Faust auf den Tisch und sagte: „Ich tu's, frag' mich nicht warum.“
Es klang unterschwellig zwar erwägend – aber nichtsdestoweniger fest entschlossen.
Haake erschrak, auch er war mit dem Gedanken beschäftigt, sich zu verkaufen, damit er sich die Erfüllung seines Traumes kaufen konnte.
„Wie…, was meinst Du, ist das wahr? Du hast Dich etwa entschieden?“
„Ja, ich nehme das Angebot an, weil ich es nicht abschlagen kann. Ich muss es tun, frag nicht weiter nach.“
Das „frag nicht, warum“ war mehr an Lisa gerichtet. Grabert würde kein Wort davon erzählen, und keiner sollte hinter die Wahrheit kommen.
„In zwei Wochen ist alles Vergangenheit“, dachte er, „schließlich bin ich kein Verräter oder so was. Vielleicht habe ich in wenigen Wochen soviel Geld zusammen, um mir endlich das ersehnte Grundstück auf dem Lande zu kaufen und mich dort mit Lisa niederzulassen.“
Grabert fantasierte noch eine Weile von seinem Traum, den ihm niemand nehmen sollte, bis Haake ihn nachdenklich anstieß: „Du, Martin?“
„Ja, was ist los?“
„Ich schließe mich Dir an. Was soll ich mir noch lange den Kopf zerbrechen, ich steige auch ein in den Job.“
„Dann sind wir also Partner, Martin. Komm, darauf müssen wir noch einen trinken. Ich bin froh, dass Du Dich so entschieden hast. Wir werden den Wagen schon sicher ins Ziel schaukeln; und wenn wir direkt zum Kreml müssen, zusammen schaffen wir's.“
Die beiden Männer tranken noch ein weiteres Bier, stießen auf ihre kommende Zusammenarbeit an und gingen zur Unterkunft.
Am nächsten Morgen erschienen Grabert und Haake, wie verabredet, in Kellermanns Dienstzimmer. Er blickte beinahe erfreut – so empfand es Grabert – vom Schreibtisch auf.
„Treten Sie näher, ah, erstmal guten Morgen, meine Herren, wie haben Sie geschlafen in den bescheidenen Betten der Bundeswehr?“
„Nicht anders als damals, als Wehrpflichtiger“, meinte Grabert. „Damals schlief ich immer recht gut. Nur die Umstände haben sich geändert.“
Kellermann lächelte freundlich, aber mit Zurückhaltung. Schon bei einem geringen Lächeln bekam er viele kleine Lachfältchen in den Mund- und Augenwinkeln. Er schien gerne zu spaßen und im Privatleben sicher ein humorvoller Mensch zu sein.
„Okay, ich will Sie nicht drängen, aber man sitzt mir mit gewissen Entscheidungen im Nacken. Also, wie haben Sie sich entschieden?“
„Ja“, sagte Haake, „ich erkläre mich einverstanden.“ „Das gleiche gilt auch für mich“, kündigte Grabert an, bevor er gefragt wurde. „Wir haben unsere Entscheidung bereits miteinander besprochen. Nun sind wir neugierig, worum es im Genauen geht und was wir im Detail zu tun haben.“
„Nun“, Kellermanns Miene wurde sehr ernst, „wie schon kurz angedeutet, überbringen Sie Lebensmittel an eine kleine Gemeinde namens Krosno in Polen. Sie brauchen sich dabei um nichts zu kümmern. Ihre Papiere, Ihr Fahrzeug, alle möglichen Bescheinigungen, Pässe und Visa werden vollkommen in Ordnung sein. Um nicht aufzufallen oder die Aufmerksamkeit auf Ihr Fahrzeug zu lenken, müssen Sie sich absolut nach den Verkehrsregeln richten. Die kleinste Übertretung kann für Sie und unsere gemeinsame Operation Komplikationen bringen. Sie haben während der Fahrt durch die DDR und Polen, wobei Sie in der DDR immer auf der Transitstrecke bleiben müssen, keine Möglichkeit, mit uns Kontakt aufzunehmen. Aber – bitte, unterbrechen Sie mich, wenn Sie irgendwelche Fragen haben. Noch sind Anfragen möglich. In dieser Woche schon geht das ganze Unternehmen in die Startphase.
Grabert fragte: „Mit welchem Lkw werden wir fahren, welches Fabrikat?“
„Mit einem Mercedes, so wie Sie ihn vom Roten Kreuz her kennen. Laut Papieren werden Lebensmittel mit einem Gewicht von 3,5 Tonnen befördert, es sind überwiegend Konserven. Das Wichtigste, und damit kommen wir zum Kern Ihres bzw. unseres Unternehmens, wird ein Gerät sein. Dieses Gerät ist demontiert, in einigen Konserven verteilt, an Bord des Lkws. Eben jenen Apparat bzw. die entsprechenden Dosen mit den Fragmenten – ich werde Ihnen noch Näheres darüber mit einem Spezialisten zusammen erzählen – werden Sie an eine Kontaktperson weitergeben. Unsere Kontaktperson wird sich Ihnen an einem verabredeten Ort zu erkennen geben und die Dosen in Empfang nehmen. Sie brauchen keine großen Kontrollen an den Grenzen zu befürchten. Das Rote Kreuz mit seiner Symbolhaftigkeit und die tadellosen Papiere werden schon dafür sorgen. Schließlich transportiert das Fahrzeug Produkte, die wichtig für die Menschen einer Kleinstadt sind.
Wir arbeiten eng zusammen mit einer Hilfsorganisation in Polen.“
Das Telefon auf Kellermanns Schreibtisch klingelte.
„Ja, was ist?“, fragte Kellermann kurz, nachdem er abgehoben hatte. „Ah ja, es ist gut, danke, Ende.“
Kurz danach öffnete sich die schwere schalldichte Tür. Ein schmächtiger Mann gegen Ende fünfzig in Zivil betrat den Raum. Er ging zielstrebig mit ausgestreckter Hand auf Kellermann zu, sie begrüßten sich freundlich: Dann wandte sich der Mann zu Grabert und Haake.
„Guten Tag, meine Herren, ich bin Oberleutnant Strohdt, Fachmann für fotografische und mikroskopische Ausstattungen, um es einfach auszudrücken. Ich werde Ihnen nun das Gerät erklären, dass sich zerlegt in den Konservendosen befindet. Es handelt sich um ein sehr empfindliches Gerät, mit dem man so genannte Thermografien anfertigen kann. Genauer gesagt, mit diesem Apparat kann man kleinste Temperaturdifferenzen fotografisch festhalten. Keine Neuigkeit in der Technik, jedoch dort, wo Sie es hinbringen sollen, von größter Bedeutung. Nun, es war nicht ohne, die Teile gewichtsmäßig so in die Dosen zu bekommen, dass es nicht auffällt. Sie verstehen, sollte wider Erwarten eine Kontrolle vorgenommen werden, dann muss alles völlig normal aussehen und die Gewichte müssen unauffällig sein. Die ganze Geschichte widerstrebt den verantwortlichen Leuten sehr, denn es ist nicht üblich, über die Bundeswehr und dann noch im Namen des Roten Kreuzes eine solche Sache durchführen zu lassen. Hinzu kommt auch noch, dass Sie, meine Herren, im Rahmen einer Reserveübung mit der Durchführung beauftragt werden. Auch uns, nicht nur Ihnen, kommt die Geschichte wie eine naive Agentenstory vor, aber es ist eilig, und vielleicht macht die Einfachheit den Erfolg aus. Wenn Sie Fragen haben, meine Herren, dann unterbrechen Sie mich ruhig, denn ich meine, alle spontanen Fragen sollten sofort beantwortet werden.“
„Wie erkennen wir die Dosen? Sind sie irgendwie gekennzeichnet?“, fragte Haake.
„Ja, die Dosen sind gekennzeichnet, jedoch nur, wenn man es weiß.“
Kellermann stellte eine Konservendose auf den Tisch. „Bitte, schauen Sie sich diese Dose genau an. Fällt Ihnen irgendetwas Verdächtiges daran auf?“
Grabert nahm die Konservendose in die Hand, drehte und wendete sie, untersuchte sie aufmerksam von allen Seiten.
„Mir fällt nichts Ungewöhnliches daran auf.“
Auch Haake konnte nichts entdecken, nicht einmal im Vergleich zu einer „normalen“ Dose.
„Also, machen wir's kurz“, sagte Kellermann. „Es ist die Lötstelle, eine kleine Unebenheit, ein nicht richtig verlaufener Tropfen Lötzinn.“
Strohdt setzte seine Erläuterungen fort:
„Nun zu der Verteilung der Dosen. Morgen früh wird das bereits beladene Fahrzeug gebracht, damit wir gemeinsam die von uns verpackten Kartons nach einem bestimmten Plan verstauen können. Pro Karton werden zwei entsprechende Dosen gerechnet. Es sind also neun Kartons. Diese werden so verladen, dass sie genau an der Ladeseite hinter dem Fahrerhaus stehen. Es ist alles so gut kalkuliert worden, dass die neun Kartons von gewöhnlichen abgedeckt werden. Aber Sie werden es morgen früh sehen, es ist simpel, aber dennoch so, dass, selbst wenn durch irgendwelche Verwicklungen eine Kontrolle vorgenommen wird, nichts schiefgehen kann. Die Grenzbeamten werden sich nicht die Mühe machen, den Wagen und die komplette Ladung so gründlich zu kontrollieren. Sie werden übrigens in Zivilbekleidung fahren, Ihre Seesäcke und alles, was mit der Bundeswehr im Zusammenhang steht, bleibt hier in der