Anna J. Heeb

Sieben Farben


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      Da fing der Knonk plötzlich an rumzudrucksen. „Naja, wahrscheinlich hat sie recht.“

      Der Großvater sah ihn böse an. „Nein, das geht nicht!“ rief er mit fester Stimme.

      Es gefiel dem Knonk auch nicht, auf die Hilfe eines Kindes angewiesen zu sein. Aber irgendwie ahnte er, dass in dem kleinen Mädchen viel mehr steckte, als man auf den ersten Blick sehen konnte. Und so sagte er: „Ich denke, sie muss mitkommen.“

      „Aber ohne Peter geht das nicht!“ warf Lara da ein. Peter schaute verdutzt. Das Atmen fiel ihm sichtlich schwerer. Er verzog das Gesicht.

      Doch wenn Lara sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann konnte man es da nicht mehr so leicht herausbekommen.

      Der Großvater blickte sehr unglücklich drein. Doch auch er ahnte, dass der Knonk recht hatte.

      „Na gut. Aber, mein lieber Knonk, versprich mir, dass Du mir helfen wirst, gut auf die beiden aufzupassen.“

      „Beide?“ Peter fühlte sich ein wenig überrumpelt und schaute ängstlich.

      Und dann fügte der alte Mann hinzu: „Dann schauen wir doch mal, ob ich das Tor noch habe.“

      Schnaufend erhob er sich von seinem Sessel und stapfte in Richtung Treppe. Die anderen schauten ihm nach, ohne sich zu bewegen. Am Treppenabsatz, der sich direkt an das offene Wohnzimmer anschloss, drehte er sich um. „Na, was ist denn. Seid Ihr festgewachsen? Los geht’s!“ Er machte eine auffordernde Handbewegung. Da standen auch die anderen auf. Der Knonk hopste mit einem lauten Platsch vom Sofa auf den Holzboden. Sie stiegen die beiden Treppen, die unter jedem Schritt laut knarrten, hinauf bis ganz unters Dach. Der Großvater öffnete die Tür zur Dachkammer.

      ‚Hier bin ich ja noch nie gewesen’, dachte Lara. Es war ziemlich dunkel.

      „Ach, Mist“, schimpfte der Großvater leise. „Wir brauchen eine Taschenlampe. Hier oben haben wir ja nie elektrisches Licht einbauen lassen.“ Er drehte sich um, und lief die Treppe wieder schnellen Schrittes herunter. Unten hörte man noch zwei weitere „Mist!“. Dann kam er wieder herauf. Diesmal etwas lauter schnaufend. In der Hand hatte er eine dicke Kerze.

      „Ich hab vergessen, Batterien zu kaufen. Die Taschenlampe geht deshalb auch nicht“, grummelte er entschuldigend vor sich hin. Er drängelte sich an den drei anderen vorbei und ging voran in den dunklen Speicherraum.

      Es roch muffig, nach Staub und Spinnweben. Das Kerzenlicht gab den Blick frei auf ein ziemliches Durcheinander. In der hinteren rechten Ecke befand sich eine große Kommode. Darauf stand ein Spiegel, der schon blind geworden war. Daneben lehnte ein zerlegtes Bettgestell an der Wand. Links stand ein großer schwarzer Schrank. Wahrscheinlich ein alter Wohnzimmerschrank. Auf der der Tür gegenüberliegenden Seite entdeckte Lara eine große Staffelei. Auf ihr stand irgendein Gemälde. Man konnte es aber nicht erkennen, es war von einem gelblichen Tuch vollständig bedeckt. Der Großvater steuerte auf die Staffelei zu.

      Das Tor

      Peter hustete vor Aufregung. Außerdem machte ihm der Staub hier oben sehr zu schaffen. Allergien plagten ihn, die Lunge schmerzte, der Hals kratzte. Er brauchte einen Zug aus seinem Asthmaspray. Der Knonk schaute ihn neugierig an.

      Der Großvater griff nach dem gelben Tuch. Als er den vollkommen verstaubten Stoff beiseite zog, wurde der Raum schlagartig heller. Die Farben des Gemäldes reflektierten nicht nur den fahlen Kerzenschein, sie schienen selbst förmlich zu leuchten, als würde hinter der Leinwand ein Feuer brennen und durch den bemalten Stoff hindurch scheinen. Aber dahinter war nichts. Das Licht kam in der Tat von dem Bild selbst.

      „Ah, da ist es ja“, entfuhr es dem Großvater zufrieden. „Seht Ihr, Kinder. Das ist ein Tor.“

      „Gibt es davon noch mehr?“ Jetzt war Peters Neugier geweckt.

      „Ja, aber nicht sehr viele. Im Großen Museum hängen ein paar. Aber die Museumsleute wissen nicht, welchen Schatz sie da haben. Ansonsten gibt es noch eines im Louvre und eines im Prado. Das war’s.“

      „Nein, die Bilder sind weg, alle“, warf der Knonk ein.

      Der Großvater seufzte. „Weg?“

      „Ja, sie sind gestohlen worden“, entgegnete der Knonk. Und er fügte mit finsterem Blick hinzu: „Das waren bestimmt diese Schattenspäher.“

      Der Großvater schüttelte den Kopf. Dann wandte er sich wieder dem Bild zu. Sein Gesicht schien vor Freude über den vergessenen und nun wieder gefundenen Schatz um einige Jahre jünger geworden zu sein. Gleichzeitig mischte sich Sorge in seinen Gesichtsausdruck. Wenn die Schattenspäher hinter den Bilderdiebstählen steckten, war es kein Zufall, dass sie jetzt auch hier aufgetaucht waren. Sie wollten das letzte Tor.

      „Na, geht es jetzt los?“ Der Knonk wurde langsam ungeduldig.

      „Ja.“ Laras Augen strahlten. Das Gesicht des Großvaters füllte sich mit Sorge. Und Peter entgegnete: „Äh, Lara, das geht nicht.“ Er dachte daran, wie seine Mutter wohl reagieren würde, wenn er heute Abend um 18:30 Uhr nicht wieder zu Hause wäre. Und er wollte sich gar nicht ausmalen, was seine Mutter wohl sagen würde, wenn er erst sehr viel später nach Hause käme und ihr erklären müsste, dass er ja nicht um 18:30 Uhr hatte da sein können, weil er ein ominöses Coloranien retten musste… „Meine Eltern werden sicher nicht begeistert sein, wenn ich heute Abend nicht pünktlich zu Hause bin…“

      Der Knonk tippte hektisch mit dem rechten Fuß auf den Boden. Er wurde immer ungeduldiger. „Das gibt es doch nicht!“ warf er energisch ein. „Die Jugend von heute ist träge und feige. Wer hat früher schon danach gefragt, was die Eltern wohl sagen würden, wenn es doch eine Welt zu retten gab…“

      Der Großvater nickte verständnisvoll. „Macht Euch darum mal keine Sorgen. Die Uhren gehen in beiden Welten anders. Ihr werdet zurück sein, bevor es 18:00 Uhr ist.“ Er legte den beiden aufmunternd die Hände auf die Schultern und dachte: ‚Hoffentlich…’

      Doch jetzt wurde es Peter sehr mulmig. „Und was ist, wenn uns da was passiert?“ Peter war eigentlich nicht für unvorhersehbare Abenteuer zu haben. Genau genommen mochte er überhaupt keine Abenteuer. Schon die Märchenbahn im Freizeitpark war ihm an manchen Stellen zu aufregend. Gleichzeitig würde er diese andere Welt aber auch mal gerne sehen. Mut und Verzagtheit wechselten sich bei ihm im Kopf gerade im Sekundentakt ab.

      Lara blickte Peter an, dann den Knonk, der immer missmutiger dreinschaute und dann den Großvater. Peter erwiderte unentschlossen ihren Blick. Das Ganze klang wie eine total verrückte Sache. Doch Lara nickte Peter aufmunternd zu.

      Dann sagte der Großvater: „Ach so, ich muss ja noch ein paar Sachen zusammensuchen. Wartet hier, ich bin gleich wieder da.“ Der Großvater drückte Peter die Kerze in die Hand und ging – nein lief – nein sprang schon fast – die Treppe hinunter.

      Lara betrachtete derweil das Gemälde. Es zeigte eine leicht hügelige Landschaft. Rechts schlängelte sich ein kleiner Bach entlang, der fröhlich vor sich hinzuplätschern schien. In der Mitte leuchtete das Gras saftig grün. Es war über und über durchsetzt von Blumen der unterschiedlichsten Farben. Links begrenzte ein großer Baum das Bild. Er sah aus, wie eine alte, dicke Eiche. Im Hintergrund ragte ein weißer Turm auf. Er gehörte zu einem großen Gebäudekomplex, der aussah wie ein großes Schloss. Vom Vordergrund ausgehend wand sich ein kleiner Fußweg durch das Bild in Richtung des weißen Turms.

      Wie schön das Bild war. Noch nie hatte Lara so klare, helle und reine Farben gesehen. Obwohl doch! Jetzt erinnerte sie sich an den kleinen Raum im Großen Museum, in dem sie den Knonk getroffen hatte. Einige Bilder an den Wänden dort hatten einen ähnlich eigentümlichen Glanz verstrahlt. Sie ging näher heran. Plötzlich war ihr, als könnte sie die Blätter des Baumes, der auf dem Bild abgebildet war, rauschen hören. Sie machte wieder einen Schritt zurück. Das Rauschen verstummte. Dann ging sie nochmals heran und es war wieder zu hören. Immer stärker wurde der Wunsch, das Gemälde zu berühren. Unten hörte man den Großvater poltern. Etwas fiel zu Boden und er fluchte leise. Lara drehte sich kurz