hätte. Es gefiel ihm, wie das Mädchen vorsichtig seine brennenden Knie, den steifen Rücken und die dürren Arme betastete und er gab bereitwillig auf all ihre Fragen Antwort.
Nach einer Weile war Sara fertig und kramte in ihrer Tasche, bis schließlich ein Töpfchen mit einer braunen Paste zum Vorschein kam.
„Das ist eine Salbe aus verschiedenen Kräutern, dem Hirschfett, dass du schon kennst und mehreren Ölen. Das Fett hat tatsächlich keine Wirkung, die Kräuter und Öle umso mehr. Reib dir jeden Morgen und Abend die schmerzenden Stellen damit ein. Schon morgen wirst du eine erste Linderung verspüren. Die volle Wirkung entfaltet die Salbe erst nach ein paar Tagen. Benutze sie, bis du keine Schmerzen mehr hast. Aber nicht länger. Und von da an nur, wenn du merkst, dass es wieder schlimmer wird. Wenn sie leer ist, schicke eine Nachricht an mich. Und sollte ich nicht in Vas-Zarac sein, dann schicke sie an Afnan, den Hauptkämmerer der Burg. Ich werde ihn darüber informieren.“
Rumpamar war vollkommen sprachlos. Ungläubig kratzte er mit einem Finger ein wenig von der Paste aus dem Töpfchen und bestrich sein rechtes Knie damit. Sofort fühlte er, wie die Stelle von einer angenehmen Wärme durchdrungen wurde.
„Gibt's nicht. Gibt's nicht.“ murmelte er immer wieder. Noch waren die Schmerzen da, Sara hatte ja gesagt, dass es anfangs dauerte, bis sich die Wirkung zeigte. Und doch spürte er, dass diese Salbe ihm helfen würde. Er war sich ganz sicher und wagte es doch nicht, daran zu glauben.
„Die kostet bestimmt 'n Vermögen.“ sagte er dann bekümmert. Das kann ich dir nie bezahl'n. Und das da....“ Er deutete auf die Silbermünzen. „Das kann ich auch nicht zurückbezahl'n. Nimms besser wieder mit. Soviel verdien' ich nie, nicht mal, wenn ich gesund bin.“
„Du musst es mir nicht zurückgeben. Und die Salbe musst du auch nicht bezahlen. Auch nicht, wenn du noch mehr davon benötigst.“ Sie räusperte sich und warf Yos einen auffordernden Blick zu.
Allmählich begann der Alte zu begreifen.
„Was hast'n ihr dafür versprochen?“ fragte er seinen Neffen barsch. „Jetzt sag schon oder willste mich zum Narren halten? Sie macht das doch nicht, weil sie dich so gern hat. Also?“
Yos wurde blass.
„Mensch, Onkel, ich dachte doch, sie wär 'ne Stümperin. Und noch biste ja nich' geheilt. Die kann doch viel erzählen! Und ich hab ihr gar nix versprochen! Hab nur gesagt, dass ich mit dir rede, sonst nix.“
Bevor Rumpamar noch etwas darauf erwidern oder auf seinen Neffen losgehen konnte, mischte sich Sara ein.
„Ich muss zur Grenze ans Mittelland. Und ich brauche dazu jemanden, der mich in einer Barke oder einem guten Boot an der Westküste entlang bis zu den Ruinen von Chaz-Nar bringt. Und das möglichst schnell. Es stimmt, Yos hat mir nichts versprochen. Aber ich habe das. Ich habe ihm mein Wort gegeben, dass ich dich heile, wenn er sich dazu bereiterklärt. Aber in meinem Tempel habe ich auch einen Schwur geleistet, nämlich den, dass ich Menschen helfe, die diese Hilfe auch brauchen. Und das habe ich getan. Auch, wenn Yos mir jetzt seinerseits seine Unterstützung verweigert.“
Rumpamar stand auf. Es kostete ihn viel Mühe und Kraft und er musste ein Stöhnen unterdrücken. Aber dann sah er seinem Neffen gerade in die Augen. Und plötzlich klang er überhaupt nicht mehr wie ein einfacher, alter Fährer, sondern wie jemand, der sehr wohl mit Worten umzugehen wusste.
„Dieses Mädel hat mehr für mich getan, als du in deinem ganzen Leben! Ich habe dich ernährt als deine Eltern starben. Meine Hütte ist klein und arm, aber ich teile sie mit dir. Du bekommst deinen Lohn, wenn du für mich auf den Fluss fährst. Aber das, Yos, das ist jetzt eine Schuld, die du begleichen musst! Du wirst sie zu den Ruinen bringen, hast du mich verstanden? Wenn es sein muss, schon heute! Dieses eine Mal wirst du mir keine Schande bereiten!“
Sara verkniff sich ein Grinsen. Mehr noch, ihr Herz schien vor Freude zu explodieren. Daran konnte auch Yos' niedergeschlagenes Gesicht nichts ändern.
„Aber Onkel...“
„Nein, Yos, diesmal kannst du mich nicht überreden. Sie sagt, du hast ihr nichts versprochen. Aber ich sage, du hast es! Sonst wärst du nie mit ihr hierhergekommen. Nehmt mein Boot, es ist das einzige, was ich ihr geben kann. Das Boot und deine Dienste!“
„Ich brauche dein Boot nicht.“ sagte Sara zur großen Überraschung der beiden Männer. „Ich habe eines.“
„Was?“ fragte Yos erschüttert. „Wie meinst'n das? Ich hab dir doch gesagt, dass...“
„Ich habe dir gesagt, dass ich eines habe, das muss dir reichen. Ein Gutes.“ Sie dachte an Wandan. Er hatte ihr versprochen, ihr eine Barke der Säbelmeister zur Verfügung zu stellen. Sie musste ihm nur durch Zaryc eine weitere Nachricht zukommen lassen, wann und wo sie sie benötigte.
„Dann ist ja alles geregelt.“ sagte Rumpamar geschäftsmäßig. Er lächelte wieder. „Und sie ist keine Stümperin. Ich merke jetzt schon, wie mein Knie weniger zwickt. Der Große möge dich beschützen, Sara aus dem Mittelland!“
Bei diesen Worten lief Sara ein eisiger Schauer über den Rücken.
Der Große.
Als Yos nach nebenan ging, um dort völlig niedergeschlagen seine Sachen zu packen, war sie mit den Gedanken wieder ganz woanders.
Der Ostbogen. Der breite, kurze Felstunnel trennte nicht nur das Mittelland vom Shanguin-Gürtel, sondern in diesen Tagen auch den Frieden vom Krieg. Doch noch war von dem Unterschied nichts zu spüren. Der Tunnel war nicht einmal einhundert Schritte lang und schnurgerade. Am anderen Ende strahlte ihnen die milchige Nachmittagssonne des Mittellands entgegen. Aber kein Feind, kein axtschwingender Hantua stürmte ihnen entgegen.
Sie hatten für das letzte Stück länger gebraucht als erwartet. Ein starker Wind war aufgekommen und hatte Sand und Staub aufgewirbelt und ihnen so das Vorankommen und die Sicht erschwert. Trotzdem waren sie zufrieden.
Kurz vor dem Ende des Bogens wartete Lennys auf die Cas. Rahor war bei ihr.
„Wir werden bis zum Einbruch der Nacht hierbleiben. Wenn es dunkel wird, überqueren wir das Plateau und steigen zu den Sümpfen hinab. Wir müssen uns nicht früher als nötig zeigen.“
Es war ein merkwürdiger Ort für eine längere Rast. Der Wind heulte draußen, doch obwohl hin und wieder eine Böe durch den Tunnel fegte, war es hier doch weitestgehend geschützt. Wenn man an die südliche Öffnung trat, bot sich einem ein weiter Blick über eine Felsebene, die man, weil sie direkt an den Bogen anschloss, das 'Ostplateau' nannte. Dahinter schien die Welt zu Ende. Erst wenn man weiterging, konnte man im Dunst der tieferliegenden Landschaft das satte Grün der Sümpfe erahnen. Doch von hier aus gesehen hüllten sich die Ränder der Ebene noch in schmutziges, undurchdringliches Grau.
Zuerst waren die Cas verwundert gewesen, dass es am Ostbogen keine Wachen gab. Sie alle kannten das Steinhaus auf dem Gipfel im Westen, wo mittelländische Soldaten den Durchgang bewachten. Hier schien es aber keinen zu interessieren, wer die Grenzen passierte. Die Antwort auf diese Frage ließ nicht lange auf sich warten.
„Da vorn liegt was.“ sagte Haz-Gor, der gerade auf der anderen Seite nach dem Rechten sehen wollte. Er war noch nicht ganz aus dem Tunnel heraugetreten.
Die anderen kamen näher.
„Das sind Tote.“ meinte Karuu. „Vielleicht die Wachen?“
„Haz-Gor, Zom und Garuel, ihr seht nach.“ befahl Lennys knapp. „Bleibt in Rufweite und kommt so schnell wie möglich zurück.“
Die drei Angesprochenen zogen ihre Sicheln und machten sich auf den Weg. Die dunklen Körper, die Haz-Gor am Rand des Plateaus erspäht hatte, bewegten sich nicht. Sie lagen direkt am Hang des benachbarten Berges. Während sie langsam darauf zugingen, postierten sich die anderen Cas am Eingang des Bogens und beobachteten die Umgebung. Sie schien wie ausgestorben.
Die drei Cas beschäftigten sich nicht lange mit den Gestalten, die am Boden lagen. Garuel beugte sich kurz darüber und untersuchte sie flüchtig, Haz-Gor und Zom nahmen den Felshang und den Boden