ „Was machst du sonst in Berlin?“, fragte sie, als mir entwöhntem Stadtmenschen sogar vorbeiziehende Pferde und Kühe auf Weiden als kleine Wunderwerke der Schöpfung vorkamen. „Hab mein Haus gekauft, das in dem ich wohne, will doch jeder mal? Hab die sogar alle drinnen wohnen lassen. Und zwei Bibliotheken, muss ich die Bücher nich mehr zuhause stapeln!“ Alex lobte: „Toll, Leo.“ Ich erzählte ihr mein Nicht-Rausgeh-Dilemma und dass ich Serien wie „Boardwalk Empire“ und „Sopranos“ durch zehn Mal hintereinander kucken analysierte. „Nicht sehr spannend“, gab Alex zu. „Wegen Steve Buscemi“, ergänzte ich, „die ‘Sopranos’ wegen…auch wegen Steve Buscemi…“ Da gähnte Alex, hielt sich die rechte Hand vor den Mund und löste diese dazu vom Lenkrad, während die linke da eh die ganze Fahrt noch nicht zugepackt hatte. Panik ergriff mich, wir schlingerten, und ich war drauf und dran einzugreifen, nur wie? Ich klemmte ja selbst zwischen Nackenstütze und Sicherheitsgurt. Ich wunderte mich, dass mir im rechten Gesichtsfeld immer so ein Schatten vor den Augen flatterte, bis ich bemerkte, dass da draußen so ne Drahtstange wie wild hin und her wedelte. Ne alte Antenne, dachte ich, sowas hatte die hier noch – ich sah mich verschüchtert um und bemerkte, dass ich in so ner uralt Schrottkarre gefangen saß, bei der sich unter Alex’ Fahrstil ihre Radioantenne draußen munter einen runterjodelte, die beiden schienen sich zuzugrinsen wie alte Freunde. Wenn meine Antenne nicht wackelt, bin ich nicht glücklich. Ich zeigte auf das Schüttelding, aber Alex ging erst gar nicht drauf ein, schien nicht mal zu merken, dass sie wie ne besoffene Nachtblinde munter über die Landstraße juckelte und sagte: „Da tut dir so n bisschen Realität ja richtig gut, Leo.“ Und Alex beschloss, unsere Augsburgfahrt zum Anfang meiner Therapie zu küren. „Therapie von was?“, fragte ich leicht hysterisch, mir tat schon die rechte Hand weh vom Festklammern. „Was machst du denn da?“ fragte Alex amüsiert und ruckelte in ihrem Fahrersitz herum wie ne flötende Ente auf’m Ententeich. Sie lachte sich eins. „Du siehst aus Leo, entschuldige, aber als wenn du dir da unterm Handschuhfach einen runterholst.“ „Was hole ich?“ fragte ich verängstigt. „Wovon willst du mich therapieren?“ Mir schien, als würde Schweiß meine Schläfen herunter laufen, und es war auch genau so. „Na Berlin“, frohlockte Alex, „ich therapier dich von deinem scheiß Berlin.“ Ich ertappte mich dabei, plötzlich Sehnsucht zu fühlen nach eben diesem scheiß Berlin, nach diesem netten „dit wird nüscht“-Aufmunterungsgerufe, das einen nur noch aggressiver seine Sache verfolgen lässt, das einen so aufzubauen vermag, dass man irgendwann die Straße langläuft und alles wegrammt; „und denne, denne wirste sehen, wird dit wat“ is ja auch ne Art Ansporn. Außerdem mag ich das Wort „Therapie“ nicht. Alex grübelte: „Na gut, dann nennen wir es Stufe zünden, wir zünden bei dir ne Raketenstufe, einverstanden?“ Die Vorstellung, dass mir Flammen aus dem Hintern raus kämen, tröstete mich nun auch nicht gerade. „Hach, Leo, so ne Rakete hat doch mehrere Stufen, erstmal Ballast abwerfen, das Schwerste, da fahren wir gerade hin, und dann zünden wir dir die nächsten Stufen, bis du am Ende alleine im Cockpit sitzt und alles fitty ist, okay?“ Sie gab sich ja wirklich Mühe mit mir, und das mit dem In ner Rakete Sitzen kam in jedem ihrer Lenkradschlenker und Pedaldurchtreter verdammt gut zum Ausdruck. Gut, also, Leo im Stufenprogramm, einverstanden. Andächtiges Schweigen. Aber dann fing Alex an zu quatschen. Autofahren, Lenkrad halten und die redete sich dabei einen, bis ich begriff, die meint mich, die erzählt das mir – ich muss da jetzt zuhören. Ich wollte gerade noch einwerfen: „Heh, ich bin’s der Leo, hab hier gerade mal eben zwei Jahre lang den Kunstbetrieb aufgemischt“, aber es konnte nicht spannender werden, als Alex zum großen Solo ansetzte, und sie erzählte mir nun ihrerseits erstaunliche Dinge, na wundervoll, und kulturell hochtrabend wählte sie das Thema Toilettenpapier: „Hör gut zu Leo, es is ja nun mal so, dass man ne Toilettenpapierrolle so rum anbringen muss, dass einem die Blattzunge aus dem Maul entgegen hängt.“ „Was?“ „Na entgegenhängt – dir – nicht an der Wand, nicht da so rumbaumelt, sondern auf deiner Seite.“ Als sie den Ausdruck Maul verwendete, musste ich unwillkürlich an die großen Münder dieser Mädchen denken, die Carl auf unser Ski-Hotel eingeladen hatte, weil er meinte, der Immendorff mache das ständig, also müsse es der Leo jetzt auch mal. Ich wollte dieser blöden Orgie gar nicht beiwohnen und höchstens mal zukucken. „Na, hat der Immendorff doch auch nur“, sagte Carl, und ich wieder: „Na wenn das schon einer gemacht hat, will ich’s sowieso nicht.“ Aber