Christine Boy

Sichelland


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willste denn?“ murmelte er ärgerlich, aber auch etwas verunsichert. Schließlich kam er ihrer Bitte aber dann nach.

      „Ich weiß, dass du das hier nicht gerne tust. Aber du tust es. Du hast dich dazu bereiterklärt. Yos, ich brauche deine Hilfe. Und ich glaube, dass es für uns beide besser wäre, wenn wir versuchen, miteinander auszukommen. Ich habe nicht gelogen, als ich dir versprochen habe, dir jede Belohnung zu geben, die du dir wünschst, sofern sie in meiner Macht steht. Sobald das hier alles vorbei ist. Du tust das hier nicht für mich. Sondern für etwas sehr viel Größeres und Wichtigeres. Lass uns zusammenarbeiten. Dann wird diese Reise vielleicht nicht nur kürzer, sondern auch schöner. Du hast nichts davon, wenn du dich immer nur ärgerst.“

      „Is nich' so, wie du sagst.“

      „Was meinst du?“

      „Ich mach's nich' wegen 'ner Belohnung oder so. Ich mach's, weil mein Onkel das erwartet. Er denkt, du hilfst ihm. Deshalb. Weil ihm sonst ja keiner hilft. Aber ich glaub nich', dass es klappt. Und ich mach's, weil du sagst, dass es wichtig für die Shaj is. Dann muss ich's ja tun, oder nich'? Aber ich mach's nich' gern. Will nich' weg aus'm Sichelland. Und nich' aufs Meer.“

      „Ich habe dich nicht gezwungen. Du hast dich dazu bereiterklärt. Aber jetzt möchte ich mich auch darauf verlassen können. Und du kannst dich auf mich verlassen. Nur so schaffen wir es.“

      Yos schaute ins Leere.

      „Als ich heut' meine Sachen gepackt hab', da dachte ich: Vielleicht is' das meine Aufgabe. Vielleicht hat jeder eine. Aber vielleicht irr' ich mich auch. Weißte, ich halt nich' so viel von Fremden. Und du hast keine Ahnung von dem Ganzen hier. Ich kann nich' so tun, als wäre es anders. Aber meinetwegen. Versuchen wir's zusammen. Aber wenn wir merken, dass es keinen Sinn hat, dann kehren wir um!“

      Sara nickte ernst.

      „Versprochen. Aber erst, wenn es wirklich keinen Sinn mehr hat.“

      Irgendetwas hatte die Spannung zwischen den beiden gelöst. Für Sara war es wichtig, dass Yos sich auch wirklich bemühte und vielleicht letztendlich auch das gleiche Ziel hatte wie sie, nämlich möglichst schnell unentdeckt ins Mittelland zu kommen. Und für Yos war es wichtig, dass er sich nicht als ein willenloser Diener fühlte, sondern dass man ihm das Gefühl gab, selbständig zu denken und zu handeln.

      Nach einer Weile suchte Yos wieder das Gespräch.

      „Is' aber eigentlich dumm, was du da machst.“

      „Was meinst du damit? Was ist dumm?“

      „Naja, das mit'm Boot. Ich denk, es soll schnell gehen?“

      „Aber das ist es doch. Wir können in drei oder vier Tagen die Ruinen erreichen. Zu Fuß hätte ich wohl doppelt so lange gebraucht. Durch den Shanguin-Gürtel und über die Berge.“

      „Na, schon. Aber ich soll dich doch zu diesen komischen Ruinen bringen, ne? Und dann? Was willst'n dann machen? Wo willste hin?“

      Ein wenig verwirrt sah Sara ihn an.

      „Nun ja, ich muss natürlich erst einmal herausfinden, wo sich die Shaj und die Cas aufhalten. Aber das kann wohl nicht so schwer sein. Sie fallen ja auf und man wird sicher überall von ihnen reden.“

      Ungläubig riss Yos die Augen auf.

      „Das is' alles? Das is' dein Plan?“

      „Man kann nicht immer alle Schritte planen! Das ist das, was ich tun werde.“

      „Und dann? Willste zur Shaj oder was? Warum? Denkste, sie bräuchte deine Hilfe beim Kämpfen?“

      „Nein.“ Sara versteifte sich. Sie konnte und wollte Yos nicht einmal ansatzweise das sagen, was sie wirklich zu ihrem Entschluss bewegt hatte, noch wollte sie diesen näher erklären. Es wäre auch schwer gewesen, das, was in ihr vorging, in Worte zu fassen. Ihre Vermutung war vage, die Hoffnung schwach. Aber es war das einzige, woran sie sich festhalten konnte.

      „Ich habe meine Gründe, Yos. Ich muss ins Mittelland und ich muss dort eure Shaj finden. Und zwar so schnell wie möglich. Es ist wichtig für sie und für euch alle.“

      „Wie du meinst, dann sagste halt nichts. Aber trotzdem isses dumm. Bin ja auch nich' von gestern. Über die Berge wärste schneller gewesen.“

      „Und weshalb?“

      „Na, die Ruinen sind ganz im Westen. Aber im ganzen Sichelland gibt es nur zwei Wege nach Süden. Den Ost- und den Westbogen. Und durch den Westbogen sind se sicher nich' gegangen, das hätte dann ja jemand gesehen, so viel wie da jetzt los is. Ich kenn mich ja nich' aus im Süden, aber so viel weiß sogar ich. Du brauchst viele Tage, um von den Ruinen aus dorthin zu kommen, wo die Cas sind. Wenn du sie überhaupt findest.“

      Noch während Yos sprach, erkannte Sara, dass er aus seiner Sicht natürlich recht hatte. Aber sie hatte sich längst überlegt, wie dieses Problem zu lösen war. Alles was sie dazu benötigte, war ein wenig Gold, das sie sich noch aufgehoben hatte und Glück.

      „Da vorn.“ sagte der junge Mann plötzlich. Er deutete auf einen Punkt in der Ferne. „Hinter den Hügeln. Da ist die Küste. In einer Stunde sind wir auf dem Meer.“

      Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf und ihre Glieder seien aus Stein. So schwer und so unbeweglich. In ihrem Knie hämmerte ein Übelkeit erregender Schmerz.

      Nur langsam und widerwillig richtete sie sich auf.

      Der nächste Tag war angebrochen und sein Morgenlicht offenbarte aufs Neue die Geschehnisse der vergangenen Nacht.

      Unter den Tannen grasten friedlich die Mondpferde, unbeirrt und unbeeindruckt von den toten Hantua, die sich auf der Erde türmten. Mehrere Dutzend. Sie lagen in ihrem getrockneten Blut, viele von ihnen verstümmelt – kopflos, mit aufgeschlitzten Bäuchen und herausgequollenen Eingeweiden, manchen fehlte auch ein Arm oder die missgestaltete Nase. Trotz der Winterkälte ließen sich die ersten Fliegen auf den Kadavern herab.

      Es war ein nebliger Morgen, der einen ungewöhnlich schönen Tag versprach.

      Die Cas saßen nicht weit entfernt am Rand des Weges, der an dieser Stelle weiter hinabführte und kurz darauf auf die Sümpfe stieß, die jetzt noch im Nebel verborgen lagen. Außer Faragyl und Karuu schienen alle anderen Krieger bereits wach zu sein. Sie räkelten sich in der Morgensonne und man sah ihnen an, dass sie noch nicht so klar und kräftig waren, wie man es nach einigen Stunden Schlaf hätte erwarten können. Gerade jetzt sammelten sie die liegengebliebenen Kelche ein, reinigten ihre Sicheln und blinzelten müde über den Ort, der in der vergangenen Nacht so viele Leben gefordert hatte.

      Als die Shaj der Nacht von dem Steinblock, auf dem sie geruht hatte, herunterrutschte, knickte sofort ihr Bein unter dem stechenden Schmerz ein. Sie kannte sich gut genug, um zu wissen, wie ernst eine Verletzung zu nehmen war oder nicht. Noch einmal versuchte sie vorsichtig, das Knie zu belasten. Es war mehr als unangenehm, aber nicht unmöglich.

      Rahor, der als erster in ihre Richtung sah, runzelte die Stirn, als Lennys auf sie zu hinkte.

      „Das sieht nicht gut aus.“

      Aber sie beachtete seinen Einwand nicht und schaute hinab zu den Sümpfen.

      „Wir müssen darauf gefasst sein, dass es noch mehr solcher Angriffe geben wird. Das hier war nur ein kleiner Vorgeschmack. Lasst uns diese Gegend schnell hinter uns bringen, ich will lieber auf festem Boden kämpfen.“

      Kurz darauf waren auch Karuu und Faragyl aus dem Schlaf geholt. Wie alle Cas – außer Haz-Gor, Zom und Balman – waren auch sie Batí, die des nachts reichlich die Kelche gefüllt hatten und nun mit den Nachwirkungen kämpften. Sehr bald schon konnte sie das nicht mehr beeinträchtigen, allein der lange Verzicht brachte ihre Wahrnehmung noch etwas durcheinander.

      Grinsend nickte Haz-Gor zu den Toten hinüber.

      „Ein Festmahl ist angerichtet. Ein Paradies für die Krähen.“

      „Sollen sie ihnen die toten Augen aushacken.“ meinte Lennys gleichgültig