Christine Boy

Sichelland


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Frau auf dem Altar schrie immer noch, selbst als die unheilvolle Batí über ihr die Ritualformeln sprach.

      „Ven juva simaea eltach. Moren vacumir en moren yeredir. Mendio Ash-Zarr. Baracomen Ash-Zaharr! Ven Yomen Ash-Zaharr!“

      Ihre Schreie wurden lauter, doch ebenso auch die Stimme Lenycas und obwohl die Todgeweihte nun aus vollem Halse kreischte, waren die mystischen Worte immer noch klar und deutlich zu vernehmen.

      Ry war wider Willen beeindruckt. Selbst in seinem Alter und mit seiner Erfahrung fel es ihm immer noch schwer, beim Blutritual derart gemessen und sicher vorzugehen. Natürlich wusste er, dass Lenyca keine Hemmungen hatte, zu töten. Sie war eine Kriegerin. Und sie war schon öfter mit ihrem Vater an Cycalsas Grenzen unterwegs gewesen und hatte mehr als nur ein paar Kämpfe bestritten. Aber das hier war etwas völlig anderes. Es ging nicht um einen Feind, es ging nicht darum, ein Gebiet oder gar sein eigenes Leben zu verteidigen.

      Die Sichel glitzerte im Fackellicht, als sie den Hals der Frau berührte. Diese stieß jetzt nur noch unmenschliche Laute aus, sie weinte und flehte, aber Lenycas Blick blieb kalt und gnadenlos.

      Inzwischen war sich Ry sicher, dass Satons Tochter das ohnehin sehr langwierige Ritual noch weiter in die Länge ziehen würde als nötig. Sie genoss tatsächlich jeden Augenblick und führte jede Bewegung mit einer solchen Perfektion aus, dass er sich fest vornahm, Mondor zu fragen, ob sie nicht schon einmal ein Blutopfer dargebracht hatte.

      Der erste Schnitt war nicht tief. Die Blutlinie, die sich auf dem Hals bildete leuchtete verheißungsvoll. Dunkelrote Tropfen suchten sich ihren Weg zu der eingemeißelten Rinne im Stein.

      Betont sachte setzte die Batí die Sichel ein weiteres Mal an.

      Es würde ein sehr langsamer Tod werden.

      Es war wieder dunkel. Noch immer blieben Mond und Sterne verborgen. Und noch immer fühlte sie, dass die Stimme in ihr nicht ganz gewichen war.

      „Verflucht waren deine Vorfahren.“ hallte sie nun in ihr wider. „Verflucht ist dein Stamm. Doch du, du bist die Verfluchteste von allen.“

      Stille.

      Die Stimme war weg.

      Rahor stand am Tunneleingang. Der Regen hatte aufgehört, doch die Wolken waren geblieben. Es war stockfinster.

      „Sie wird sich den Tod holen.“ knurrte Haz-Gor. Er war von allen Cas wohl der mürrischste, aber im Grunde seines Herzens wollte er oft nur nicht zeigen, wie sehr er sich sorgte.

      „Ich glaube nicht, dass sich Satons Tochter durch eine Erkältung kleinkriegen lässt.“ meinte Rahor.

      „Ich verstehe nicht, dass wir immer noch hier warten. Zuerst hat sie doch gesagt, dass wir bei Anbruch der Nacht hinuntersteigen und jetzt...“

      „Sie ruht sich aus. Und das ist gut so. Wir brauchen alle etwas Ruhe. Auch du, Haz-Gor. Sieh, die anderen haben sich auch hingelegt.“

      „Ich bin nicht müde.“

      „Das meine ich nicht. Mach dir den Moment bewusst. Cycalas liegt nun hinter uns. Der Krieg hat jetzt auch für uns begonnen. Wir sind mittendrin. Es fühlt sich nur noch nicht so an. Nimm dir die Zeit und die Ruhe, darüber nachzudenken.“

      „Eigentlich komisch.“ brummte der viel ältere Haz-Gor. „Wenn jemand wie ich sich von einem so jungen Kerl belehren lassen muss. Ich weiß doch eigentlich viel besser, wie sich Krieg anfühlt.“

      Aber Rahor nahm ihm die Bemerkung nicht übel.

      „Es wird sicher nicht so sein wie damals. Vielleicht...“ Er brach mitten im Satz ab und richtete sich auf. „Sie kommt.“ sagte er dann nur.

      Lennys bewegte sich wie im Traum auf den Ostbogen zu. Er kam ihr viel unwirklicher vor als die Bilder, die sie kurz zuvor gesehen hatte. Sie hatte sie längst vergessen gehabt, aber nun waren sie umso deutlicher gewesen. Das Blutopfer in ihrer Priesterausbildung. Der alte Lehrer Ry, der geradezu erschrocken darüber gewesen war, wie perfekt sie das Ritual beherrschte. Und die anderen Novizen, die dieses Erlebnis vielleicht allzu gern vergessen und verdrängt hätten, es aber nicht konnten. Die Hälfte von ihnen hatte sich nur innerhalb weniger Tage danach entschieden, zwar weiterhin den Weg des Himmels zu beschreiten, sich aber nicht ins Priesteramt einführen zu lassen, sondern eine Gelehrtenlaufbahn einzuschlagen. Von allen Anwesenden, abgesehen von Ry, war sie überhaupt die einzige gewesen, die über den untersten Priesterrang hinausgelangt war. Weit darüber hinaus.

      Es war nicht schwer, die Bedeutung dieser Erinnerung richtig zu deuten. Sie wusste, warum sie sie gerade jetzt zu sehen bekommen hatte. Diese Erkenntnis wog schwer. Ein merkwürdiges Gefühl schien in der Shaj zu erwachsen, ein Unwohlsein, eine dunkle Beklemmung. Etwas, das nicht sein sollte und nicht sein durfte.

      Vorhin hatte sie geglaubt, keinen Schritt weitergehen zu können. Als würde dieser Ort ihr Fesseln anlegen. Und nun waren diese Fesseln verschwunden und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als von hier zu verschwinden. Etwas zu tun. Sich abzulenken von all diesen Bildern, und sei es nur durch den Abstieg zu den Sümpfen.

      „Wir brechen auf!“ rief sie Rahor zu, als sie noch ein ganzes Stück von ihm entfernt war. „Sofort!“

      Yos traute seinen Augen kaum.

      „Gibt's nich'...Gibt's nich'...“ stammelte er immer wieder fassungslos und starrte dabei auf die schwarze Barke mit den Silberbeschlägen, die im mondbeschienen Fluss schaukelte.

      Sie war sehr klein, hatte nur zwei Ruderplätze und einen kräftigen Mast in ihrer Mitte. Unter einer weiteren Sitzbank am Heck lugten verschnürte Bündel hervor, vermutlich gefüllt mir Reiseproviant und anderen nützlichen Gegenständen. Daneben stapelten sich sauber gefaltete Decken aus Naarwolle.

      Sara jubelte innerlich. Wandan hatte sein Versprechen nicht nur gehalten, sondern es auch übertroffen. Eine Barke der Säbelwächter zu organisieren, war schon eine wahrhaft großartige Geste von ihm gewesen, aber weitsichtig wie der alte Cas war, hatte er auch gleich noch alle anderen Probleme gelöst, die die Heilerin auf sich hatte zukommen sehen. Wenn sie Yos schon eine solch abenteuerliche Reise zumutete, musste sie auch für sein leibliches Wohl sorgen. Und die kalten Winterstürme hatten ihr zusätzliche Sorgen bereitet.

      „Wo kommt'n das her? Haste doch geklaut? Meine Güte, mit 'ner Verbrecherin unterwegs sein, das hat mir grade noch gefehlt!“

      „Unsinn. Ich habe nichts gestohlen. Sei lieber froh, dass wir nicht euer altes Boot nehmen müssen.“ Leichtfüßig sprang Sara an Bord. Doch Yos rührte sich nicht von der Stelle.

      „Was ist, worauf wartest du?“

      „Wie... wie, du willst jetzt los? Jetzt? 'S is' mitten in der Nacht!“

      „Natürlich!“ Ungeduldig stemmte Sara die Hände in die Hüften und sah zu dem jungen Fährer hinauf, der noch immer wie angewurzelt auf dem Steg stand. „Ich sagte doch, ich habe es eilig. Und mir persönlich wäre es auch sehr recht, wenn uns nicht mehr Menschen als unbedingt nötig zu sehen bekämen.“

      „Nee nee... Das wird mir zu heiß!“ Yos wich einen Schritt zurück und machte eine abwehrende Geste. „Hast bestimmt was auf'm Kerbholz. Und jetz die Barke... oh man, auf so 'nen Diebstahl steht die Todesstrafe! Damit will ich nichts zu tun haben!“

      Nun wurde Sara endgültig zornig.

      „Ich sagte bereits, ich habe sie nicht gestohlen! Und du hast dein Wort gegeben! Was willst du tun? Zu deinem Onkel zurückgehen und ihm sagen, dass du zu feige warst? Willst du ihm die Heilpaste und das Silber wieder wegnehmen?“

      Yos erbleichte. „Das is' Erpressung!“

      „Nein, es ist ein Geschäft. Ich habe meinen Teil eingehalten. Jetzt bist du dran. Je länger du zögerst, desto länger dauert es, bis du wieder zu Hause bist!“

      „Als käme es darauf an! Selbst wenn wir weiter Nordwind haben, dauert's Tage bis wir da sin und wahrscheinlich Wochen, um zurückzufahren!“

      „Eben deshalb haben wir keine Zeit