- Joshi

Aficionados - Der Zauber der Giacomettis


Скачать книгу

noch haben’ wissen die doch selber nicht mehr wo sie sind. Im Irrenhaus?“ Und dann sagte das Navigationsgerät von Alex, kurz Siri1 genannt, ebenfalls Erstaunliches: Nach 50 Metern links abbiegen. Wir fuhren dauernd im Kreis. Wir fuhren andauernd an Baustellen vorbei, geradezu bewundernd befolgten wir Siris Ratschläge, wurden von Baustelle zu Baustelle geleitet, und beschlossen: Augsburg – hässlich. Das hat Siri wohl gewusst, wahrscheinlich haben all die Navigationsgeräte dieser Welt das gewusst, und alle haben ihren Spaß daran, ihre Fahrer im Kreis zu dirigieren. Die sind zusammengeschlossen, funken sich Kicherrülpser zu und feixen, hihi, die Menschen diese Blödis, die merken das gar nicht, hihi. „Ich war hier noch nie“, sagte Alex entschuldigend und ruderte am Lenkrad. „Das glaub ich nicht“, murmelte ich, weil ich angestrengt aus dem Fenster stierte und sehen wollte, ob die Leute, die hier rumliefen und auf diesen Baustellen wohnten, nen platten Hinterkopf haben, vom unters Handschuhfach klemmen. Hatten sie aber nicht. Als wir um eine Ecke bogen, fegte die Sonne plötzlich durch unsere Gesichter, Blende auf, von grau zu durchlichtet. Vor uns rollte sich ein bis zum Horizont reichendes Kopfsteinpflaster aus. Ein riesiger freier Marktplatz tat sich auf, direkt vor unseren Füßen, die gerade irgendwie zweisam in Siris Gas-und Bremspedalen verhakt schienen, denn ich gestehe, ich musste eingreifen. Wir sahen auf einmal Brunnen mit Skulpturen – richtig in Bronze gegossene lebensgroß Dastehende –, stattlich posieren und irgendetwas in der Hand halten, einen Schild oder sowas, Schlangen erschlagen und einen Unglimpf bekämpfen. Dazu sprudelte Wasser um sie herum. Wir sahen schöne Häuschen, graziös um den Marktplatz verteilt – angeordnet wie wir es schon in der Wiege mitbekommen haben, davor sämtliche Autos fein säuberlich 75 Grad in Reihe geparkt, wie im Spielzeugladen. Augsburg doch gut. „Jetzt machen wir ein Foto“, rief Alex. Bis heute gibt es nur das eine von mir, denn als ich von ihr ein Foto machen wollte, stellte sich der Leo zu doof an, mir zitterten irgendwie noch die Hände. Auf dem Marktplatz stehen jetzt nur Alexens Beine. Auf dem Weg zum Kleid, vorbei an den Skulpturen, beschlossen wir, dass die, die gerade einen Löwen erstach, von Leo sein müsste, und die, die gerade einen armen kleinen Drachen masakrierte, Carl verkörperte. Ja, ja, sagte ich, der Carl traut sich nur an arme kleine Drachen ran, und nen Helm hat der große Drachentöter auch noch auf. Nur für Alex stand noch nix rum, würden wir aber auch noch finden. Seitlich vorbei an einer imposanten Kirche, durch kleine Gassen, am Fuße einer Ritterburg, gerieten wir, der Adresse folgend, auf einen längs gezogenen Innenhof. Hier müssen einmal mehrere Scheunen nebeneinander als Herberge für Pferde gedient haben, jetzt umgebaut zu kleinen Wohnräumen. An der mittleren Scheune dann endlich der große Moment: Klingeln an der Tür. Ne Nette machte auf, die gleiche Wuschelfrisur, aber kleiner als Alex und noch dünner. Können sich Geschmäcker treffen, so rein nur über Telefonate und Kleidansichten? Vielleicht sollte man immer zuerst Frauen anrufen lassen, wenn man als Mann die richtige treffen will. Gibt’s sowas? Partnervermittlung über Frauen für Frauen suchende Männer? Hab noch nie am Telefon mit ner Frau über ihre Kleider gesprochen. Die scheinen das den ganzen Tag zu machen. Verabreden sich 120 Kilometer voneinander entfernt und gleichen wie ein Ei dem anderen. Wir standen in einer großräumigen Wohnung, ja, ja, sie hätten Querverstrebungen rausreißen müssen, Zimmerdurchbruch, aus drei mach eins, die Decke sei etwas unegal, manchmal müsse sich ihr Mann sogar bücken, der volontiere gerade auf den Malediven, anfänglich wär er durch die Wohnung nur so herumgetorkelt, quasi statt seitwärts von unten nach oben, das sei jeden Tag neu lustig gewesen. Dann dicke Teppiche rein, nur den Kamin hätte man ihnen verwehrt. Die Farben Umbra und Vanille überwogen. Meine Güte, dieser langgezogene Raum. Ein vollgestelltes Sammelsurium aller erdenklichen Arten von Putzmitteln zum groß Reinemachen. Den Hang zu künstlichen Kletterpflanzen konnte ich auch nicht ganz nachvollziehen, und erst die in sich geschlungenen Wischmobs. Das sei affirmative Kunst, warf die Augsburgerin ein. Sozusagen sich selbst erklärend? Nein, bejahend, verbesserte sie, aha. Die Wischmobs seien aus ephemerem Material, also billigem Zeug, Zivilisationsmüll2 wie das heute heißt. Na, deren Katalogtexte möcht ich lesen. An den Wänden Trophäen, man sah gleich, diese Frau war viel gereist, immer in die südlichen Länder, Speere verschränkt um einen Schild aus Schilf gruppiert. Mein Blick fiel auf eine dieser spindeldürren Giacometti-Figuren. Diese statisch geformten, scheinbar von grobkörniger Haut überzogenen, kerzengroßen Figürchen klebten wie nach oben aufragende Äste eines Baumes als kleine Tischfiguren und trugen an den Füßen dicke Sockel – aber man verstand was Giacometti meinte, wenn er sagte, nicht der Raum sei das Problem. Der Raum wird erst durch die Figuren gestaltet, die man da hinein stellt. Er meinte natürlich Menschen, und Menschen plappern zu viel. Zu viel Input, deshalb sind seine Bronzefiguren wahrscheinlich auch immer so spindeldürr, kann ja nicht viel rauskommen aus denen, nennen sich dann „Schreitender Mann“ oder sowas, als wollten sie im Raum nicht groß stören, auch ne nette Art der Zurückhaltung. Aber was soll sich jetzt jeder aus dem Italienurlaub so ein dünnes Männchen mit nach Hause schleppen? Sowas kann sich doch jeder selber löten. Die seien aber aus der Schweiz, sagte die Gastgeberin, die Neu Grönener hätten sich regelrecht in die Giacomettis verliebt, wohl die Haltung des ersten Ski-Fahrers, scherzte ich ins Leere. Die Frau kam jetzt zur Sache, nahm Alex in den Arm, da schüttelte und wackelte auch nichts, normalerweise sind diese Afrikareisenden ja behangen von oben bis unten – Amulette, Papuapfeifen, Elfenbeinreiniger, dass man sie beim Verlassen der Wohnung erstmal entrümpeln muss. Nix da, diese hier war geradezu schmuck-nackig. Alex rief: „Wo isses?“ und sogleich wurde aus einer massiven Tüte Plastik zart behände hervorgeholt, weshalb wir überhaupt hier waren: das Kleid. So wie Alex es bejubelte, zweifele ich kurz, ob die Besitzerin das überhaupt noch hergeben würde. Da wusste ich noch nicht: Bald würde ich darum betteln. Das Kleid? Ein buntes Etwas. Nicht mal Gaugin hätte seine Leinwand so mit allen möglichen Küchenkompostfarben des Malzirkels überladen. Damit wollte die Alex zu ihrer Familie fahren? Mit diesem Buntkleid einen ganzen Abend verbringen? Zu ihrer Mami? Zwischen Frackträgern und Unifarbenen Herumstolzieren? Was will die denn damit erreichen? Ihre Enterbung? Man denkt ja, so wie sich eine anzieht, sieht’s in ihr drinnen aus. Deshalb stehen wir doch jeden Morgen verzweifelt vor unseren Klamotten und denken: „Was passt?“ Aber mit dem Buntkleid konnte man sie ja nicht mal in den Zoo schicken, das reißen ihr ja die Affen vom Leib. Sie hielt es an ihren Körper, mir entfuhr ein: „Da müssen wir dich aber kosmetisch aufrüsten“, und da ahnte ich noch nicht, was in den nächsten vier Tagen auf mich zukommen würde. Alex verschwand in die hinterste Ecke zum Kleidanprobieren. Mir war vollkommen klar, die versucht da jetzt reinzuschlüpfen. Alex, n Kopf größer als die Kleidbesitzerin, der das zu eng war, wie sollte das gehen? Also, vorausgesetzt ich hörte jetzt einen Schrei, dürfte ich wohl zurück nach Hause laufen. So eine weitere Autofahrt mit frustriertem Lenkradgequietsche überstand ich nicht, nicht mal mit Helm und drei Krankenschwestern auf’m Schoß. Aber, zu unserer Verblüffung – wir hörten nichts. Es war so verdammt ruhig da hinten, wir hörten kein Geraschel umständlichen Gekrempels, nicht mal „Auas“ vom Finger quetschenden Überstreifen; war ja irgendwie auch verdächtig. „Woher genau hast du das engmaschige Ding?“, fragte ich meine mitzitternde Noch-Kleidbesitzerin, denn auch ihr kam das komisch vor – eben noch überschwängliche Alex, plötzlich Totenstille. „Eigentlich …“, sie schluckte ein bisschen, „war das ne Präsentation tunesischer Muster, die präsentieren ja andauernd was, die Spanier. Und eigentlich, wir kamen da nur zufällig vorbei, war so viel Rummel, Presseleute, Kameras, und inmitten des Pulks stand sie plötzlich, engelsgleich, schlank wie …“ „Ja, wie denn?“ fragte ich ungeduldig. „Ja, wer denn? Und komm nicht auf die Idee, der Alex auch nur andeutungsweise ein ‘Du siehst so aus wie …’ zuzuwerfen. Ganze Abende hab ich nach so einem Satz alleine verbracht – hab’s mal geschafft zu einer zu sagen, dass sie aussähe wie Sophia Loren, da gab’s noch Wespentaille, heut is ja nur noch Plum Platsch am Riemen. Na, den Abend hab ich aber sowas von alleine verbracht. Und sag ihr bloß nicht, wo das Kleid herkommt!“ Ich konnte meine Gereiztheit kaum noch verbergen. „Du hast die Hinfahrt zu deiner kleinen Scheune hier nicht miterlebt, ich jedenfalls bin fast aus ‘m Beifahrersitz geflogen, wenn die das Kleid nicht – also wenn hier was schief läuft – du hast keine Ahnung – also, jeder Trumpf, spiel ihn aus, kick die Frau ins Himmelreich.“ „Das kann ich nicht“, stocherte die weiter in meinen aufgefalteten Nervenbahnen. „Es war, …das Kleid ist …“ „Spucks aus“, schrie ich fast, „verdammt, die sagt ja da hinten keinen