Christine Boy

Sichelland


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noch wahnsinnig ist. Keiner soll das von ihr glauben, aber manchmal... ist eine Lüge besser als eine Wahrheit. Auch für Akosh. Es wäre besser gewesen, wenn Mondor mitgekommen wäre. Er hätte vielleicht die richtigen Worte für dich gefunden. Aber bitte versuch, mich zu verstehen. Ich habe viele Eide geschworen in meinem Leben. Einer war, Saton zu beschützen. Und seine Tochter. Mit meinem Leben. Ein anderer war es, ein bestimmtes Geheimnis zu wahren. Sie alle habe ich bei meinem eigenen Blut und Leben geleistet. Ich werde keinen davon brechen, Sara. So gern ich es täte. So gern ich mit dir darüber sprechen würde. Aber ich kann es nicht.“

      Sie setzte sich wieder neben ihn und dachte eine Weile nach.

      „Ich verstehe dich.“ sagte sie dann. „Es tut mir leid, dass ich so wütend war. Aber nur so konnte ich… mir meine Frage beantworten. Ich werde gehen, Wandan. Ich suche und ich finde sie. Und ich hoffe, dass ihr auch findet, was ihr irgendwo verborgen glaubt.“

      „Du gehst allein, nicht wahr?“

      „Ja. Akosh und Menrir… ich kann nicht bei ihnen sein und Tag für Tag hören, wie sie über sie sprechen. Weil sie es nicht besser wissen. Und ich muss es ihr sagen. Was sie alle glauben. Wandan... sie werden... sie doch nicht....? Können sie ihr gefährlich werden?“

      „Ich weiß es nicht. Nein, ich glaube nicht. Und das wollen sie auch gar nicht. Ich glaube, sie wollen nur, dass jemand in ihrer Nähe ist, um sie... nun ja... zu beobachten. Mehr nicht. Sara, Lennys ist nicht allein. Rahor ist bei ihr. Und die anderen Cas. Sie werden immer hinter ihr stehen, egal was passiert. Warum glaubst du, dass du ihr helfen kannst?“

      Plötzlich brannten ihre Augen und sie musste all ihre Kraft aufbieten, um die Tränen zurückzuhalten.

      „Ich weiß nicht, ob ich es kann. Aber ich will es. Wandan, ich spüre einfach, dass ich zu ihr muss. So schnell wie möglich. Es ist das Richtige, das weiß ich jetzt.“

      „Ich kann und will dich nicht davon abhalten.“ Er sah sie lange an. „Pass auf dich auf, Sara. Und pass auf Lennys auf. Und wenn ich dir noch irgendwie helfen kann – dann lass es mich wissen.“

      Sara nickte traurig. Es tat ihr leid, sich nun von Wandan verabschieden zu müssen. Doch sein letzter Satz ließ sie auch Hoffnung schöpfen. Es gab ja wirklich etwas, was er für sie tun konnte.

      Yos schimpfte wie ein Rohrspatz. Zuerst auf seinen Onkel, dann auf Sara, dazwischen immer wieder auf sich selbst.

      „Der Alte muss vollkommen verrückt geworden sein. Aber bitte, er wird ja seh'n, was er davon hat. Warum hab' ich mich auch nur drauf eingelassen? Und du, du wirst dein blaues Wunder erleben, wenn du dein Versprechen nicht hältst!“

      Sara war klug genug, ihn reden zu lassen und nichts dazu zu sagen. Kaum dass Wandan verschwunden war, war Yos fluchend zurückgekommen und es dauerte eine ganze Weile, bis Sara aus seinem Genörgle heraushören konnte, dass sein Onkel ihrem Vorschlag wohl nicht abgeneigt war.

      „Denkt wirklich, 'ne fremdländische Dienerin könnt' ihm helfen, nur weil se die Heilerin der Shaj is. Will halt nich' seh'n, dass er einfach alt is. Alter Esel!“

      So war es munter weitergegangen, während er Sara am Flussufer entlang zu einem Pfad führte, der nicht weit entfernt in einem Waldstück verschwand. Sie folgten ihm und standen schließlich vor einer kleinen Hütte, die recht robust gebaut schien.

      „Ich warne dich!“ drohte Yos mit erhobenen Finger, bevor sie eintraten. „Wenn du mir Märchen erzählt hast, dann wird auch die Shaj davon erfahren. Das dürfte dir nicht gut bekommen.“

      „Es wäre ihr ziemlich egal.“ entgegnete Sara gelassen.

      Das Häuschen des Fährmanns bestand nur aus zwei Räumen. Der eine diente gleichzeitig als Wohnzimmer und Küche, im anderen standen zwei klapprige Betten und mehrere Kleidertruhen. Es roch nach Fisch und scharfen Gewürzen. Alles in allem fühlte Sara sich nicht sehr wohl hier, alles war muffig und schlampig, aber das Lächeln des Hausherrn besserte ihre Laune gleich wieder.

      Der alte Mann saß gebeugt auf einer einfachen Liege. Hinter ihm lagen zerdrückte Kissen. Anscheinend hatte er sich noch kurz zuvor hingelegt. Es war ja inzwischen schon Mittag geworden.

      „So so,....“ nuschelte der Alte. „Da hat mein Neffe ja wohl mal ausnahmsweise etwas richtig gemacht. Dachte wohl, ich habs nicht so mit Fremdländern.“

      „Ich bin Sara aus dem Mittelland.“ Sara sprach leise, langsam und betont höflich. Das schien dem Fährmann zu gefallen.

      „Ach, weißte, Kind, ich habs nicht so mit Fremden, das stimmt schon. Aber sind ja nicht alle gleich. Und immerhin behandelst du die Shaj, so verkehrt kannste da nicht sein. Der Yos, der meint auch immer, er wäre was Besseres.“

      Im Hintergrund schnappt Yos empört nach Luft, doch sein Onkel beachtete ihn nicht weiter.

      „Mich nennt man Rumpamar. Rumpamar, der Fährer. Aber damit isses nicht mehr weit her. Kann mich kaum noch rühren. Und da kommt mein Neffe daher und faselt 'was, dass die Heilerin der Shaj meine Schmerzen lindern könne. Dummes Geschwätz, dachte ich. Kenn' ihn ja. Aber als ich ihn fragte, wo sie denn sei, die Heilerin, da wollte er mich plötzlich davon abbringen. Dachte wohl, ich will das gar nicht. Dummkopf. Wenn er meine Knochen hätte, würde er anders denken.“

      Sara legte den Kopf auf die Seite.

      „Hat euch denn schon einmal jemand behandelt? Oder habt ihr selbst Arzneien ausprobiert?“

      „Euch? Ihr? Nee nee, junge Dame, mich kannste duzen. Eigentlich bist du ja die hohe Persönlichkeit, nicht ich. Nee, hab nie was ausprobiert. Will mich ja nicht vergiften. Doch, da war mal so 'n komisches Fett von irgendwelchen Hirschen oder so. Hat nix geholfen. Hat mir mal 'n Freund mitgebracht. Das Zeug war gut zum Kochen, aber nicht gegen die Schmerzen. Aaaah, ich sag dir, mein Rücken machts nimmer lang und die Knie auch nicht.

      Nachdenklich musterte Sara die Hütte. „Es ist zugig hier. Da hilft auch das Herdfeuer nichts.“

      „Tut mir leid, junge Dame, dass es hier nicht so schön is wie in der Burg oben. Bin froh, wenn ich mir das täglich Brot leisten kann.“

      „Das meine ich nicht. Aber wenn du Sommer wie Winter hier lebst, ist es kein Wunder, dass deine Gelenke steif werden und schmerzen. Du bist den ganzen Tag draußen am Fluss, da ist es nass und kalt. Da wäre es besonders wichtig, dass du dich abends aufwärmst.“

      „Wem sagste das? Aber hat halt nicht jeder so ein schönes Haus wie die Shaj oder so. Ne, mehr geht halt nicht. Hätte besser doch Jäger werden sollen wie mein Vadder. Oder wenigstens Schuster wie mein Bruder. Beide früh gestorben, aber nicht so arm wie ich. Aber ich wollt' immer an den Fluss. Weiß auch nicht, warum. So isses halt. Und der da....“ Er nickte zu Yos. „Der hat auch nix Gescheites gelernt. Würd ja sagen, der endet wie ich, aber das is ja jetzt schon so. Teilt sich mit mir die Hütte und hilft mir, wenn ich bei der Arbeit nicht mehr kann. Ja, so isses. Wie soll ich mir da 'ne warme Stube oder 'n Heiler leisten, hä?“

      Irgendwie tat Sara der alte Rumpamar leid. Er hatte ehrliche Augen und ein offenes Lächeln.

      „Wenn ich dir Silber gebe, wirst du mir dann versprechen, davon warme Kleidung zu kaufen? Und Baumaterial, um die Löcher in den Wänden abzudichten? Und nicht etwa Sijak?“

      „He he, junges Fräulein, mit dem Teufelszeug hab ich nix am Hut. Trinke nur mal 'n Becher Wein zu besonderen Gelegenheiten. Zu meinem Geburtstag gönn ich mir das mal oder wenn was Wichtiges in der Stadt passiert. So wie die Shaj-Wahl. Aber sonst nicht. Mein Magen verträgt sowas nicht so gut. Nee, aber wieso willst'n mir Silber geben? Hast doch nix davon. Und ich kann dir auch nix dafür geben.“

      „Das lass meine Sorge sein.“ Sie nahm einen kleinen Beutel aus ihrer Tasche, holte einige Münzen hervor und legte sie auf den wackeligen Tisch, der neben der Liege stand. Rumpamar und Yos machten große Augen. Sicher hatten sie noch nie so viel Geld besessen.

      „Warme Kleidung, Holzbretter, Decken und was du sonst noch brauchst. Meinetwegen auch eine Flasche Wein. Und jetzt würde ich mir gern mal deine Gelenke ansehen, wenn ich darf.