Ines Mandeau

Mandalay und Monaco


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gelingen will. Ein feiner Duft weht in meine Nase. Das ist garantiert ein französisches Edelparfum. „Komm, wir setzen uns.“ Sie nimmt mich am Oberarm. „Du bist ganz kalt!“, ruft sie. „Hast du keinen Pullover dabei?“

      „Mir ist nicht kalt“, widerspreche ich.

      „Aber schau, hier, du hast eine Gänsehaut!“ Lenas Fingerkuppen streichen flüchtig über meine nackte Haut.

      „Mir ist nicht kalt“, beharre ich, schiebe meine Ellbogen nach hinten und schäle mich aus den Tragegurten, die in die Schultern schneiden. Der Rucksack donnert auf den Fensterplatz und ich sinke in den Sitz daneben. Lena setzt sich gegenüber, zurrt ein ponchoartiges Stoffteil vor ihrer Brust fest und lächelt mir zu, als ich zum Wetter ein paar Worte sage, nämlich, heute sei es affenbrüllehitzeheiß, jawohl.

      Was rede ich mit einer Schwester, mit der ich seit längerem nur unverbindliche E-Mails austausche, die in ihrer inhaltlichen Dürftigkeit an der Grenze zur Unhöflichkeit liegen, selbst wenn sie von Zeit zu Zeit aufgehübscht sind mit einer gewissermaßen pressetauglichen Fotodatei im Anhang? Mit einer Schwester, von der ich nicht wesentlich mehr weiß als die staubtrockenen Eckpfeiler ihres Lebenslaufes? Name: Magdalena Planck, Stand: ledig, Kinder: keine, Alter: fünfzig. Geboren in Kreuzegg und nach der Hochschule berufsbedingt verzogen ins Ausland mit diesem Tick, keinem Familienmitglied die Postadresse preiszugeben und niemals jemanden von den Verwandten zu sich einzuladen. Sie zieht häufig um. Vor einigen Jahren ist sie in Südfrankreich gestrandet und wohnt irgendwo in oder um Nizza. Angeblich.

      „Hey, und wie geht es dir so?“, frage ich schnell, bevor ein komisches Schweigen entstehen könnte, nachdem die Außergewöhnlichkeit der aktuellen meteorologischen Lage zügig abgehandelt worden ist.

      „Gut, ich hab’s fein, aber du, Schwesterlein?“ Sie fixiert mich mit diesem Kontrolleursblick, den ich seit jeher an ihr hasste. „Du schaust furchtbar zerzaust aus, meine Kleine, und abgehetzt. Wie eine gejagte Antilope! Und wie dürr du bist! Bist du krank? Oder hast du Liebeskummer?“

      Blöde Frage. Cool bleiben. „Ach wo, mir geht es prima, alles bestens. Ich habe diesen Sommer so viele Triathlons abgespult wie noch nie. Bei mir läuft’s wie geschmiert.“ Ich dehne meinen Athletenbody und strecke die Arme der Waggondecke entgegen. „Und du hast dich nicht die Spur verändert. Du schaust immer gleich aus.“

      War das als Kompliment gemeint – oder nicht? Ich habe meine Schwester, ungelogen!, genauso in meinem Bildgedächtnis gespeichert, wie sie höchstpersönlich vor mir sitzt: Ihre Haare sind straff aus der Stirn gekämmt und zum Oma-Dutt im Nacken festgeklammert, die hagere Figur versteckt sich vom Hals bis zur Wade in flattrigen Gewändern und das Schuhwerk ist rein funktional – um es neutral zu formulieren. Offen gesagt finde ich diese flachen Gesundheitstreter grottenhässlich. Wären Lenas Lippen nicht knallig rot geschminkt und die langen Fingernägel ebenso rot lackiert, hätte ich den Look meiner Schwester in die Rubrik verdorrte Gouvernante eingeordnet. Altjungfer Fräulein Rottenmeier lässt grüßen.

      Sie lacht hell auf. „Ich hab mich nicht verändert? Warte nur ab, bis du meine Runzeln und Warzen im gnadenlosen Licht der Wahrheit zu Gesicht bekommst. Immerhin sind wir beide bereits Großtanten und vom irdischen Dasein gezeichnet.“

      Was redet sie für wirres Zeug? Und was sage ich darauf? Mir fällt nichts Gescheites ein. Stattdessen erinnere ich mich, dass Lena seit jeher nervöse Anwandlungen hatte und diese mit schrulligen Bemerkungen zu überspielen versucht. Sie hat diese irritierende Manier, Gesprächsthemen zick-zack zu wechseln wie ein Feldhase auf der Flucht, wobei ihre Stimme jedoch unheimlich relaxed daherschmeichelt und seltsam süßlich klingt. Mir ist das zu verschroben.

      „Apropos“, schlägt sie einen Haken, noch bevor ich etwas Kluges zum Thema Gezeichnetes Irdisches Dasein hätte äußern können, „hast du eine Ahnung, wie’s Zuhause geht und steht? Was ist morgen überhaupt im Detail geboten?“

      Mit „Zuhause“ meint sie unser Elternhaus, also den Planckenhof mit seinen Bewohnern. Meine Besuche dort sind über die Jahre und Jahrzehnte zunehmend rarer geworden und wenn ich mal aufkreuze, dann ist die Stippvisite nach längstens einem halben Tag erledigt. Ansonsten bin ich über die Vorgänge auf dem Hof nur soweit informiert, wie sie in gelegentlichen Telefongesprächen mit einzelnen Familienmitgliedern eher zufällig und beiläufig angeschnitten werden. Zwischen Lena und den Blutsverwandten ist die kommunikative Lage ähnlich zundertrocken, schätze ich und sage:

      „Zuhause? Wird schon alles passen. Ich habe keine Neuigkeiten gehört und denke mir, no news is good news. Zum morgigen Programm weiß ich nichts, außer dass Mammi und Dette ein lockeres Beisammensein am Bauernhof quasi angeordnet haben. Das Geburtstagskind will sich anscheinend nicht üppig hochleben lassen und hat keine Lust, in ein Gasthaus Essen zu gehen oder sonst wie auswärts auf die Pauke zu hauen. Du kennst ihn ja, unseren Oldie. Außerdem sieht er kaum mehr was, und hören tut er auch schlecht. Die Moral von der Geschicht’: Besser feiern wir Zuhaus.“

      „Gut, dann lassen wir uns überraschen. Die Sonne lacht, da können die Kinder im Freien toben und es wird nicht zu eng in der Küche. Ah, wie ist das Wetter warm und schön!“, beginnt sie zu schwelgen. „Himmlisch! Köstlich! Magnifik!“

      Will sie mich veräppeln? Wenn sie nicht bald dieses seichte Gesülze bleiben lässt, eise ich mich ehestens los für eine Laufeinheit über Stock und Stein im Wald und auf der Weide – Yes, Ma’am!

      „Klaudia holt uns ab“, wechselt sie das Thema. „Wir sind da.“

      Ich fange an, in meinem Rucksack zu kramen – wo ist meine Funktionsjacke? –, während Lenas Stimme zuckrig in meine Ohren rieselt: „Ich wollte heute vor meinem Abflug Mammi anrufen, um von der Front etwas Relevantes zu erfahren. Leider sie hat nicht abgehoben. Bei Klaudia hatte ich Glück, aber sie war gerade schwer beschäftigt und ich habe das Telefonat abgebrochen, weil ich sie nicht von der Arbeit abhalten wollte. Ob sie’s wohl zum Bahnhof schafft? Sonst stehen wir auf dem Trottoir gottverlassen in finsterer Nacht.“

      „Das ist doch nicht tragisch. Wenn sie nicht da ist, gehen wir die paar Kilometerchen zu Fuß.“

      „Süperbe Idee, die Beine vertreten nach der steifen Sitzerei.“ Lena schnappt sich den Griff ihres Kabinentrolleys, als wär’s ein Rettungsring, richtet sich entenlahmig auf, und ächzt und stöhnt wie ein ausgewrung’ner Jammerlappen. Sie ist deutlich größer als ich und hat dabei nicht einmal Schuhe mit Absätzen an den Fersen. Sie war immer größer als Bernadette und ich. Wie können die Gene bloß so unfair verteilt sein.

      Es ist finster

      Der schummrige Schein einiger alter Straßenlaternen beleuchtet notdürftig den Platz vor dem Stationsgebäude, ein trutziges Häuschen aus der kaiserlich-königlichen Epoche, das sich eher abseits am nördlichen Dorfrand befindet und auf mich stets einen verlorenen Eindruck macht. Die einzelnen Reisenden, die mit uns dem Zug entstiegen sind, huschen zu den geparkten Autos und verschwinden gespenstisch schnell im Dunkel der Nacht. Lena und ich bleiben zurück wie vergessene Gepäckstücke. Von Klaudia keine Spur. „Na, dann“, seufzt Lena und marschiert los. „Alapje!“

      Ich will mit meinen Sprachkenntnissen nicht nachstehen: „Here we go!“, sage ich leichthin und starte meinen Düsemodus.

      Wir müssen das Dorf queren und haben anschließend weitere zwei Kilometer vor uns nach Süden zum Planckenhof, der außerhalb des Ortes auf einer milden Anhöhe liegt. Würden Lenas Trolleyräder nicht rattern, es wäre mausestill in Kreuzegg, dem einstigen Bauerndorf, dessen Höfe im Zuge der touristischen Industrialisierung beinahe restlos zu Hotels und Ferienhäusern aus- und umgebaut worden sind. Im Herbst sind nicht viel Fremde im Lande und die Ureinwohner sitzen zur Stunde hinter den wenigen, flackrig erhellten Fenstern vor den Fernsehern. Wir sind alleine unterwegs wie in einer nächtlichen Filmkulisse nach dem Schluss der Dreharbeiten.

      Lena schnaubt wie ein Ross und schwärmt von der fabelhaften Luft: „Mmh, würzig, aah, harzig.“ Wir riechen die abendkühlen Grasböden und die Nadelbäume und spüren den nahenden Herbst oder gar Winter, der womöglich bereits hinter dem nächsten Berggipfel lauert