sie und schien das Für und Wider abzuwägen. Schließlich überwog doch ihre Neugier. „Na also gut!“ meinte sie. „Sehen wir mal, was passiert!“
Sie machte auf dem Absatz kehrt, betrat wieder die hölzerne Plattform, betrachtete für einen Moment den langen Hebel an der linken Seite, dann drückte sie gegen ihn. Anfangs konnte sie ihn jedoch nicht bewegen. Erst als der Junge zu Hilfe kam, gelang es ihnen und es war deutlich zu hören, wie er schließlich einrastete. Eine Sekunde lang schien nichts weiter zu geschehen und Melia befürchtete schon, dass der Mechanismus nicht mehr funktionstüchtig war, dann aber knackte und scharrte es direkt über ihnen. Als sie ihren Blick anhob, konnte sie ein halbes Dutzend weiterer Zahnräder in unterschiedlichen Größen erkennen, die hauptsächlich waagerecht unter der Decke angebracht waren und sich jetzt ächzend und stöhnend in Bewegung setzten.
Schon ging ein Ruck durch die Plattform, der Melia erneut aufstöhnen ließ, dann spürte sie, wie sich die Apparatur in die Tiefe schob.
Fasziniert von dem Mechanismus registrierte sie anfangs überhaupt nicht, dass es immer schneller abwärtsging. Schon nach wenigen Sekunden hatten sie eine Strecke von über zehn Metern zurückgelegt. Deutlich konnten sie jetzt den Luftzug um sich herum spüren. Die Wände des Schachtes jagten immer rasanter an ihnen vorbei.
Melia stieß einen Schrei aus und ihr Gesicht verlor seine Farbe, denn sie befürchtete jetzt, dass der Mechanismus nicht mehr einwandfrei funktionierte und sie unkontrolliert zu Tode stürzen würden. Blitzschnell hechtete sie zu dem Hebel, doch der Versuch, ihn in die andere Richtung zu drücken, blieb ohne Erfolg. Ein panischer Blick zu dem Jungen zeigte ihr, dass dieser sichtlich Spaß an ihrer Talfahrt hatte und keinerlei Anstalten machte, ihr zu helfen.
„Chalek, hilf mir!“ rief sie deshalb. Entsetzt blickte sie nach oben, doch die Decke des Schachtes war schon nicht mehr als ein winziger Punkt über ihr. Innerlich begann sie sich zu verfluchen, weil sie so unvorsichtig gewesen war und machte schon ihr Testament, weil sie mit ihrem Tod rechnete. Da trat der Junge zu ihr und legte ihr mit einem breiten Grinsen die Hände auf die Schultern. Sie starrte ihn beinahe fassungslos an und wollte ihn schon zurechtweisen, dass es dieses Mal absolut keinen Grund für Frohsinn gab, als ihr auffiel, dass sie jetzt scheinbar nicht mehr schneller fielen. Ja, ganz eindeutig. Ihr Weg nach unten verlief noch immer in rasantem Tempo, doch es ging nicht mehr schneller abwärts, sondern die Geschwindigkeit blieb jetzt gleich.
Über den Rand in die Tiefe zu schauen traute sie sich freilich nicht, denn die Wände und die Treppe schossen so schnell an ihr vorbei, dass sie sich unweigerlich dabei selbst verletzt hätte.
Also blieb ihr nur die Hoffnung, dass ihre Fahrt irgendwann enden würde. Zufällig schaute sie dabei zu Boden und konnte dort ein kleines Loch in den Holzbohlen erkennen. Melia ließ sich auf die Knie sinken und spähte hindurch in die Tiefe, wo sie undeutlich erkennen konnte, wie der Boden des Schachtes aus scheinbar unendlicher Entfernung immer näherkam.
Plötzlich wurde ihre Fahrt abrupt langsamer und nur eine Sekunde später verharrte die Plattform reglos. Im ersten Moment registrierte Melia diesen Umstand gar nicht, dann erst wurde ihr bewusst, dass ihre Fahrt geendet hatte.
Mit einem lauten Stöhnen erhob sie sich. Bevor sie mit zittrigen Beinen von der Plattform stieg, schaute sie in die Höhe. Sofort war sie wieder entsetzt, dass die Decke des Schachtes kaum mehr auszumachen war. „Oh Mann!“ stieß sie hervor und musste kräftig durchatmen. Chalek schien weitaus weniger mitgenommen zu sein und grinste bereits wieder breit.
Sie stieg von der Plattform und war sofort sehr froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, wenngleich ihre eigene Unruhe den Felsen wirken ließ wie eine wabbelige Masse.
Chalek stützte sie und es dauerte ein paar Momente, bis sie sich wieder gefangen hatte.
Dann aber konnte sie erkennen, dass sich vor ihnen eine ähnliche Halle auftat, wie schon zu Beginn ihres Weges.
Am anderen Ende konnte sie erkennen, dass ein weiterer Gang davon abging. Da ihr bewusst war, dass sie hier ohnehin schon viel weiter vorgedrungen waren, als vertretbar war, entschloss sie sich, die Sache jetzt auch bis zum Ende durchzuziehen und schlich langsam und vorsichtig weiter.
„Hast du eine Ahnung, was das hier alles sein soll?“ fragte sie den Jungen, doch der schüttelte nur den Kopf.
Melia durchquerte die Halle und näherte sich dem Gang auf der anderen Seite. Nach einem kurzen Zögern setzte sie ihren Weg fort, während Chalek sich immer schräg hinter ihr hielt.
Sie hatten kaum zehn Meter zurückgelegt, als sich der Gang ausweitete und jetzt sicherlich gute fünf Meter breit war. Er blieb jedoch leer und führte einfach weiterhin in den Berg hinein.
Plötzlich war ein tiefes Grollen zu hören, doch noch bevor einer der beiden erkennen konnte, wo es herkam, begann auch schon der Boden zu beben.
Sogleich rieselte Staub von der Decke und kleinere Gesteinsbrocken brachen heraus. Instinktiv hechteten beide an die Felswand, um Halt zu finden.
Und dieses Mal sollten sie Glück haben. Obwohl das Beben länger und sogar etwas heftiger war, als das erste Beben an der Oberfläche, blieben sie davon verschont. Stattdessen aber brach aus dem Gang etwa zehn Meter hinter ihnen ein Teil der Seitenwand heraus und krachte mit lautem Getöse zu Boden. Melia erschrak und ihr Herzschlag beschleunigte sich wieder. Sofort danach war ein erneutes Grollen zu hören und nur wenige Meter vor ihnen schlug ein Teil der Decke zu Boden. Schließlich aber verstummte das Beben allmählich und es kehrte wieder Ruhe ein.
Als sie die Trümmer der Tunneldecke sah, wusste Melia, was sie zu tun hatten. Zwar hätten sie über sie hinwegkrabbeln und ihren Weg fortsetzen können, doch das war eindeutig viel zu gefährlich. „Okay, das wars!“ sagte sie mit einem bestimmenden Nicken. „Wir machen, dass wir hier wegkommen!“
Chalek widersprach ihr dieses Mal nicht. Melia wandte sich um und gemeinsam mit dem Jungen bahnte sie sich einen Weg um die Trümmer der Felswand herum, die fast dreiviertel der Gangbreite einnahmen.
Kaum hatten sie das geschafft, als der Boden nochmals für vielleicht zwei Sekunden erzitterte, was jedoch ohne Folgen blieb. Lediglich aus der ohnehin schon zerrissenen Felswand platzte nochmals ein größeres Stück heraus und fiel zu Boden.
Nachdem sie ihren Schreck darüber überwunden hatten, atmeten sie einmal tief durch und wollten schon ihren Weg zurück zum Aufzugsschacht fortsetzen, als Melia plötzlich stutzte, weil sie ein merkwürdiges Geräusch vernahm.
Sie hielt inne und lauschte genauer. Chalek stoppte jetzt ebenfalls ab und schaute sie mit großen Augen fragend an. Melia schüttelte den Kopf und legte ihren rechten Zeigefinger auf die Lippen, zum Zeichen, dass er still sein sollte.
Das Geräusch, das sie hörte, war ein leises Schaben oder Krächzen oder etwas in dieser Art. Sie blickte sich um und musste überrascht feststellen, dass es aus der zerstörten Felswand kam.
Unsicher und zögerlich machte sie ein paar Schritte darauf zu. Ja, das Geräusch wurde eindeutig langsam lauter und kam ihr immer mehr bekannt vor.
Schließlich hatte sie die Felswand erreicht und starrte sie an. Mit einem Mal erkannte sie, dass dort ein Spalt vorhanden war. Er war vielleicht zwanzig Zentimeter lang, gezackt, dabei nur wenige Zentimeter breit und verlief fast senkrecht im Gestein.
Melia trat direkt vor ihn und war sofort wieder überrascht, als sie erkannte, dass er den Blick auf einen hinter diesem Gang liegenden zweiten Gang freigab.
Auch dort musste es Leuchtkristalle geben, denn sie konnte schemenhaft seine Umrisse und seinen Verlauf erkennen. Dabei sah sie, dass der Gang direkt vor dem neu entstandenen Spalt eine scharfe Kurve machte. Linkerhand konnte sie sehen, wie sich der Gang aufwärts wand, rechts führte er leicht abwärts ein ganzes Stück geradeaus, bevor er weiter nach rechts abknickte.
Dort schien es Melia so, als würde weitaus mehr Licht vorhanden sein, als hier und in der Tat konnte sie Schatten sehen, die sich vor dieser unsichtbaren Lichtquelle bewegten. Sie wirkten unförmig und monströs, was sofort eine Gänsehaut bei ihr erzeugte. Auch waren