Rauchschwaden, während er den Rauch genussvoll im Mund kreisen ließ.
„Sie brauchen nicht viel zu tun, nur einen Lkw mit Lebensmitteln nach Polen zu transportieren, mehr nicht. Alles andere, die Organisation des Unternehmens, übernehmen wir. Und nun der Grund, dass Sie für uns am besten infrage kommen: Sie sind beide aktiv im Roten Kreuz tätig, und eben das bedeutet, dass es nur zu normal ist, wenn Sie einen Rot-Kreuz-Wagen mit Lebensmitteln über die DDR nach Polen befördern. Ein weiterer Grund, die Sache von Ihnen erledigen zu lassen, ist der, dass Sie schon, wie wir wissen, oftmals mit Ihren Privatfahrzeugen in Polen waren und technisch versiert sind, um unterwegs kleine Pannen schnell und ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Das wäre vorerst alles, was ich Ihnen sagen möchte. Nun sind Sie dran. Selbstverständlich können wir Sie zu nichts zwingen. Wir wollen vielmehr Ihr Vertrauen für das ganze Unternehmen gewinnen. Das Gleiche soll auch Ihnen entgegengebracht werden.“
Erich Haake fuhr sich nervös durch sein schon lichter werdendes Haar. Die Überraschung stand ihm im Gesicht geschrieben.
„Ich muss gestehen, damit hatte ich nie gerechnet. Heißt das, dass wir uns in den Bereich von spionageähnlichen Aktionen begeben sollen? Wer garantiert uns, dass wir wieder nach Hause kommen, wenn irgendetwas schiefgeht?“
Kellermann legte seine Zigarre vorsichtig in den Ascher.
„Wir können Ihnen nahezu garantieren, dass nichts schiefgehen wird, solange sich alles im Rahmen unserer Vorsichtsmaßnahmen und Planungen bewegt. Außerdem wird das Risiko, wenn es überhaupt eines gibt, wenn ich so sagen darf, mit Gold aufgewogen. Unsere Strategie ist die: Sie wissen natürlich von nichts. Sie fahren nur im Dienste des Roten Kreuzes, sozusagen unter dem schützenden Stern dieser Hilfsaktion. Es kann und wird nichts danebengehen, wenn Sie nicht versuchen, alles zu ergründen und uns Ihr Vertrauen entgegenbringen. Näheres über unsere Aktion und Ihren Part erfahren Sie erst, wenn Sie sich entschieden haben zu fahren.“
Grabert hatte bis jetzt aufmerksam zugehört. Jetzt drängten sich ihm einige Fragen auf.
„Hat die Tatsache, dass ich keine Familienangehörige mehr habe, auch mit meiner Auswahl zu tun?“
„Ich sagte Ihnen ja, wir wollen mit gegenseitigem Vertrauen arbeiten. Ja, Sie haben recht, Herr Grabert, es ist unter anderem auch ein bedeutsamer Faktor, der jedoch nicht überbewertet werden sollte. Was ich Ihnen allerdings sagen darf: Nach Ihrer Rückkehr nach Westdeutschland werden Sie einen Scheck entgegennehmen, über dessen Inhalt Sie unversteuert verfügen können. Aber bitte versuchen Sie, sich nicht dadurch beeinflussen zu lassen. Sie sollen ohne irgendwelche Druckmittel zu einer klaren, Ihren Fähigkeiten entsprechenden und Ihrem Mut der Ungewissheit gegenüber, Entscheidung kommen. Bitte überlegen Sie es sich, und versuchen Sie, eine Nacht darüber zu schlafen. Morgen können Sie mir dann Ihre Entscheidung mitteilen; sollte sie positiv sein, wird unser Sicherheitsoffizier Ihnen alles Weitere erklären. Ich bin für Sie die Person, an die Sie sich vertrauensvoll wenden können, wenn es irgendwelche Fragen, Unklarheiten oder Probleme gibt. Warum Sie bis morgen darüber nachdenken sollen, ist, um sich alles noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Es soll keine Pannen geben. Also, dann möchte ich mich für heute von Ihnen verabschieden, meine Herren. Wir sehen uns morgen früh gegen neun Uhr in diesem Zimmer. Übrigens, Sie dürfen die Kaserne bis morgen nicht verlassen.“
Kellermann verließ den Raum mit der Entschuldigung, noch einen Termin zu haben.
Er war fort, mit ihm gingen aber nicht die vielen Fragen, die man zurzeit noch nicht artikulieren oder stellen durfte.
Grabert und Haake gingen den gebohnerten Flur entlang, der am Ende nur wenig Licht durch ein Fenster hereinließ. Dieser lange Korridor wirkte wie ein Tunnel, beklemmend und eng. Die Luft war erfüllt vom Bohnerwachsgeruch. Aus irgendeiner Tür drang das Rauschen mehrerer Wasserhähne. Vermutlich der Waschraum.
„Hast Du schon eine Antwort?“, fragte Haake.
„Nein, noch nicht. Es ist alles zu unwirklich, zu fremd. Ich kann mich an den Gedanken nicht gewöhnen, dass gerade ich einer von denen sein soll, der für irgendjemand die Kohlen aus dem Feuer holen soll.“
„Wie, meinst Du, dass wir irgendetwas für andere ausbügeln sollen?“
„Ja, so ähnlich stelle ich mir die ganze Sache vor. Aber andererseits plagt mich eine gewisse Neugier. Sag mal, Erich, brauchst Du Geld?“
„Nein, ich habe meine Arbeit als Automechaniker und bin schon seit acht Jahren dabei. Ich habe meine eigene Wohnung und mein Auskommen. Mir fehlt es an nichts.“
„Siehst Du“, sagte Grabert. „Mir geht es ebenso. Wenn wir das Geld, von dem wir nicht wissen, wie viel es ist, nicht nötig brauchen, appelliert man an unsere Neugier oder eine Art Abenteuerlust, einen Hang zum Risiko.“
„Übrigens, Angehörige habe ich ebenso wenig wie Du, Martin. Wenn ich es tue und nicht zurückkomme, wird keiner fragen, wo ich geblieben bin. Höchstens mein Arbeitgeber. Im Moment weiß ich noch nicht, was ich tun soll. Ich schlage vor, wir gehen in die Kantine und trinken ein Bierchen. Vielleicht fällt uns die Entscheidung dann etwas leichter.“
Grabert stimmte zu. Gemeinsam gingen sie über den großen Kasernenhof. Vorbei an den vielen Fahrzeugen, die dort standen, große Lastkraftwagen, Unimogs, VW-Kübel, zahlreiche zwei- und einachsige Anhänger, auf denen man in Übungen Raketen und Maschinengewehre montierte.
Es war 17.00 Uhr, nach Dienstschluss. Ein Wachsoldat drehte gelangweilt seine Runde.
In der Kantine floss das Bier. Auf den Tischen war gerade genug Platz, um eine Zigarettenschachtel hinzulegen. Sonst fand man nur leere und volle Biergläser vor. Die Soldaten, die aus irgendwelchen Gründen die Kaserne an diesem Abend nicht verlassen konnten oder wollten, machten ihre Stemmübungen, wie sie das Biertrinken nannten, in der Soldatenkantine. Dort war das Bier auch nicht allzu teuer.
Einigen Rekruten und Soldaten sah man ihre Frustrationen deutlich an. Stumm starrten sie in das Bierglas vor sich, sie dachten vielleicht an zu Hause, träumten von ihren Mädchen. Manche hockten auf Barhockern an der Theke unter dem Tarnnetz. Sie kamen aus Hessen, Bayern, aus dem Ruhrgebiet und aus den letzten Winkeln der Bundesrepublik. Einige verfluchten ihren Dienst, der noch bis zum Wochenende andauern sollte. Dann gab es auch solche Kameraden, die mit allen Konsequenzen nur ans Saufen und Bumsen dachten, egal, wo dies stattfand. Eine Art Heimatgefühl hatten diese Typen nicht mehr.
Einige nahmen den Dienst, die Ausbildung, sehr ernst. Sie sahen ihre große Chance, im Gegensatz zu denen, die den ganzen Mechanismus der Bundeswehr als notwendiges Übel betrachteten.
Haake bestellte zwei Bier und nickte Grabert zu, der sich gerade an einen frei werdenden Tisch setzte. Die Männer, die eben noch den Tisch besiedelt hatten, erhoben sich mühselig und wankend von ihren Plätzen, sie waren offensichtlich bedient, würden garantiert bis zum nächsten Morgen durchschlafen; und wenn es in der Wäschekiste war.
Haake stellte die Gläser auf den Tisch.
„Na dann einen guten Durst – bei dieser Hitze.“
Das kühle Bier rann durch die Kehlen der beiden Männer, die eben damit konfrontiert worden waren, dass sie ein ähnliches Schicksal teilen könnten. Grabert trank nie viel, aber gerne mal ein kühles Bier vom Fass. In den letzten Minuten hatte er einen großen Widerspruch in sich entdeckt. Dieses ganze Soldatenleben hatte ihm nie gefallen. Am Tage Dienst schieben und in der Nacht, wenn man keine Freunde hatte, keine Familie auf einen wartete, das Bierchen. Dann ein weiteres und noch eines und so fort.
Erich Haake prostete Grabert zu. Er schaute zu den anderen Soldaten rüber und hob sein Glas erneut.
„Ihr armen Schweine, Tagebären, Krieger, Killer und Rotärsche“, sagte er leise. „Ich habe einen mächtigen Durst.“
Für Grabert schienen die Fragen Gestalt anzunehmen, von Sekunde zu Sekunde. Sie verlangten eine Antwort, eine plausible Erklärung dafür, dass er sich bereits dem „Ja“ seines Unterbewusstseins gefügt hatte. War es das Geld, wie viel Geld eigentlich? War es der kleine Keim der Abenteuerlust, der sich in ihm ausbreitete, der immer mehr Nahrung bekam? Mit dem Geld würde er der Freiheit ein