Christine Boy

Sichelland


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vorgibt und weil ich es selbst auch so empfand.“

      „Herr... es gibt Anzeichen, dass Akosh...“

      Doch Imra winkte ab.

      „Ich weiß, ich weiß. Akosh und Talmir. Ein sehr schwerer Vorwurf. Ich kenne deine Sichtweise. Und auch die Saras. Oh ja, sie ist für mich durchaus ein Maßstab. Du kannst das sicher am ehesten nachvollziehen. Aber auch Sara kann sich irren. Und du. Und natürlich auch ich. Es fällt mir einfach schwer, mir vorzustellen, dass ein halber Batí, ein Krieger, ein Sichelträger... sich verbündet mit einem Priester und sich so gegen seine Shaj stellt. Mehr noch. Ihr glaubt, er steht auf der Seite des größten Verräters, den es in der Geschichte unseres Landes je gegeben hat. Es gibt in euren Augen vieles, das dafür spricht. Aber gibt es nicht auch Gegenargumente?“

      „Sicher, Herr. Aber ist es im Zweifel nicht besser, jemandem nicht zu vertrauen?“

      Imra lachte. „Willst du, dass ich werde wie die Shaj der Nacht?“

      Afnan aber blieb ernst.

      „Herr, darf ich ehrlich sprechen? Als einfacher Mann dürft ihr euer Vertrauen einem jeden schenken, von dem ihr glaubt, dass er es verdient. Aber nun seid ihr der Shaj der Erde. Ein Fehler kann mehr bewirken als eure eigene Enttäuschung. Ihr tragt die Verantwortung für ein Land. Vertrauen kann in diesem Fall mehr zerstören als Vorsicht. Und es ist schwieriger, es rückgängig zu machen.“

      „Ein weises Wort, mein Freund. Und ja, ich nenne dich so. Vielleicht hast du recht. Aber nun bin ich an einem Punkt, an dem ich wirklich deine Hilfe brauche. Und deinen Rat.“

      „Herr, ich weiß nicht, ob ich der Richtige bin, den Shaj zu beraten.“

      „Oh doch, das bist du. Du kennst diese Burg und ihre Geschichte. Du kennst die Shaj der Nacht besser als die meisten hier. Und du kennst diejenigen, die sich hier aufhalten. Und die es auch schon früher taten. Ich habe dir bereits erzählt, was Lennys von mir erwartet. Ich bin längst nicht in alle Geheimnisse eingeweiht. Und eines, das mir verborgen bleibt, soll ich nun schützen. Nun, vielleicht ist das etwas übertrieben. Aber es scheint ihr wichtig zu sein. Warum sonst hätte sie mich kurz vor ihrer Abreise darum gebeten, obwohl es doch so viel Bedeutsameres gibt, um das es sich zu kümmern gilt? Jedenfalls ist dies ein Thema, über das ich pausenlos nachdenke und das mich, dies sei mir gestattet, mit großer Unsicherheit erfüllt.“

      „Ihr sprecht von den Herren Mondor und Wandan?“

      „Sie haben Vas-Zarac und auch Semon-Sey verlassen, wie man mir mitteilte. Angeblich sei auch noch Mo, der Diener Balmans bei ihnen gewesen. Zumindest hat er sie in der vergangenen Nacht aufgesucht. Lennys erwähnte etwas von einer Suche, auf die sie sich begeben wollen und zu der sie selbst die Erlaubnis erteilte. Allerdings ist ihr wohl daran gelegen, dass diese Suche … nun ja, nicht unbedingt die Erkenntnisse liefert, die ihr Ziel sind. Sie wünscht, über alles unterrichtet zu werden, was Wandan und Mondor herausfinden. Und jetzt sage mir, Afnan, wie soll ich dies bewerkstelligen? Es gibt wohl im ganzen Sichelland niemanden mehr, der es schaffen könnte, einem alten Cas wie Wandan …hinterherzuspionieren. Und wenn es jemanden gäbe, so hätte ich dennoch kein gutes Gefühl bei der Sache.“

      Nachdenklich runzelte Afnan die Stirn. Sein Herr Imra hatte dies schon einmal angesprochen und natürlich hatte er, der Hauptkämmerer, sich seine Gedanken gemacht, aber er war zu keinem befriedigendem Ergebnis gekommen.

      „Wenn ihr wüsstet, wo sie hingegangen sind, so wäre es leichter, an Informationen zu kommen.“

      „Ich habe eine Vermutung. Oder sagen wir besser, Lennys hatte diese. Leider macht es die ganze Sache nicht leichter. Sie glaubt, dass die beiden nach Yto Te Vel reisen könnten.“

      „Die alte Batí-Stadt? Eine Überraschung wäre dies nicht, immerhin leben die beiden eigentlich dort.“

      „Eben. Wenn sie dort nach etwas 'suchen', dann habe ich wohl keine Möglichkeit, etwas darüber herauszufinden.“

      „Herr, auch wenn Mondor und Wandan Batí sind und viele Freunde in Yto Te Vel haben, so seid ihr doch der Shaj der Erde. Eurem Wort können sich selbst die Batí nicht verschließen.“

      „Ich möchte sie nicht gegen mich aufbringen oder sie zu etwas zwingen.“

      Doch Afnan schüttelte den Kopf.

      „Ihr handelt im Auftrag der Shaj der Nacht. Und ihr Wort steht für die Batí noch über dem euren.“

      „Und doch verliert es an Gewicht, wenn es durch mich ausgesprochen wird.“

      „Wenn ihr im Namen Lenycas sprecht, kann, darf und wird sich kein Batí widersetzen, Herr. Nur werden sich alle fragen, warum Wandan und Mondor Ziel eurer Ermittlungen sind. Gerade Mondor. Er ist so etwas wie der Herr von Yto Te Vel. Leicht wird es sicher nicht, aber letzten Endes müssen sich die Menschen dort eurem Willen beugen.“

      Eine sehr lange Zeit blieb es still. Imra dachte über das, was Afnan gesagt hatte nach und er überlegte auch, ob er überhaupt eine andere Wahl hatte.

      „Schicke einen Boten nach Yto Te Vel, Afnan. Einen berittenen Boten. Er muss vor den beiden dort ankommen und er soll ungesehen bleiben. Ich werde eine Nachricht an den momentanen Tempelvorsteher schicken, der Mondor vertritt, und ich wünsche, dass jener Bote die Antwort oder den Mann selbst auf schnellstem Wege hierher bringt.“

      Warmes, süßes Blut. Sein Geschmack vertrieb jeglichen Schmerz, zumindest für eine Weile. Eine Welle der Trunkenheit überkam sie, kaum dass die Flüssigkeit ihre Lippen berührt hatte. Die Welt ringsum versank in einem Farbwirbel, ihr eigener Lebenssaft rauschte immer lauter in ihren Ohren. Mit jedem Schluck nahm das Gefühl zu und als sie den Kelch geleert hatte, waren ihre Sinne weit weg von allem, was gerade noch Wirklichkeit gewesen zu sein schien.

      Sie sank zurück, legte sich auf den Stein und vergaß Zeit und Raum. Der letzte klare Gedanke in ihr war, dass es viel zu schnell vorbei sein würde.

      Kapitel 4

      Je weiter sie flussabwärts fuhren, desto kälter wurde es. Mit der allmählich aufgehenden Sonne im Rücken verstärkte sich der Eindruck, dass diese Nacht ungewöhnlich lang war.

      Fröstelnd zog sich Sara eine der Naardecken enger um die Schultern. Sie hätte Yos gern geholfen, das Boot zu steuern, aber der junge Fährer hatte ihr schnell klargemacht, dass er allein besser zurecht kam. Dank des gleichmäßigen Nordostwinds hatten sie bislang kaum die Ruder benötigt und mit ein wenig Glück würde es noch eine ganze Weile so bleiben.

      „Im Winter kommt der Wind fast immer aus'm Norden.“ hatte Yos gesagt. Ansonsten war er wortkarg geblieben. Scheinbar hatte er sich mit seinem Schicksal abgefunden, glücklich darüber war er aber sicher nicht.

      „Wenn wir an der Küste sind, solltest du mir zeigen, wie man die Barke steuert.“ versuchte Sara, eine Unterhaltung zu beginnen. „Du brauchst Ruhepausen und wir kommen schneller voran, wenn wir abwechselnd schlafen und der Wachende das Boot übernimmt.“

      Yos knurrte verstimmt. Natürlich hatte Sara recht. Und natürlich hatte sie auch das Sagen, immerhin war es nicht nur ihre Reise, sondern auch die Barke selbst gehörte ihr. Nun, nicht direkt ihr, wie er glaubte, aus ihren Andeutungen herauszulesen, aber ihm noch sehr viel weniger.

      „Ist es sehr schwer?“ fragte sie, als er sich zu keiner ausführlicheren Antwort herabließ.

      Er zuckte die Schultern.

      „Braucht schon Übung.“ sagte er dann knapp.

      „Und vermutlich einen guten Lehrer?“

      „Wirst dich schon mit mir begnügen müssen. Du hast es ja nich anders gewollt. Hab mich nich' drum gerissen.“

      Sara stand auf. Das Schaukeln der Barke bereitete ihr erstaunlich wenig Probleme, auch fühlte sie nichts von der Angst vor dem Wasser, die man den Mittelländern nachsagte.

      Sie legte ihre Hand auf Yos' Schulter.

      „Sieh mich an.“

      Zögernd