Sichelland
III
Die Nacht
von
Christine Boy
Impressum
Sichelland – I – Der Weg
Christine Boy
Copyright: © 2012 Christine Boy
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-4255-3
Alle Rechte vorbehalten.
Vorwort
„Die Nacht“ ist der dritte Teil der „Sichelland-“Reihe und wie auch „Der Weg“ ein Laienwerk, das nicht professionell korrigiert oder lektoriert wurde.Was einst als eine „kleine Fantasygeschichte“ geplant war, wurde im Laufe der Jahre zu einer Trilogie, mit deren Umfang ich selbst niemals gerechnet habe.Aus diesem Grunde findet sich – diesmal am Ende des Buches – eine Danksagung an all diejenigen, die mich bewusst oder unbewusst unterstützt und inspiriert haben.
Christine Boy
III
Die Nacht
Kapitel 1
Um die Cassydischen Gräben rankten sich viele Geschichten und Rätsel. Allgemein waren sie als eine Region bekannt, in der die Cas und zuweilen auch der jeweilige Shaj der Nacht Kampftaktiken erprobten, oft auch zu Pferde, weshalb sich dieses zerfurchte Gelände besonders eignete. Ein Manöver, das hier gelang, konnte auch in jeder anderen Gegend Sacuas durchgeführt werden.
Viele Sichelländer glaubten aber nicht so recht daran. Zumindest waren sie überzeugt, dass in den Gräben noch mehr vor sich ging. Manchmal blieben die Cas tagelang dort, ohne gesehen zu werden. Natürlich gab es immer wieder Neugierige, die sich in der Nähe versteckten, doch der Respekt vor den Zehn war viel zu groß, als dass sie genauere Nachforschungen angestellt hätten. Und so blieb es ein großes Geheimnis, was es mit den Gräben nun auf sich hatte. Gab es dort schwarzmagische Rituale oder waren dort große Reichtümer versteckt, von denen sonst niemand wusste?
Schon oft hatte der eine oder andere Abenteurer sich vorgenommen, die Gegend zu durchsuchen, wenn er sicher sein konnte, dass er nicht plötzlich von einem der Zehn überrascht wurde. Vielleicht gab es auch einzelne, die diesen Versuch in die Tat umgesetzt hatten, gefunden hatte jedoch keiner etwas. Jetzt, da der Zutritt zu den Gräben für mehrere Tage streng verboten war, bot dies wieder einmal Anlass zu den wildesten Spekulationen.
Für Lennys und die Cas war das nichts Neues. Als sie nach mehreren Stunden schnellen Galopps die letzten Hügel, die vor den Gräben lagen, erreichten, verlangsamten sie ihr Tempo und beobachteten ihre Umgebung besonders aufmerksam. Die Wachen, an denen sie kürzlich vorbeigekommen waren, schienen gute Arbeit zu leisten. Niemand war zu sehen. Trotzdem durften sie nicht leichtsinnig werden.
„Wir werden am Brunnen eine Pause einlegen.“ Die Shaj sah zum Himmel. Die Sonne stand schon recht tief. „Und wir werden dort bleiben, bis die Nacht hereinbricht. Es ist von jetzt an besser, wenn uns niemand mehr sieht.“
Der Brunnen war nicht von Menschenhand angelegt, sondern von der Natur erschaffen worden. Ein steinernes Becken, kaum größer als die Waschzuber in Afnans Wirtschaftsräumen, das aber durch ein Rinnsal, das ein Stück weiter oben aus dem Fels entsprang, beständig mit Wasser gefüllt war, welches sich, wenn es den Rand erreicht hatte, seinen weiteren Weg in eine tiefe Senke bahnte. Dass die Stelle außerdem noch durch hohe Felswände und Erdwälle geschützt wurde, hatte dazu geführt, dass hier ein nicht ganz unbekannter Lagerplatz entstanden war, den man jedoch nicht aus der Ferne beobachten konnte. Von hier aus war es ein Leichtes, sich im Schutz der Dunkelheit – allen neugierigen Blicken entzogen – davonzustehlen.
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sich die kleine Gruppe über die zahlreichen natürlichen Hindernisse zum 'Brunnen' vorgearbeitet hatte. Auch die Cas besaßen starke, robuste Mondpferde, aber sie waren nicht so dumm, ein Risiko einzugehen und ritten daher langsam durch die Gräben. Als sie den Lagerplatz erreichten, dämmerte es bereits.
„Wir machen kein Feuer.“ sagte Lennys knapp. „Karuu und Horem, ihr achtet darauf, dass niemand in unsere Nähe kommt.“
Die beiden Angesprochenen nickten und begaben sich sogleich auf die ihnen bereits wohlbekannten Posten, von denen aus sie das Gelände gut überblicken konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Sham-Yu führte die Pferde zum Brunnen, um sie zu tränken.
Alle Cas waren angespannt. Für einige von ihnen – wie Sham-Yu oder Balman – war es das erste Mal, dass sie das Sichelland verließen. Andere, unter ihnen Rahor, Haz-Gor und Faragyl, wussten sehr wohl, worauf sie sich einließen. Doch gerade Rahor war es, der sich am meisten zurückzog und den Gesprächen der anderen auswich. Er war mit seinen Gedanken nicht so recht bei der Sache. An diesem Morgen hatte er die Shaj darum gebeten, noch einmal sein Haus aufsuchen zu dürfen, um „etwas zu regeln“ - doch sie hatte es ihm nicht erlaubt. Und so hatte er in einen gefährlichen Krieg ziehen müssen, ohne sich noch einmal von seiner Schwester verabschieden zu können – und ohne diese letzte Chance wahrnehmen zu können, herauszufinden, wohin Sara gegangen war.
Er war nicht verärgert über Lennys' Entscheidung. Im Grunde hatte er schon fast damit gerechnet, aber das machte es nicht leichter, die Situation zu ertragen. Es war ihm nichts anderes übrig geblieben, als Racyl über einen zuverlässigen Boten eine Nachricht zu schicken – wohlwissend, dass er keine Antwort mehr darauf erhalten würde, bevor er aus dem Süden zurückkehrte. Am meisten aber beunruhigte ihn die Tatsache, dass ihn dieser Umstand zunehmend kalt ließ. Wirkte Ash-Zaharrs Macht schon auf ihn? Die sagenumwobene Kraft, die den Kriegern zuteil wurde, wenn sie in den Kampf zogen, so dass sie all ihre Stärke und Aufmerksamkeit nur noch auf dieses eine Ziel konzentrierten, ohne von starken Gefühlen abgelenkt zu werden - sie schien schon jetzt auf ihn überzugehen.
Ein Stück entfernt sah er, wie Lennys die Cas zusammenwinkte. Wie von selbst trugen seine Beine ihn zu ihr.
Die Zehn bildeten einen Kreis, in dessen Mitte sie ihre Sicheln legen, bis deren Positionen ein bizarres Muster ergaben. Dort, wo sich die Waffen der neun Cas kreuzten, bettete Lennys die ihre zuletzt obenauf. Bald würde der Mond aufgehen und sich darin spiegeln.
Sie sagten kein Wort, sondern starrten nur auf jenes Symbol ihrer eigenen Macht. Diese Zusammenkunft war wichtiger als sämtliche Ratssitzungen, aussagekräftiger als jede Rede, intensiver als der Auszug aus der Stadt und feierlicher als das Gelage bei Balman. Jeder Blutstropfen, der durch ihre Adern floss, schien zu glühen und ihre Gedanken wurden eins, bis sie in eine tiefe Trance verfielen.
Sie legten den Weg schweigend zurück. Nie war über ihn ein Wort verloren worden, weder ein geschriebenes noch ein gesprochenes. Und nie war er von Worten beschwert worden. Ein Cas erfuhr erst von ihm, wenn er ihn das erste Mal betrat und das einzige, was man ihm zuvor sagte war: „Schweig, solange du gehst.“
Es war eines der Wunder Cycalas', von denen niemand sonst etwas ahnte, selbst die Shajs des Himmels und der Erde waren nicht in dieses Geheimnis eingeweiht. Wie oft sagte man den Gebietern der Nacht unheimliche Kräfte nach und meist tat man es nur deshalb, weil man die wahre Natur der Sache nicht erkannte.
Fraglos hatten sie die Fähigkeit, nahezu lautlos und unsichtbar durch die Feindesreihen zu schreiten, doch sie waren keine Magier. War es Zufall, dass nie jemand erfahren hatte, wie es den großen Zehn über viele Generationen hinweg gelungen war, unbeobachtet bis zu den Grenzen ihres eigenen Reiches zu reisen, wenn es notwendig war?
Auf diese Fragen gab es viele Antworten. Eine davon war gleichzeitig auch eines der Geheimnisse der Cassydischen Gräben.
Die Schlucht war eng und