Alfred Broi

Genesis IV


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erschreckte.

      Mit ängstlicher Miene zuckte ihr Kopf zurück und sie spürte, wie sich ihr Atem beschleunigte. Chalek neben ihr blieb vor dem Spalt stehen und blickte weiterhin hindurch.

      Melia überlegte. Sie war nicht sicher, was sie dort sehen konnten, doch sie hatte eine schlimme Vorahnung.

      Plötzlich klopfte der Junge ihr aufgeregt in die Seite. Melia erschrak sichtlich und stieß einen kurzen, spitzen Schrei aus.

      Dann beugte sie sich schnell wieder nach vorn und spähte ebenfalls durch den Spalt.

      Im ersten Moment konnte sie nicht erkennen, was Chalek so erregt haben mochte, dann aber sah sie aus dem Halbdunkel des Ganges zur Linken mehrere Schatten auftauchen, die sich in ihre Richtung bewegten. Gleichzeitig hörte sie ein ihr altbekanntes Geräusch, das sofort eine Eiseskälte in ihrem Herzen erzeugte. Im nächsten Moment schälten sich die monströsen Körper von mindestens sechs Insektenbestien aus dem Schatten, begleitet von ihrem charakteristischen Quieken und Kreischen.

      Melia spürte, wie ihr Herz aussetzte und eine Welle der Übelkeit sie überrollte, doch noch bevor sie den Kopf wieder zurückreißen konnte, sah sie, dass einige der Bestien die blutverschmierten, teilweise verstümmelten, aber noch so erschreckend lebendig wirkenden Leiber von mehreren Menschen mit sich trugen und am Ende keine zwei Meter mehr von ihnen entfernt waren, bevor sie um die Gangbiegung schritten und sich wieder entfernten.

      Fast zeitgleich mit Melia, die ihre Lippen weit nach vorn geschoben hatte, um einen Aufschrei zu unterdrücken, zuckte Chalek zurück. In seinen Augen stand tiefes Entsetzen, sein Gesicht war furchtbar ernst und dunkel. Obwohl kaum eine klare Gefühlsregung darin zu erkennen war, kroch Melia die nächste Gänsehaut über den Rücken. Sie kannte Chaleks Gesicht lachend, grinsend, verschmitzt. Dieser vollkommen andere Ausdruck ängstigte sie. Deutlich war zu erkennen, wie sehr ihn das Gesehene innerlich aufwühlte und schmerzte.

      Doch Melia erkannte auch, dass sie hier nichts mehr zu suchen hatten. Ihr wurde klar, dass sie niemals hier hätten hinabfahren dürfen. Die ständigen Erdbeben hatten eine kleine, aber klare Verbindung zwischen ihrer Welt und dem Nest der Insektenbestien hergestellt. Das, wovor sie sich so lang gefürchtet hatte, war geschehen. Und deshalb mussten sie jetzt hier weg. Und zwar sofort. Wenn sie diesen Spalt entdeckt hatten, konnten das auch diese Monster tun. Und dann war es besser, wenn der Geruch von frischem Menschenfleisch nicht mehr in der Luft hing.

      „Los!“ flüsterte sie dem Jungen zu. „Weg hier!“

      Chalek schaute sie einen Moment ausdruckslos an, dann nickte er.

      Ohne weitere Verzögerung machten sie sich auf den Weg.

      Bei den ersten Schritten merkte Melia, dass ihre Knie zitterten. Sie hatte Mühe, ihr Gleichgewicht zu halten. Einmal wäre sie fast gestürzt. Sie konnte sich gerade noch an Chalek festhalten, musste aber kurz aufstöhnen.

      Danach atmete sie tief durch und dann ging es besser.

      Zügig gelangten sie wieder in die große Halle vor dem Aufzugsschacht.

      Es war reiner Zufall. Vielleicht aber auch Schicksal.

      Auf jeden Fall aber umrundete die letzte der Bestien in der Gruppe, die Melia und Chalek gesehen hatten, die Gangbiegung, als Melia stolperte und sich mit einem Stöhnen abfangen konnte.

      Dieses Geräusch drang durch den kleinen Felsspalt und gelangte schließlich auch in die Ohren dieses Monsters, das es wohl auch registrierte, im ersten Moment jedoch keinerlei sichtbare Reaktion zeigte.

      Erst als es einige, weitere Schritte getan hatte, stieß es plötzlich einen überraschten und irritierten Ton aus und verharrte in seiner Bewegung. Während die anderen Bestien weiter den Gang entlangliefen, blieb es reglos stehen und schien zu überlegen.

      Melia und Chalek hatten zu diesem Zeitpunkt gerade die Halle durchquert. Während die beiden versuchten, den Aufzugsmechanismus umzukehren, sodass sie auf der Plattform zurück an die Oberfläche fahren konnten, drehte sich das Monster fast wie in Zeitlupe ganz langsam herum. Wieder verharrte es reglos und starrte auf die Felswand, in der der kleine Spalt entstanden war, wobei es erneut ein irritiertes Quieken ausstieß.

      Melia spürte indes, wie sie immer deutlicher zu schwitzen begann, weil sich der Hebel scheinbar nicht mehr bewegen wollte. Selbst Chaleks zusätzliche Kraft reichte offenbar dazu nicht aus. Nervosität und sogar Angst befiel sie, denn sie befürchtete, dass der Zeitpunkt, an dem die Bestien den Felsspalt ebenfalls entdecken würden, viel näher sein mochte, als sie annehmen konnten.

      Wie Recht sie damit hatte, wusste sie natürlich nicht, doch Tatsache war, dass sich das Monster wiederum sehr langsam, aber stetig auf die Felswand zu bewegte, hinter der Melia und der Junge vor noch nicht einmal zwei Minuten gestanden und sie beobachtet hatten. Einen Schritt davor blieb es stehen und untersuchte den Fels sorgfältig. Dabei stieß das Monstrum sehr schnell auf den kleinen Riss. Erstaunt senkte es seinen Kopf und spähte ebenfalls hindurch auf die andere Seite. Die Tatsache, dass es dort einen weiteren Gang erkennen konnte, sorgte für ein erstauntes Krächzen.

      Endlich. Mit allerletzter Kraft und bereits schwindenden Mut, bewegte sich der Hebel endlich doch, schwang auf die andere Seite, rastete ein und nach einem kurzen Moment der Ruhe, setzte sich die Bodenplatte langsam in Bewegung. Melia holte tief Luft und stöhnte erledigt auf. Kraftlos ließ sie sich zu Boden sinken. „Na endlich!“ Das war auch schon alles, was sie sagen konnte, bevor sie weiter nach Atem ringen musste.

      Der Anblick des Ganges hinter der kleinen Felsspalte überraschte das Monster, doch der Geruch, der ihm von dort entgegenwehte, machte es augenblicklich nervös. Wenngleich kaum wahrnehmbar, so war es sich sofort sicher, dass es der Geruch von Menschenfleisch war, der ihn augenblicklich verzückte. Sofort schrie es wild und hektisch auf, es stemmte sich auf seine Hinterläufe, riss seine Vorderläufe in die Höhe, nur um sie wuchtig gegen den Felsen zu donnern. Doch der erhoffte Erfolg blieb aus, das Gestein war zu hart und zu beständig, als dass es etwas dagegen hätte ausrichten können. Außer Schmerzen, die es lautstark hinausschrie, blieb nichts zurück. Doch das Untier gab nicht auf und versuchte noch einmal, mit seinen gewaltigen, rasiermesserscharfen Krallen, den Felsen weiter zu öffnen, jedoch wieder ohne Erfolg. Mit einem wütenden, verächtlichen Brummen ließ es davon ab.

      Melia stöhnte zufrieden und erleichtert auf. Bei der Abwärtsfahrt noch voller Angst, ob der hohen Geschwindigkeit, mit der sich der Aufzug in dem Schacht bewegte, konnte es ihr auf dem Rückweg natürlich nicht schnell genug gehen. Doch auch in Chaleks Gesicht konnte sie sehen, dass der Junge einfach nur schnell von hier wegwollte. Die Angst, den Feind dennoch auf sich aufmerksam gemacht zu haben, blieb jedoch und schmeckte sehr bitter.

      Das Monster verschnaufte und starrte dabei wieder durch den Riss auf die andere Seite. Es schien, als würde es überlegen. Schließlich richtete es sich mit einem wütenden Brüllen zu seiner vollen Größe auf, stieß ein hasserfülltes Zischen aus, wirbelte auf der Stelle herum und rannte mit hoher Geschwindigkeit hinter den anderen Monstern her, die jedoch bereits weit außer Sichtweite waren, wobei es in regelmäßigen Abständen brüllte, als wolle es seine Artgenossen rufen.

      Der Aufzug wurde schlagartig langsamer, hielt schließlich gänzlich an und irgendwo in der Mechanik ertönte ein dumpfes Knacken, geradeso, als wäre ein Riegel eingerastet.

      Melia und Chalek traten sofort von der Plattform, doch während der Junge weiterrennen wollte, wandte sich Melia zur Treppe und lief ein paar Stufen hinab, bis sie unterhalb der Plattform zum Stehen kam. Dort verharrte sie atemlos und reglos und lauschte in die Tiefe, ob sie ein verdächtiges Geräusch ausmachen konnte.

      Nach ein paar Sekunden trat Chalek mit einem irritierten Gesichtsausruck neben sie, doch als sie ihm zu verstehen gab, absolut ruhig zu sein, wusste er, was sie vorhatte und tat es ihr gleich.

      Wie lange sie letztlich so standen, konnten sie am Ende nicht mehr sagen, doch erst als sie sicher waren, keine fremdartigen Geräusche vom Boden des Schachtes zu vernehmen, setzten sie sich wieder in Bewegung, rannten die Treppe hinauf, durch die Halle in den angrenzenden Gang.