- Joshi

Aficionados - Der Zauber der Giacomettis


Скачать книгу

drinnen klang alles so gedämpft. Aber wir standen weiter da wie die Giacomettis, dann flüsterte sie mir ins Ohr: „Miller.“ „Geht’s etwas deutlicher?“ fragte ich. „Miller, Marisa … Miller“, sagte sie. „Ich kenn nur nen Arthur“, antwortete ich. „Ja und? Kommt noch was? Komischer Markenname. Was ist das? Hat dieser Marisa Miller mit Absicht so bunte Kollektionen engster Kleider entwickelt, nur so für Holzpuppen in Augsburg?“ Ich starrte auf die dürren Giacometti-Figuren, betete den halben Katalogtext3 dieser Beyelers fast pathetisch vor mir her: „Diese Überlänge, die zu einer inneren Monumentalität neigt, wird in ihrer entmaterialisierten potentiellen Unbegrenztheit zum gleichgewichtigen Gegensatz, aus dem sich die nervige Spannung seiner Figuren ergibt“ – so klang das, atmete ich durch. Von potentieller Unbegrenztheit konnte hier aber keine Rede sein, im Gegenteil. Und innere Spannung kannste haben, nerviger Gegensatz, sowas von haben kannste das, mehr als genug, das konnte ja heiter werden. „Nee, das is n Model“, sagte die jetzt wieder zu mir. Seit wann sind Giacometti-Figuren Models? „Die is gertenschlank, und n Kopf größer als deine Alex, Marisa Miller is ne eigenartig hübsche, und sie hat an dem Vormittag im Entrée in Barcelona alle Kleider durchprobiert.“ „Was?“ rief ich entsetzt. „Die die sie nicht wollte wurden dann für nen Spottpreis an Touristen verhökert, und so kamen wir dazu.“ „Nicht wollte?“, meine Stimme erlangte lallende Hochlagen: „Was meinst du mit ‘Nicht gewollt’? D-d-das willst du ihr doch jetzt nicht erzählen? Nicht gewollt. Am Ende nimmt die das nicht, und am Ende …, das ist dann mein Ende. Warum wollte diese Miller das denn nicht?“ „Na, es war ihr zu weit,“ zuckte die mit den Schultern. „Zu weit? Was für ne Gräte is denn diese Marisa Miller?“ Mich überkamen Gelüste, einen Hals zu würgen. „Die is größer als …, schlanker als …“, „Hat die nen Knochenbau aus Chinin?“ „Puh, puh“, machte da die Nochbesitzerin: „Ne Grätengräte.“ Wir hörten immer noch nichts. Wahrscheinlich ist sie beim Hochziehen des Reißverschlusses erstickt. Gibt’s ja häufig in den Umkleidekabinen. Das Diaphragma zieht sich zusammen, die Atemmuskulatur kommt für einen kurzen Moment ins Schlingern, die Betroffenen kompensieren das mit Schluckauf, können gerade noch den Vorhang der Umkleide aufziehen, aber dann sehen sie im richtigen Licht die Farbe, die echte Farbe, so wie das Kleid für den Rest ihres Lebens an ihrem Körper kleben bleibt. Es sind diese eingefrorenen Momente, man ist da drin und kann nicht mehr raus. Es sind die Momente des Bewusstwerdens, die uns erstarren lassen. Es ist doch nur ein Kleid, möchte man hinzurufen, aber zu spät: Ganze Reihen kippen da aus den Kabinen, und dann müssen die Decorateusen dem KarL, also nicht dem Carl, sondern dem mit ‘K’, dem Lagerfeld, gestehen: „Du Karl, das Kleid haben wir zwar verkauft, aber, naja, wir könnten es glatt nochmal …, nur einmal getragen, du verstehst?“ Dann kuckt der Karl ganz ernst, weil er überlegt, ob er das jetzt verstehen soll – doch dann fächert der Karl sich das Verstehen von der Linse, während die da im Hintergrund reihenweise aus den Kabinen kippen. Und was macht er? Statt denen aufzuhelfen? Sie wiederzubeleben? Er hat immer noch enger schneidern lassen. Die Noch-Kleidbesitzerin sah mich an, ich schien jämmerlich ausgewrungen, und ihr mitleidsvoller Blick machte mich nur noch nervöser, wie n Behinderter im Rollstuhl, dem alle die Hand reichen, „Guten Tag sagen und denken: „Oh, der kann ja gar nicht, hätte ich bloß nicht …“ und genau das brauchen die jetzt noch. „Guten Tag“, weil es noch nie irgendjemand zu ihnen gesagt hat, … diese scheiß Mitleidstour. Scheiß Augsburg, scheiß Leo, scheiß Frauen, scheiß Kleider, scheiß Lagerfeld … Irgendwann nahm sie sogar meine Hand, diese Noch-Kleidbesitzerin, quetschte sie geradezu. Wie konnte die denn nur so ein enges …, das schaffen doch nur Leidensmenschen. Da schrie es auch schon von hinten. Dann wieder Stille. Selbst mit nem Pistolenschuss wären wir zufrieden gewesen. Wenn Alex das immer so macht, das hält ja kein Mann aus, mit der zusammenzuleben. Mein Blick fiel schon wieder auf die spindeldürren Geher aus Bronze. „Pack die scheiß Figuren weg“, sagte ich, „wenn die Alex die sieht, schnallt sie das Ganze mit dem dürr sein, da fühlt die sich verkarlt, genau, schlanke Figuren auf nen Sockel gehoben wie auf ein Siegerpodest, das brauchen wir jetzt noch!“ „Wirklich?“, gaffte die mich erstaunt an. „Nein“, brüllte ich fast schon wieder, „mach sie weg, bist du irre? Dich sollte man mal abholen. Da kannst du das Kleid gleich verbrennen!“ Verbrennen schien ein Wort zu sein, das die zum Springen bringt. Sie huschte durch das Zimmer, sammelte die fünf Hänflinge ein von der Vitrine mit der Franz Hals-Lithographie, die offensichtlich gefälscht war, denn der Hals malte nur in Öl und das schon 1556, und ich erkannte, dass ich auch noch in ein Nest von Kunstfälschern geraten war und Alex hier so schnell wie möglich rauskatapultieren musste. Marisa Miller, ha ha, so eine gibt’s doch gar nicht, der Mann ist verreist, die Reisen kenn ich. „Nicht doch“, schimpfte ich, sie drückte ihre Augen in meine Richtung. „Tasche“, flüsterte ich, „Tasche!“ und war deshalb nicht wirklich erstaunt, als sie sich die erstbeste schnappte. Zielsicher warf sie die Figuren in Alex’ Tasche. „Nicht doch“, war ich schon wieder entsetzt, „da, da hinein!“ Sie entdeckte einen Rucksack, schwarz, und es wunderte mich gar nicht, wie die dürren Figürchen schon mit einer gewissen Leichtigkeit des Loslassens in meinem Rucksack landeten, fein ordentlich den Reißverschluss zuziehend – das macht die allwöchentlich, dachte ich. Bronze schwer, dachte ich, „Bronze leicht“, nickte sie mir zu, wir waren Komplizen, merkte ich, und sie robbte auch schon wieder an mich ran, nahm ihre angestammte Position ein. Unser beider Blick fiel erneut auf den Tisch, weil, die dumme Nuss hatte was vergessen, da stand tatsächlich noch einer dieser aufrechten Wanderer. „Verdammt“, fluchte ich, „wie konntest du …“, aber es war zu spät. Schritte aus dem Dunkel – und dann kam sie. Alex. Präsentation. Und wenn es das gibt: Ein In-sich-Zusammensacken, das nach Erstaunen aussieht, Augenöffnen, das nach Begeisterung aussieht, Strahlen, die man gebündelt in nur eine Richtung schickt: Alex, deren Augen diese Strahlen erwidern. Wenn es so etwas gibt, dann fragt mich. Ich bin von diesem Tag an Meister darin. Man muss sich das vorstellen: Ein dünnes langes Mädchen, strohblonde Haare, blasser Teint, hängende Ärmchen und ein sommersprossiger, flacher Ausschnitt, wird gesteckt in ein Buntkleid, mit Papageien drauf und Verzierungen, der halbe Dschungel Papua-Neuguineas verewigt in knalligsten Farben, bereit, bei jeder Bewegung mit zu wippen. „Das Kleid stammt aus Barcelona!“, sagte die schmale Türöffnerin, ich dachte, warum sagt die nichts?, da wurde mir klar, die spulte auch nur noch Reserve-Restfetzen ab: „und … und … die Verkäuferin war eine Marokkanerin, … nein halt, Stop, Tunesierin … die ist um die halbe Welt … und schon die hatte da nicht reinge … glupp ...“ Aber Alex stand da, freudestrahlend, dass ich der so nett vor den Mund fasse, is ja auch mal genug geredet. Sie drehte sich herum in ihrem Kleid, sie kuckte uns an, ihre Händchen haltend, als erwarteten wir eine Schrottpresse von oben herunter. Alex grübelte: „Leo, deine Hand ist ja ganz rot.“ Ach? Wir ließen los, sie meine Hand, ich ihren Mund. Ich schüttelte schnell meine malträtierte Hand und grinste blöde. Klar rannte die Alex jetzt in dem Kleidchen die ganze Wohnung ab, wir standen immer noch ineinander geheftet, unsere Köpfe folgten ihrem Rundgang, war das jetzt Unsicherheit oder war sie schon kleidverliebt? Ich dagegen dachte mich in eine ganz andere Welt, sah mich am Mississippi-Delta, aufgerissene Krokodilmäuler lachten mich an, sieben Zahnreihen sollen die haben, bevorzugte Mahlzeit Jeans mit Beinen. Fred McDowell kam mir in den Sinn, 1923, Mississippi-Delta, „My Father played the Bottleneck“, mit einem abgeschlagenen Flaschenhals, von verschlammten Mücken befallen, Sümpfe Floridas, schwarze Männer, mit Filz umrandete Whiskeyflaschen, Mundharmonika, durchgelaufene Schuhsohlen, 5-Es-Dur, jede Blues Harp ihren eigenen Ton. Die H-Saite zur D-Saite gestimmt, die Fingerkuppen durchgeätzt vom Saiten-Picking. Und aus dem sumpfmorastigen Wassergraben steigt Marisa Miller auf, „Gib mir mein Kleid zurück“ keift sie und Alex will nicht, Alex rennt und rennt, mir bricht der Schweiß aus, ich rufe: „Lass das sein, wirf es weg, gib es ihr einfach, Schluss mit allabendlicher Metamorphose – wir gehen Back to Mono.“ „Was hast du gesagt?“ fragte Alex. „Ich?“ zuckte ich zurück. „Nichts … nichts habe ich gesagt.“ „Doch, doch, du hast irgendwas gemurmelt mit ‘oh no’…“ „Nein, nein, das habe ich nicht!“ „Wieso?“ atmete Alex aus – also das ging scheinbar noch – sie wurde jetzt kämpferisch, ihr becircender Ton täuschte mich nicht, irgendwie hatte die ne Vollmacke, dachte ich, da fiel ihr Blick geradezu todsicher auf das Tischchen, den letzten übrig gebliebenen Giacometti, ein dünnes Kerlchen, keine zwanzig Zentimeter hoch; unsere Gastgeberin wagte nicht mal, den Kopf in die