Ines Mandeau

Mandalay und Monaco


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      Wir setzen uns Schulter an Schulter und relativ schief an den Stamm der Trauerweide, schlenkern die Bierflasche in der Hand und lassen unsere Gesichter von der Sonne bescheinen. Ich überlege flüchtig, ob ich Richi auf sein Schweigen die letzten Wochen hindurch ansprechen soll, da fragt er aus heiterem Himmel: „Fährst du wirklich allein nach Birma?“

      „Myanmar heißt das jetzt. Ich fliege nach Mandalay. In Etappen, versteht sich. Und ja, ich bin allein auf Achse. Wie immer.“

      „Ist dort drüben nicht Terror und Drogen und so Katastrophen?“

      „Ach Quatsch. Nicht mehr als sonst wo.“ Richi hat, im Gegensatz zu mir, Europa selten verlassen und wenn, dann als Pauschaltourist, der faule Lümmel! Und hätte er nicht seine organisierten Ausflüge zu den Sportevents, käme er noch weniger raus aus seiner netten Komfortzone. Ich halte ihn für weltunkundig und einen jener Heimhocker, der sich vor der Ferne fürchtet und ernsthaft glaubt, abseits der erprobten Pfade lauerten grässliche Gefahren, denen primär weibliche Alleinreisende ausgesetzt seien; und ich meine, das ist nichts weiter als eine speziell männliche Fantasie. Mein Buddy ängstigt sich völlig unnötig um reisende Singlefrauen, was ich oft genug bewiesen habe, indem ich von meinen vielen Ausflügen in die große Welt jedes Mal heil zurückgekehrt bin und wahrlich, in abartigen Gegenden habe ich mich durch die Büsche geschlagen. Es ist nur eine Frage des Willens. Durchbeißen muss man sich, that’s all.

      Richi sieht mich zweifelnd an, dann wendet er sein Gesicht wieder der Sonne zu und setzt die Bierflasche an sein schnuckeliges Mäulchen. „Passt eh gut auf“, sagt er nach ein paar schmatzenden Schlucken.

      Ja, ja. Ich genieße die Wärme auf der Haut, halte die Augen geschlossen und sehe den tanzenden Kringeln zu und den feurigen Kreisen, die das Sonnenlicht auf meinen Lidervorhang zaubert. Die goldenen Pagoden von Mandalay! Die will ich unbedingt begucken. Und den Irrawaddy-Strom! Und, und … und übermorgen Abend geht es los. Vorher jedoch muss ich kurz nach Kreuzegg zu meinen Eltern.

      Richis Stimme unterbricht meine Gedanken. „In Monaco war es lässig“, sagt er mit routinierter Lässigkeit.

      „Ach ja? Monaco?“ Ich reibe meinen Rücken am Stamm der Weide, trinke die Flasche leer und lege sie zur Seite. „Dieses Schicki-Micki-Kaff? Sorry, so was interessiert mich nicht im Geringsten.“ Nein, wahrhaftig nicht. Und das Bier war wirklich zu warm.

      Richi scheint mich nicht gehört zu haben. Er fummelt in den Schlappertaschen seiner Cargohose und befördert ein mächtiges Smartphone an den Tag. „Ich habe gefilmt, Moment, Sekunde.“ Hektisch wischt er auf dem Display seines Megagerätes hin und her.

      Ich bin noch nicht fertig. „Diese TriStar111-Typen sind gierig und versnobt. Das Label hält sich nicht lange, das kann ich dir prophezeien.“ Ich fange an auszuholen und meinen Unmut über diese Rennserie loszuwerden, die ich nach einer einmaligen Teilnahme im vorletzten Sommer in schlechter Erinnerung habe. Wir Athleten hatten ein saftiges Startgeld zu berappen und bekamen zum Dank eine unsympathische, sterile Abfertigung, als wären wir Maschinen und nicht Menschen mit dem verdammten Bedürfnis nach einem Tröpfchen Balsam für die gequälte Wettkampfseele, und …

      Richi grätscht mir rein ins Wort. „Ich fand’s spannend“, sagt er und legt los mit Daten und Fakten zu jener Highflyer-Veranstaltung in Monaco, an der dabei zu sein ihm offenbar ungemein wichtig gewesen ist. Plötzlich weiß ich auch warum, als mitten in meines Buddys Redeschwall der beiläufige Satz fällt: „Nach meinem Bike-Desaster ging Mona shoppen und ich wartete derweil im Café de Paris.“

      Mona ist Emmerichs Ehefrau und hat mit konsequenter Körperertüchtigung so wenig am Hut wie ich mit dem Tüfteln an quantenmechanischen Wellenfunktionen, nämlich null Komma null. Dafür ist sie blond und kennt stets den angesagten Haarefarbton der Saison. Sie ist im Alter meiner Nichten und wusste früh, was sie wollte: einen Traummann samt Traumhaus mit Wintergarten und zwei putzige Kinderchen. Das bekam sie auch. Nun durfte sie also neulich ihren Heldengatten an die Côte d’Azur begleiten.

      „Ich hab’s!“, ruft Richi und neigt den Bildschirm halb zu mir. „Mann, diese Superflunder! Ist das nicht ein Wahnsinn?“

      Ich sehe, wie eine rote Motorhaube auf mich zukommt. „Ein Auto?“

      „Mensch Cilli, das ist kein Auto, das ist ein Ferrari! Ist das nicht geil? Hör mal, dieses Soundpaket!“ Er zieht den Audioregler auf maximale Lautstärke. „Das war vor dem Casino Monte-Carlo“, erklärt er eifrig. „Kam dort eine Nobelkarosse nach der anderen um den Palast geritten. Eine nach der anderen! Diesen Maranello-Flitzer hier hab ich echt spitze abgefilmt. Mann, was für ein Geschoss!“

      Ich rede gern und viel mit Männern, aber wenn es um Autos geht, bin ich so unfähig wie unwillig, einen Beitrag, geschweige denn einen bedeutsamen Beitrag, zur Fachsimpelei zu leisten. Kraftfahrzeuge sind mir gleichgültig, ich besitze keines, und meine praktische Erfahrung zu dem Thema beschränkt sich darauf, dass ich einen Rotkreuz-Rettungswagen zu lenken imstande bin – und zwar gekonnt tatütata und nicht selten im Kampf um Sekunden, damit ich eine Lebendeinlieferung des Patienten in das Krankenhaus hinkriege. Welche Automarke hat unser Einsatzwagen? – Keine Ahnung.

      Richi schwatzt von Type und Baujahr und starrt wie verhext auf den Bildschirm. Mir reicht’s. Ich will aufstehen und Tschüssiküssi sagen, da bleibt mein Blick an der laufenden Videoszene hängen. Sehe ich richtig?

      Träume ich?

      Das gibt’s doch nicht!

      „Stopp!“, brülle ich. „Halt an!“

      Richi zuckt erschrocken zusammen und tut – nichts. „Halt den Film an!“, wiederhole ich. Wie kann ein Mann, der einen Marathon unter drei Stunden läuft, dermaßen lahmarschig sein? Ich will ihm schon sein Ding entreißen, da kapiert er endlich.

      „Ruhig Blut“, sagt er. „Was willst du denn sehen?“

      „Die Szene vorhin. Spul zurück. Wo eine Frau aus dem Auto steigt. Zeig her!“ Mir pumpert’s an die Rippen, während Richi auf dem Display herumwischiwaschelt.

      „Okay.“ Er hält mir sein Smartphone vor die Nase. „Meinst du die?“

      Film ab: Das rote Auto rollt auf die Handykamera zu und bleibt am Straßenrand stehen, an den eine Terrasse mit Stühlen und Bistrotischen anschließt. Die Beifahrertür öffnet sich und heraus schwingt der Modelbody einer Frau in einem schneeweißen knielangen Kleid, das die gertenschlanke Figur vorzüglich zur Geltung bringt. Regisseur und Kameramann Richi zoomt genüsslich ran – natürlich, der alte Casanova – und verharrt im Close-up auf dem Gesicht. „Stopp!“, schreie ich und dieses Mal ist mein Buddy auf Zack: und Standbild. Eine Großaufnahme von azurblauen Augen und Herzkirschenmund, und üppigen Locken aus sattbraunem Haar.

      „Steiler Zahn“, sagt mein Sportsfreund und rammt seinen Ellbogen in meinen Oberarm. Der herbe Knuff macht mich schlagartig nüchtern.

      „Das ist Lena“, entgegne ich cool, „meine Schwester.“

      Ich kann mich nicht täuschen. Es sei denn, es existierte eine Doppelgängerin meiner Schwester. Nein, unmöglich, ein solches Gesicht gibt es nur einmal auf der Welt, und außerdem: „Sie wohnt in Nizza.“

      „Echt? Du hast eine Schwester in Nizza? Und die spaziert mir in Monte-Carlo vor die Linse? Das ist der Hammer!“ Richi ist neugierig. Er lässt das Video weiterlaufen. Der „steile Zahn“ lacht nach links über das Autodach hinweg und entzückt damit den sicher ebenfalls ausgestiegenen Chauffeur, der bedauerlicherweise nicht zu sehen ist. Kameramann Richi hält auf die Lady, die die Wagentüre zuwirft, sich umdreht und höchst elegant die Stufen einer breiten Treppe hinaufstöckelt, die zum Eingang des Gebäudes im Hintergrund führt. Dort verschwindet das weiße Kleid in das dunkle Innere eines von livrierten Männern gesäumten Portals. Gezielter Fokus auf die goldenen Lettern am schmiedeeisernen Vordach: Casino Monte-Carlo. The End.

      „Das hab ich einwandfrei in den Kasten gekriegt. Super Gerät, mein neues Smarty. War das wirklich deine Schwester? Soll ich dir das Video kopieren?“

      „Nicht nötig.“ Mein Hintern tut