Christine Boy

Sichelland


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genug kennen.“

      „Das dachte ich ja ursprünglich auch. Nur leider...“

      „Akosh, wir alle geben dir Recht, wenn du sagst, dass Lennys sich manchmal etwas seltsam verhält und dass sie völlig anders ist als wir. Aber das muss nichts Schlechtes bedeuten.“

      „Trotzdem seid ihr meiner Meinung, dass man sie beobachten sollte. Ich sage ja nicht, dass sie...“

      „Verrückt ist.“ ergänzte Mondor trocken.

      Akosh verdrehte die Augen.

      „Ich wollte eigentlich sagen, dass sie vielleicht gar nicht krank im eigentlichen Sinne ist. Aber was, wenn doch? Wir können sie doch nicht einfach mit den Cas losziehen lassen – in einen Krieg gegen Log, Iandal und die Hantua! Nicht, wenn sie dann plötzlich … Ach, ich weiß auch nicht. Ihr ward nicht mit ihr im Mittelland und in Manatara unterwegs! Ihr habt nicht gesehen, wie sie das Blut getrunken hat. Das war kein normales Batíverhalten mehr! Sie hat dieses Verlangen nicht unter Kontrolle! Sie hat sich selbst nicht unter Kontrolle! Und dann das in Sagun. Meine Güte, ich kenne die alten Rituale und weiß, was da angeblich passiert. Aber dann müsste sie jetzt entweder tot sein oder eine blendende Schauspielerin. Und sie ist beides nicht.“

      „Sei vorsichtig, Akosh.“ mahnte Mondor nachdrücklich. „Du weißt nicht einen Bruchteil von dem, was Ash-Zaharrs Macht bewirken kann. Aber es hat keinen Sinn, darüber weiter zu diskutieren. Wir sind uns einig, dass Lennys nicht wie wir ist. Vielleicht noch nicht einmal wie Saton. Etwas an ihr ist anders und es gibt großen Anlass zur Sorge. Und jeder von uns hat seine eigene Erklärung. Solange wir nicht wissen, welche die richtige ist, sind das alles nur Spekulationen und bringen uns nicht weiter. Wir müssen dafür sorgen, dass ihr und den Cas nichts passiert und dass wir sie davon abhalten, irgendwelche Alleingänge zu unternehmen, die dann in einer Katastrophe enden könnten. Das ist deine Aufgabe, Akosh. Und Menrirs. Und natürlich vor allen Dingen die der Cas. Und Sara wird genau dasselbe tun, aber auf ihre Art. Wandan, Racyl und ich werden versuchen den verlorenen Erben ausfindig zu machen. Und ihr beide....“ Er wandte sich an Oras und Haya. „Ihr beide müsst Imra davon abhalten, uns auf die Schliche zu kommen. Er würde schnell einen Verrat wittern und Lennys warnen. Das wäre ganz und gar nicht in unserem Interesse.“

      „Imra hat Afnan unter seinen direkten Befehl gestellt, solange Lennys weg ist.“ berichtete Oras, der sich inzwischen in der Stadt umgehört hatte. „Es scheint, dass er durch ihn einen Großteil seiner Informationen erhält.“

      „Afnan wird nicht leicht zu täuschen sein. Zumal er ein persönliches Interesse an Saras Verbleib und offenes Misstrauen gegen Akosh hegt.“ gab Wandan zu Bedenken. „Und er hat in Vas-Zarac mehr Rechte als sonst irgendein Diener, wenn man einmal von Sara absieht, die ja nicht da ist. Er hat den gesamten Hausstand unter sich. Macht euch darauf gefasst, dass er euch auf Schritt und Tritt im Auge behält. Wäre Sara hier, könnten wir ihn vielleicht sogar auf unsere Seite ziehen, er vertraut ihr blind. Aber es ohne sie zu versuchen, hätte mit Sicherheit zur Folge, dass er noch argwöhnischer wird. Nein, ihr müsst Afnan glauben lassen, dass unser aller Verschwinden nicht das Geringste mit Lennys Verhalten zu tun hat. Und unsere Suche nach dem Erben... Nun, die ist ja kein großes Geheimnis. Immerhin wird sie sogar von der Shaj gebilligt.“

      Während die anderen weiter diskutierten, saß Racyl still in der Ecke. Es verletzte sie, dass Sara sich noch nicht einmal von ihr verabschiedet hatte. Und noch mehr tat ihr der Grund für dieses Verhalten weh. Ihre einzige Freundin zog es vor, allein und so schnell wie möglich zu dem einzigen Menschen zu gelangen, den Racyl seit so vielen Jahren versuchte zu vergessen. Und jetzt musste sie sich all die Dinge hier anhören. Über Lennys und Sara und über die Bedeutung, die ihr Tun für Cycalas hatte. Sie wollte das alles nicht miterleben, aber hatte sie denn eine Wahl? Sara hatte sie in den Kreis dieser Personen gebracht, hier war sie gut aufgehoben. Vielleicht konnte sie mit dem einen oder anderen sogar Freundschaft schließen. Mit Haya oder Mo oder sogar Wandan. Die Zeit des Versteckspiels im Hause ihres Bruders war vorbei. Aber zu welchem Preis?

      Sie verstand nicht, dass Sara sie nicht eingeweiht hatte. War der Mittelländerin ihre Gesellschaft jetzt schon lästig geworden? Stand Lennys auf irgendeine Weise zwischen ihnen beiden? Racyl hatte sich stets bemüht, dass das nicht der Fall war.

      Kapitel 3

      Der Fels war glatt und kalt. Kein Sand, keine Kanten oder Spitzen, keine noch so kleine Unregelmäßigkeit. Eine makellose Fläche, die die Natur geschaffen hatte.

      Lennys hatte sich auf der Steinplatte ausgestreckt, die etwa in Mannshöhe aus einer Felswand hinaus über das Plateau ragte. Der Ruheplatz war gerade groß genug für sie selbst und an einer Seite wucherte dichtes Dornengestrüpp aus einer Spalte hervor und schützte sie so, wenn auch nur spärlich, vor allzu neugierigen Blicken. Doch im Grunde war dieser Schutz nicht nötig. Die neun Cas wussten, wie sie sich zu verhalten hatten. Nur selten sahen sie zu ihrer Herrscherin herüber und dies auch nur flüchtig, als fürchteten sie, dabei ertappt zu werden. Aber sie waren auch pflichtbewusst genug, sich ihrer wichtigsten Aufgabe zu besinnen, nämlich dem Schutz der Shaj. Wäre diese plötzlich verschwunden, vielleicht nur zu einem kleinen Erkundungsgang rund um das bescheidene Lager, so wären die hohen Krieger unruhig geworden. Und schon zu oft hatte Lennys ihnen Anlass dazu gegeben, zu oft schon war sie ihre eigenen Wege gegangen, voll und ganz der Überzeugung, die Kräfte der Cas nicht zu benötigen. Und vermutlich war es die Tatsache, dass diese recht riskanten Alleingänge so gut wie nie in einem Kampf auf Leben und Tod endeten, die sie – zumindest in Rahors Augen – gerade in letzter Zeit immer unvorsichtiger werden ließ. Die Shaj der Nacht war überzeugt von sich und ihrem Instinkt, von ihrer Kampfkraft, ihrer Schnelligkeit und ihrer Intelligenz. Zu überzeugt, hätte man meinen können. Das Wort „Glück“ verabscheute sie. Für Lennys gab es weder Glück noch Pech. Alle Fügungen ihres Lebens schrieb sie allein den Menschen zu. Für gewöhnlich war sie der Ansicht, dass Erfolge und Siege auf ihre Leistungen zurückzuführen waren, während alles Negative aus den Fehlern anderer erwuchs. Jeden Tag ereigneten sich Dinge, die sie in diesem Denken bestärkten und niemand hätte es gewagt, ihr dahingehend zu widersprechen.

      'Überhaupt...', dachte Rahor während er mit einem Ast in der Glut des heruntergebrannten Lagerfeuers stocherte, '….überhaupt widerspricht ihr nie jemand.' Rahor war klug genug, seine Meinung für sich zu behalten. Er gestattete sich auch nur selten, darüber nachzudenken – so wie jetzt. Tatsache war, dass er Lennys mochte. Sie war seine Herrscherin, die höchste Kriegerin und mit Sicherheit die beste Sichelkämpferin im Lande. Und sie war schön. Nicht reizend und bezaubernd wie seine eigene Schwester Racyl oder wie Sara. Ihre Schönheit war eine andere und sie konnte einem durchaus Angst machen. Rahor kannte niemanden, der sich gegen ihre Anziehungskraft hätte zur Wehr setzen können, wenn sie es darauf anlegte, was sie allerdings nur selten tat. Aber, und auch das musste sich der Oberste Cas eingestehen, man konnte Lennys auch sehr viel nüchterner betrachten. In den Augen vieler Fremdländer erschien sie wohl arrogant, selbstherrlich und doch allzu sehr von sich und ihren Fähigkeiten überzeugt. Ganz von der Hand zu weisen waren diese Vorwürfe nicht, im Gegenteil. Wie oft hatte er selbst schon zumindest innerlich den Kopf über ihr Verhalten geschüttelt, gerade zu Anfang, als er neu in Vas-Zarac und noch kein hoher Cas gewesen war. Im Laufe der Jahre jedoch hatte er sich an vieles gewöhnt und sein Unverständnis hatte sich mehr und mehr in Zustimmung verwandelt, wenn auch nicht vollkommen und in jeder Lage. Nichtsdestotrotz war ein Band zwischen ihnen entstanden. Eines, das aus seiner Sicht wohl um ein Vielfaches stärker war als aus ihrer. Und er wusste, dass es auch den anderen Cas so ging, selbst Sham-Yu, der zuletzt ernannt worden war. Sie alle waren bereit, ihr Leben für diese Eine zu geben, die gerade auf der Felsplatte ruhte und der wohl völlig andere Gedanken durch den Kopf gingen als der an ihre Cas.

      Wahrscheinlich dachte sie an den Krieg, an die Schlachten und an sterbende Hantua. Und an den Verräter Iandal und den Dummkopf Log.

      Für Rahor war diese Wirklichkeit nicht greifbar. Wohl hatte er die großen cycalanischen Heere gesehen, die sich in Richtung Süden aufgemacht hatten. Und natürlich hatte er das tödliche Feuer in Lennys' Augen erkannt, das mehr als tausend Worte das verhieß, was die Feinde erwartete. Aber er hatte auch die Botschaften aus dem Mittelland gehört, wonach dort