Claudia Martini

Morgen wirst Du frei sein


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hockte ich vor ihr, das Messer in der rechten, den Stoff ihres Nachthemds in der linken Hand. Tränen und Rotz liefen mir übers Gesicht.

      Es ging nicht. Ich konnte das nicht. Sie würde mich umbringen. Dass sie tot war, änderte kein bisschen an meiner Angst vor ihr.

      Ich ließ Nachthemd und Messer fallen, erhob mich und rannte aus der Küche.

      Ich war ein Feigling, ein Versager, eine Niete.

      Meine Mutter hatte es gesagt. Immer wieder. Und Recht behalten.

      Irgendwann war ich am Esstisch im Wohnzimmer sitzend eingeschlafen. Als ich erwachte, schmerzte mein Nacken, die Hände, auf die ich den Kopf gelegt hatte, kribbelten. Ich schüttelte sie, stand auf und zog die Jalousien hoch.

      Es dämmerte.

      Ich blickte aus dem Fenster, schaute über die im Dunst des Morgens liegenden Felder. Ich war jetzt ruhiger, gefasster. Suchte nach einer Lösung. Grübelte, wog ab, verwarf. Kurz überlegte ich erneut, ob ich mich der Polizei stellen sollte, schob den Gedanken allerdings sofort von mir.

      Plötzlich war alles klar. Ich schüttelte den Kopf über meine peinliche Dummheit. Ich spürte, wie ich rot wurde. Fast musste ich lachen. Als ob ich in der Lage wäre, meine Mutter mit einem Messer zu zerlegen! Schon körperlich, das war mir jetzt bewusst, wäre dieser Kraftakt kaum zu schaffen. Mit dieser kurzen Klinge hätte ich nicht mehr als die zentimeterdicke Fettschicht durchdrungen. Meine Güte, was war ich nur für ein Idiot!

      Ich würde ein anderes Fahrzeug besorgen. Einen Kombi oder einen Lieferwagen. Freunde, die ich um ihr Auto hätte bitten können, besaß ich nicht. Also blieb nur eine Autovermietung.

      Ich griff nach den Gelben Seiten.

      Nachmittags war ich zurück. Ich war in die Stadt gefahren, hatte einen Mercedes Sprinter gemietet und im Baumarkt verschiedene Abdeckplanen gekauft, wie sie auf Baustellen Verwendung finden.

      Ich parkte den Lieferwagen vor der Haustüre. Dann ging ich in den Garten, um eine der Holzlatten zu holen, mit denen wir im Frühsommer das Netz über den Kirschbaum spannten. In einem Eimer entdeckte ich ein Paar Arbeitshandschuhe, die ich mitnahm. Ich warf die Latte in den Laderaum und wählte eine der Plastikplanen aus.

      Ich schloss die Haustüre auf, blieb auf der Schwelle stehen, lauschte. Kein Ton war zu hören.

      Im Flur zog ich die Handschuhe an, breitete die Plane aus und schleppte sie in die Küche. Es war mühsam, das störrische Plastik neben die mitten im Raum liegende Person zu ziehen. Als ich es endlich geschafft hatte, den Boden damit zu bedecken, versuchte ich, die Leiche auf die Folie zu wälzen und darin einzuwickeln.

      Es war kaum Platz in der Küche. Ich rückte den Tisch zur Wand, stellte die Stühle darauf, doch das verschaffte mir nur wenig Freiraum. Zudem stellte es sich als sehr schwierig heraus, einen Körper zu bewegen, der keinerlei Körperspannung mehr enthält.

      Ich zerrte und stemmte, drückte und schob.

      Als ich die Leiche endlich verpackt hatte, stand ich auf, betrachtete mein Werk. Zufrieden war ich nicht. Die Plane würde sich lösen, wenn ich sie packen und durch den Flur ziehen würde..

      Ich überlegte kurz und öffnete dann die Schublade, in der Kleinzeug vom Bindfaden über Kugelschreiber bis hin zur Paketkarte einen Platz hatte. Da lag sie, die Rolle mit braunem Klebeband, wie man es für Pakete verwendete.

      Es war bereits dunkel, als ich die Plane so gefaltet und verklebt hatte, dass die Leiche nicht mehr herausrutschen konnte.

      Ich war fix und fertig, doch eine Pause einzulegen war unmöglich. Der Transporter stand mir lediglich für 24 Stunden zur Verfügung, darauf hatte mich der Vermieter extra hingewiesen.

      Ich begann, an der Plane zu zerren. Sie bewegte sich nicht. Ich zog stärker, mit aller Kraft, stemmte mich gegen den Türrahmen. Mehr als ein paar Zentimeter schaffte ich nicht. Ich fand keinen Griffpunkt, rutschte immer wieder ab.

      Verzweifelt starrte ich zu Boden, stieß einen Fluch aus.

      Ein nicht zu fassender Gedanke, das Gefühl, etwas vergessen zu haben, arbeitete schon eine Weile hinter meinen bohrenden Kopfschmerzen. Dann brach er unvermittelt durch, und er war simpel: Im Schuppen neben dem Haus befanden sich Seile und Gurte.

      Kurz vor Mitternacht lag meine Fracht im Wagen. Ich drückte die Heckklappe zu.

      Ich zitterte vor Erschöpfung und Hunger, doch der Gedanke an Essen ließ sauere Übelkeit in meiner Brust aufsteigen. Hastig leerte ich eine Flasche Mineralwasser. Dann ging ich in mein Zimmer, holte mein Schweizer Taschenmesser sowie eine Taschenlampe und zog im Flur Regenjacke und Gummistiefel an.

      Sorgfältig verriegelte ich schließlich die Haustüre, setzte mich ans Steuer des Sprinters und fuhr Richtung Norden.

      Rund 20 Kilometer musste ich zurücklegen, dabei zwei Ortschaften durchqueren, um mein Ziel zu erreichen. Dort begann ein ausgedehntes Naturschutzgebiet. Als mein Großvater ein Kind gewesen war, stach man hier Torf, der getrocknet als Brennstoff diente.

      Seit Jahren schon gehörte das Moor Tieren und Vogelkundlern, die hofften, seltene Exemplare beim Brüten beobachten zu können. Sie verlegten Planken, um die sumpfige Landschaft zu erschließen, um imstande zu sein, tiefer einzudringen in diese fremde, gefährliche, reizvolle Welt. Zuletzt aber siegte immer das Sumpfland, verschlang unerbittlich alles, was ihm angeboten wurde.

      An diesem Ort würde meine Mutter ihr Grab finden.

      Ich kannte eine Stelle, an der man bei Trockenheit ein Fahrzeug sicher parken kann. Mein Vater hatte sie mir gezeigt. Dort hielt ich an, kurbelte das Fenster herunter und machte den Motor aus. Eine Weile blieb ich angespannt sitzen, spähte in die Finsternis, lauschte meinem Herzschlag und den Geräuschen der Nacht. Heute wirkten sie bedrohlich, lauter und intensiver als sonst.

      Ich atmete tief durch und verließ das Auto.

      Die Ornithologen verwendeten ein Boot mit flachem Boden, um ihre Instrumente, Zelte und Schlafsäcke durch die Kanäle zu ziehen. Es wurde nicht oft genutzt, meist lag es leck geschlagen halb versenkt im Schilf.

      Ich schaltete meine Taschenlampe ein und machte mich auf die Suche.

      Nach einigen Minuten hatte ich es gefunden. Erleichtert erkannte ich, dass der Kahn erst vor Kurzem mit Hanf und Teer geflickt worden war. Er wirkte einsatzbereit. Ich löste den Strick, mit dem er an einem Baum befestigt war, und zog ihn hinter mir her, bis der Kanal endete.

      Bis hierher würde ich die Leiche meiner Mutter bringen müssen.

      Zurück beim Auto öffnete ich die Schiebetüre, zog meine Handschuhe an, steckte das Messer in die Hosentasche, die Lampe schob ich in den Bund. Ich griff nach dem Seil, das ich um die Plane geschlungen und verknotet hatte. Zweimal kräftig daran gezogen, landete meine unförmige Fracht fast ohne ein Geräusch auf dem schwarzen Moorboden.

      Jetzt, wo ich meine Mutter als grünes Paket vor mir hatte, waren meine Skrupel verschwunden. Ich war vollkommen fokussiert auf meine Aufgabe.

      Ich hoffte, die als extra reißfest beschriebene Folie würde bis zum Boot halten. Weder Steine noch Wurzeln erschwerten mir die Arbeit zusätzlich; der Boden war mit feuchtem Moos, Farn und Gras bedeckt.

      Ich packte das Seil, schlang es zweimal um meine Handgelenke und stemmte die Stiefelabsätze in den leise schmatzenden Untergrund.

      An meinem Ziel angekommen, war ich schweißgebadet. Dennoch war es leichter und schneller gegangen, als ich angenommen hatte.

      Nun musste ich das Boot beladen. Ratlos stand ich davor. Es würde zweifellos kentern, wenn ich versuchte, mein Paket hineinzuzerren. Ich überlegte eine Weile, zog dann den Kahn längsseits, zerrte ihn in den Schlick und kippte ihn. Vorsichtig, Millimeter für Millimeter rollte ich die Plane mit dem Körper ins Innere. Das Holzboot richtete sich langsam auf.

      Es schwamm.

      Ich vertäute es sorgfältig und