Bernhard Wilhelm Rahe

1979 Transit ins Ungewisse


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      Haake kratzte nervös an seinem Bart herum, welcher der stumpfen Klinge scheinbar nicht gewachsen war.

      „Hast Du 'ne vernünftige Klinge für mich, Martin?“

      „Eine Klinge, warte mal', Grabert kramte in seiner Kulturtasche herum. „Ja, hier, ich hab noch ein paar.“

      Er reichte Haake eine hin.

      „Aber schneid Dich nicht, Du scheinst ziemlich in Fahrt sein heute.“

      „In Fahrt? Nein, ich bin morgens nicht so gut drauf, wenn ich gewaltsam geweckt werde, und dann noch von so einem Menschen in Uniform. Wenn mich ein hübsches Mädchen geweckt hätte, wärst Du bestimmt allein hier im Waschraum. Ich würde dann noch wie ein zufriedener Kater im Bett liegen und schnurren. Aber nicht allein, versteht sich.“

      „So, so“, lachte Grabert herausfordernd, „verschieße Dein Pulver mal nicht schon vor dem Frühstück.“

      Wenn man Grabert und Haake beobachtete, vermutete man nicht, dass sie sich erst seit ein paar Tagen kannten. Diese Tatsache konnte für beide nur von Vorteil sein, denn in den nächsten Tagen sollte für sie eine anstrengende Zeit beginnen.

      Das Frühstück war sehr reichlich. Es gab Schinken, Wurst, Konfitüre, Eier, mehrere Brotsorten und, was nicht fehlen durfte, reichlich heißer Kaffee und natürlich auch Tee aus glänzenden Metallkannen.

      Es war kurz vor acht Uhr. Kellermann oder wer auch immer heute morgen, würde das pünktliche Erscheinen der beiden jungen Männer als eine Selbstverständlichkeit voraussetzen.

      Wenige Minuten, nachdem Grabert und Haake das Büro im Stabsgebäude betreten hatten, verließen sie es auch schon wieder. Gemeinsam mit Kellermann und Strohdt gingen sie zu einem am Fuhrpark gelegenen Gebäude.

      Kellermann zog ein Schlüsselbund aus seiner Jackentasche und öffnete ein großes stählernes Tor.

      „Das ist er“, sagte er und deutete auf den im Innern der Halle stehenden Lkw, der deutlich erkennbar an jeder Seite seiner hellbraunen Plane ein rotes Kreuz aufzeigte.

      „Er ist heute Morgen gebracht worden. Ein Mercedes LP 813. Baujahr 78. Frisch von der Inspektion und bis zum Rand voll mit Lebensmitteln beladen. Das heißt, einige Kartons mit warmen Decken und Kleidungsstücken sind auch dabei.“

      In der linken hinteren Ecke der Halle war ein Metallverschlag, an dem sich Strohdt zu schaffen machte. Er ging kurz hinein und erschien wenig später mit einem Karton in den Armen.

      „Würden Sie bitte anfassen“, er deutete auf den Karton, „zwei sind noch drin, die müssen auch noch mit.“

      Haake ging in den Verschlag und holte die anderen beiden Kartons, in denen je sechs Konservendosen verpackt waren.

      Kellermann wies Grabert höflich, aber bestimmt an, mit dem Abplanen des Lkws zu beginnen, um an die Kartons heranzukommen, die sozusagen mit den heiklen Konservendosen gespickt werden sollten. Das Abplanen war eine Arbeit, die ein versierter Fernfahrer beispielsweise schnell bewältigen konnte. Grabert und Haake zusammen hatten jedoch Schwierigkeiten. Die Kartons, an die sie heranwollten, befanden sich mitten unter den anderen. Dies war eben der springende Punkt. Wer würde schon auf die Idee kommen, den Wagen total abplanen zu lassen, um irgendeinem dummen oder guten Gefühl Genüge zu leisten? Den Grund für eine solche Idee würde keiner der Planer des Transfers den Grenzposten liefern wollen.

      Als die Plane fein säuberlich in der Mitte der Unterkonstruktion lag, tippte Kellermann mit dem Zeigefinger einen Karton an. „Diese Reihe ist es.“

      Es war die erste Reihe hinter dem Fahrerhaus. Die Kartons waren nicht besonders groß. In ihnen befand sich Gemüse, eingekochtes Obst, Ananas, Pfirsiche und natürlich auch Wurst. Grabert und Haake nahmen die Reihe komplett heraus. In achtzehn Kartons kam je eine besondere Konservendose. Selbst ein geschultes Auge konnte keinen Unterschied feststellen.

      Nachdem die bewusst offengelassenen Verpackungen mit den vorgesehenen Klebestreifen der Herstellerfirma verschlossen waren, wurde die fehlende Reihe ergänzt und mit nicht präparierten Kartons abgedeckt.

      „So, meine Herren, das war's gewesen“, sagte Strohdt und schlug die Hände gegeneinander, um den Staub zu entfernen. „Jetzt sind Sie dran, wir legen nun sozusagen die Verantwortung für das weitere Gelingen unseres Unternehmens in Ihre Hände. Übrigens, darf ich Ihnen jetzt erfreulicherweise die Höhe des Betrages nennen, die jeder von Ihnen nach erfolgreichem Abschluss der Sache entgegennehmen wirf. Es sind genau fünfundachtzigtausend Deutsche Mark für jeden Einzelnen von Ihnen. Ich setze voraus, dass Sie die ganze Angelegenheit mit äußerster Diskretion behandeln werden. Nun lassen Sie uns kurz zu den Papieren kommen.“

      Strohdt öffnete eine kleine Ledermappe und entnahm dieser einige Papiere.

      „Hier, das sind die Visa“, er zeigte dabei auf zwei Scheine, die mit einigen amtlichen Stempeln der DDR versehen waren.

      „Dies hier sind die Lieferscheine für den Empfänger, und das hier ist für die polnischen Zollbeamten. An der DDR-Grenze müssen Sie diese Papiere“, es handelt sich um einige weiße, ausgefüllte und abgestempelte Vordrucke, „vorlegen.“ Und dann sind hier noch 400 Ostmark und weitere 400 DM in Zloty. Es kann immer sein, dass Sie Geld unterwegs brauchen werden. An der DDR- und auch an der polnischen Grenze müssen Sie die eingeführten Devisen angeben, dazu sind diese Vordrucke gedacht. Es ist soweit alles ausgefüllt, nur das Datum wird an dieser Stelle noch eingetragen.“

      Kellermann setzte die Erklärungen fort:

      „Ich muss noch kurz zum Zeitplan kommen. Sie fahren also morgen früh um sieben Uhr los.“

      Er breitete eine Karte auf einem staubigen, grünen Metalltisch aus.

      „Der Weg ist Ihnen ja bekannt, es geht Über Hannover-Helmstedt, dann weiter nach Cottbus. Sie bleiben immer auf der Autobahn. Über die E 22 fahren Sie dann weiter über Görlitz, Breslau, Beuten, Kattowitz und Krakau nach Tarnow. Dort fahren Sie dann auf der Landstraße, die nicht mehr so gut ausgebaut ist, nach Krosno, dem Bestimmungsort der Ladung. Sie haben für die ganze Strecke, es sind wohl ca. 1600 km, maximal 36 Stunden Zeit, also genug, um auch bei längeren Grenzaufenthalten noch zur geplanten Zeit am Ziel einzutreffen. Krosno liegt übrigens in der Nähe der sowjetischen Grenze. Und hier sind die Ihnen sicher bekannten Benzinscheine.“

      Er gab die kleinen Abschnitte Grabert, der sie dann zu den Papieren in die Mappe legte. Es waren 20 Benzinerwerbsscheine für je 24 Liter. Grabert schätzte, dass sie für mehr als 2000 km reichen würden.

      „Sehen Sie zu, dass der Tank grundsätzlich dreiviertelvoll ist. Sie müssen immer über genügend Reserven verfügen, denn es kommt vor, dass Tankstellen zeitweise keinen Tropfen Benzin in ihren Vorratstanks haben. Was mich anbetrifft, so kann ich Ihnen nur noch viel Glück wünschen und hoffen, dass alles ohne Komplikationen geschieht. Haben Sie noch Fragen, meine Herren?“

      „Also, mir ist alles klar“, antwortete Haake und wandte sich zu Grabert um, der in seinen Gedanken versunken auf den beladenen Lkw starrte.

      „Gibt es noch Unklarheiten, Herr Grabert?“

      „Ja, was passiert, wenn wir, ich will es nicht hoffen, in einen Unfall verwickelt und dadurch aufgehalten werden. Ich meine, wenn wir den Zeitplan aus irgendwelchen nicht einhalten können, was tun wir dann?“

      „Dann gibt es nur eine Möglichkeit. Sie müssen, wenn Ihnen dies klar ist, eine Nachricht nach Krosno übermitteln. Und zwar benachrichtigen Sie telefonisch den Dorfpater. Dieser wird dann, wenngleich auch unbewußt, dafür sorgen, dass unser Mann davon erfährt. Die Telefonnummer ist bereits in der Mappe.“

      „Okay, dann habe ich keine Fragen mehr“, sagte Grabert und bestieg das Führerhaus des Fahrzeugs, um sich ein wenig umzuschauen. Er war ebenso wie Haake gut vertraut mit den Armaturen und Fahreigenschaften eines solchen Lkws. Bei der Bundeswehr hatte er jeden Tag mit großen und noch schwereren Fahrzeugen zu tun gehabt.

      „Also, dann noch mal Hals- und Beinbruch, und schlafen Sie sich gut aus, damit Sie morgen früh fit sind.“