machen es die anderen auch wie wir, die gehen eben alle Läden durch und es ist so wie man es nicht vermutet.“ „So wie nicht?“ fragte ich. „Na, mehr das Woolworth Prinzip“, gluckste sie. „Aber die sind doch pleite“, entgegnete ich, „wer von uns beiden liest denn hier eigentlich den Wirtschaftsteil? In Moabit haben die Woolworthens schon vor drei Jahren aufgegeben“, erklärte ich. „Ach Leo, weißte wann der angefangen hat, der Frank Woolworth? Das war 1879. Die haben Insolvenz angemeldet und dann war Umkrempeln angesagt, die wussten nicht was sie sein wollen ‘Weltstadtkaufhaus oder Billigkette’6, die hatten bis zu fünzigtausend Artikel, sowas verwirrt doch nur, jetzt sind die ganz runter und den Trick, das Woolworth Prinzip, hat auch der Ramsch. Manchmal hat der nämlich wirklich ausgeklügelte Verstecke, da findest du dann doch die guten Schuhe, musste eben etwas suchen is wie mit dem Fleischsalat.“ „Fleischsalat?“ „Musste auch drin suchen. Statt Pökel im Billigen, verwenden sie im guten in der Sahnesoße Muskelfleisch.“ „Aha“, nickte ich verständig: „Schuhe und Muskelfleisch.“ Da standen wir also vor dem Ramsch und redeten darüber als wär’s n Lebensmittel. Etwas unentschlossen begafften wir die lieblos zusammengestellte Schaufensterdekoration, das gehöre alles zum Programm, belehrte mich Alex weiter, je geringschätziger sortiert, desto ermutigender für den Kunden, vermittele den Eindruck hektischen Ausverkaufs, die schrammen ihre Ware sozusagen am Geschmack vorbei. Mir wurde langsam schwindlig. Da braucht man ja nen Volkshochschulkurs, um Shopping zu verstehen, und meine Verwirrung wurd vollends, als ich ein Gespräch belauschte: „Die ganze Wohlfühldiskussion is doch längst durch“, redeten da zwei im Kostümchen. „Kannste dir doch noch so viel auf die Haut schmiern, das muss von innen kommen. Inner Jolie empfehlen sie Zitronensaft für den Rücken, weil da die Poren mehr arbeiten, die Hautsensibilität größer, Zitrone spart das Schrubben mit der Bürste, aber inner Labelle erzählen sie, Zitrone sei Gift für die Haut, lediglich als Nagellackentferner zu gebrauchen, is aber beides gleicher Verlag, ja was nu, Zitrone oder nicht?“ „Alles Buttermilch…“ „und dass du dir Buttermilch ins Gesicht schmieren sollst, Leinöl in die Haare und darüber dann einen Schuss Zitrone und da schließt sich der Kreis….“ „Hach ja“, sagte die andere, „habe auch bei der Überschrift Puder & Make-up die beste Foundation für jeden Hauttyp…wenn ich das schon lesen muss, keine Lust mehr, ‘Foundation’, Unfug: Grundierung heißt das, du quasterst dir die Poren zu, für den ganzen Tag, denkst, das sieht gut aus und abends schrubbste – dann kommen sie zum Vorschein, die kleinen Äderchen,…von der Gesichtsmitte nach außen verteilen die Hautclearance mit einem kleinen Schwämmchen und leichtem Druck tupfen, dabei das Handgelenk etwas drehen, die spinnen doch…“ „Ja. ja, kenn ich, kenn ich, schrubben, schrubben, schrubben, alles Quatsch. Wenn du jeden Morgen 40 Minuten durch unseren schönen Wald läufst, sind die Gefäße so durchgepumpt, danach siehste aus wie n reifer glänzender Apfel mit Bäckchen, da brauchste gar nichts mehr, aber die sind ja alle zu faul die Schnecken. Buttermilch? Die trink ich lieber statt sie mir in die Fresse… is was?“ sagte die plötzlich ganz direkt zu mir. „Öh….Zitrone? Obst?“ mehr fiel mir nicht ein…und dann schubsten die quatschend weiter in den Schuhladen. Alex und ich sahen uns fragend an. „Nagellackentferner“, flüsterte Alex, sie hob beide Unterärmchen, als trüge sie vor sich schon 5 Schuhkartons, eine einzige Last, eine Geste der Verzweiflung: „Nagellack, Lippenstift, Kayal, brauchen wir auch noch – Hach Leo, das schaffen wir nie alles heute.“ „Moment mal“, hielt ich inne: „Zitrone?“ Alex verbesserte mich: „Das is der Bereich Kosmetik – Lippenstift, du weißt!“ Ich wusste gar nichts. „Kosmetik hat mit Obst zu tun – und Mode hat auch mit Obst zu tun. Die Säure der Zitrone für die Haut, Haut – rein – äußerlich: Mode!“ „Hör mal Alex, schon die Holländer, 1628, Stilleben, mischten ihre Palette nach den Naturfarben der Weintrauben, Apfelschalen ja sogar den Federn der beigelegten Fasane. ‘Make-up Foundation’, Grundierung“, sagte ich. Alex sah mich freudig an: „Ich seh schon, der Herr Künstler arbeitet“, da trafen mich die Blicke eines weiteren Frauenpaares: „Fasane?“ „Aber klar“, grinste ich und schubste dabei Alex immer näher zum Eingang: Fasane, Federn, Zitrone, alles Mode, dachte ich laut, da sitzen die den ganzen Tag mit nem Wörterbuch vor ihren Heftchen und versuchen sich das Um-die-Ecke-Denken anzueignen. Auf der anderen Seite der Kette sitzen in engen Bürozimmern diese Mode-heftchen-Macher, die genau wissen, mit jedem Studieren ihrer Heftchen werden ihre Käuferinnen auch schlauer, da müssen sie noch immer weiter raffiniertere Begriffe auffahren. Da müssen sie noch einen draufsetzen, is wie Pornohefte, da müssen die Brüste auch immer größer werden, bis sie nicht mehr ins Heft passen. Es geht immer nur größer und immer vertrackter. Aber – denen macht das ja Freude, dieses Fachwissen aneignen, nur mal so Heftchen durchblättern, das is Entspannung, stundenlang, tagelang, Leben lang. Das Einkaufen hier is auch nur Porno – ‘nur’? Porno macht Spaß, das Gewühle an der Oberfläche, von Unterst zu Oberst kehren, keiner weiß mehr welches Beinchen wessen. Das muss ja furchtbar sein, sich dauernd neue Begriffe ausdenken zu müssen, da wird man ja verrückt bei so viel Zeugs. Mein Kopf drehte sich zu Alex. Sie erriet meine Gedanken und grinste ganz breit: „Wir haben von allem zuviel, es ist zum kotzen…und wir fühlen uns großartig!“ Sie kicherte aufgeregt. Alex stand plötzlich kerzengerade: Körperhaltung Zinnsoldat, Muskeltonus angespannt. „Los Leo, da stürzen wir uns jetzt rein.“ Und selbst ich freute mich ein bisschen darauf, weil, im Schuhladen, da hatte Alex schon recht, da wird es nie langweilig und besonders nicht im Ramsch und erst recht nicht, wenn man eine Alex dabei hat. So stellte ich mir nen Urlaub vor: Dein bester Freund parkt das schönste Mädchen der Stadt neben dir und die ernennt dich zu ihrem persönlichen Modeberater. Aber als Alex im Ramsch, unserm ersten Schuhgeschäft einen noch nervenstark smarten Verkäufer blassgrüne und rote Schuhe anschleppen ließ, geriet ich vor einen Ansichtsspiegel und bemerkte mit Entsetzen, dass ich dicker geworden war. Wesentlich dicker. Hose, T-Shirt, die ich in Berlin monatelang voller Begeisterung getragen hatte, sahen in dem Spiegel aus, als müsste man Leo mitsamt seiner Klamotten gleich mit verbrennen. Außerdem hatte ich immer noch das Shirt vom Vorabend an: Es roch nach Zigarettenqualm mit draufgeschütteten Bierflecken, mit diesem blöden Spruch ‘Die Katze verhandelt nicht mit der Maus’. Genau das las gerade der Verkäufer. Sein Blick wanderte von Alex zu mir. Der Kerl grinste. Ich schien ihm vollkommen egal. Überhaupt schien in diesem Schuhgeschäft alles egal. Man denkt, die geben sich Mühe, Schuhe auf Sockeln, sind doch kleine Kunstwerke diese Schuhe, aber nix da. Die stellen ihre Fußtreter irgendwo auf in dieser großen Halle. Hässliche hölzerne Regale, halb durchgehangen, keinerlei Rangfolge, so von den teuersten zu den erschwinglichsten. Die rammen ein Regal neben das andere wie beim Ramschverkauf, deshalb heißen sie ja Ramsch. Es sieht so dermaßen billig aus, dass es eine Freude ist und man denkt, wuffi, is das billig, da nehm ich gleich drei Paar mit. Was soll das? Und dennoch hatten sie Zeit so nen Verkäufer einzustellen. Erst sagte der noch den Satz: „Wir im Ramsch befolgen das Woolworth Prinzip, das da heißt…“, aber weiter kam er nicht. Alex grinste: „Von 50 tausend runter auf 6 tausend…“, beide nickten verständig. Offene Verkaufsstrategie, dass der Schuhladen sich dem Kosenamen seiner Kundinnen unterwarf und diesen aufs Revers heftete. Die Frauen lieben das, ehrlicher geht’s nicht. Kundin und Verkäufer kennen das Verkaufsprinzip, als hätten sie es gemeinsam geplant, entworfen, und dieser Verkäufer macht auf Ramsch… auch nicht mehr der Jüngste, gegeltes Haar, Parodie der Parodie, aalglatt, selbst das lieben die Frauen, baden sich geradezu in Klischees, sonst gehen die da gar nicht erst hin. Frauen, stelle ich fest, haben Humor beim Einkaufen. Die glauben das gar nicht, die sind ‘Hard as a Rock’, diese Fernsehwerbung, wenn ihnen glückliche Kinder Kekse fressend wie glückliche Kühe entgegen grinsen um in perfekt manierlichen Kleinstimmchen ein ‘Das schmeckt ‘entgegen zu grinsen, da sagt die Kucke-Mami nur: Fick dich! Genau, dieses Pappzeug kriegt mein Kind nicht. Die sitzen steroidgeformt mit ner Abhakliste im Kopf vor dem Bildschirm und alles was ihnen da so entgegengeworfen wird haben die schon gespeichert als ‘Regal ignoriern’. Und weil das Dauerignorieren einem ja den Tag versaut, toben sie in ihren Klischeeläden rum, da wird das nicht nur erwartet sondern regelrecht eingefordert. Männer dagegen beim Einkauf? Gar keinen Humor. Männer sehen das als Auftrag. Eine Entscheidung Existentielle über Jahre hinaus, ihr weiteres Leben bestimmend, samt ihrer Partnerin, die schon wieder den ganzen Tag in irgendwelchen Billigläden sinnlos Lebenszeit vertändelt, während sie, die Männer, einen Laden betreten, und zwar im Kevlarhemd, gegen jeden argumentativen Einschlag