Claudia Martini

Morgen wirst Du frei sein


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      Die Schrift, diese gewissenhaft gemalten Buchstaben, kannte ich. Den Stift, mit dem diese Worte geschrieben worden waren und der auf dem Papier lag, ebenfalls. Es war mein eigener. Ich steckte ihn in die Hosentasche.

      Die Haustüre war unversperrt. Natürlich war sie das, denn Mutter, die bisher dafür Sorge getragen hatte, dass das Haus abends einbruchsicher verrammelt wurde, lag im Moor. Vor der Tür war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Was hätte da auch sein sollen? Die Person, der mir Nachrichten zukommen ließ? Sie würde wohl kaum auf mich warten und mir Rede und Antwort stehen, schalt ich mich selbst.

      Aber was bedeuteten diese Sätze? Ich wagte nur zögernd, ihren Sinn zu verstehen.

      Es ging um Freiheit. Um meine Freiheit, wie es schien. Und damit um den Tod meiner Mutter, zwangsläufig.

      Hatte es einen Zeugen gegeben? Der mich mit seinem Wissen erpresste? Es sah so aus.

      Doch was war bei mir zu holen? Vermögen hatte ich nicht. Ich erhielt Bafög, ein paar hundert Euro im Monat, und eine bescheidene Waisenrente. Dazu das Geld, das ich in der Buchhandlung verdiente. Genug, um die Fahrkarten nach München zu kaufen, hin und wieder Klamotten, Essensmarken für die Mensa und morgens am Hauptbahnhof Kaffee. Und Bücher natürlich.

      Brauchte ich Fachliteratur, Zubehör für meinen Computer, Geld für Seminare oder den Eintritt zu Lesungen, musste ich an mein Sparbuch. Ein paar hundert Euro, mehr hatte ich nie zur Verfügung.

      Was konnte ich einem Erpresser also anbieten? Ein Auto, Baujahr 1992, ein altes Haus, abgewohnte Möbel. Die Flinten meines Vaters. Würde das reichen?

      Ich sollte es bald erfahren.

      4. Kapitel

      Um mich abzulenken, fuhr ich in die Stadt. Der Kühlschrank war leer, und ich hatte seit Tagen nichts anderes als Brot gegessen. In der Dose auf dem Küchenschrank hatte ich neben Briefmarken und Rabattgutscheinen Geld gefunden, das ich einsteckte.

      Eier, Wurst und Käse lagen bereits in meinem Einkaufswagen. Ich schob ihn an der Fleischtheke vorbei zum Kühlregal, wo ich bei verschiedenen Pizzas zugriff. Auch bei den Nudeln und Saucengläsern bediente ich mich.

      Kochen hatte ich nie richtig gelernt, obwohl ich als Jugendlicher intensives Interesse an der Zubereitung des von Vater Erlegten gezeigt hatte. Meine Mutter hatte sich jedoch jede Einmischung in ihrer Küche verbeten. Damit blieben mir Hilfstätigkeiten unter Aufsicht vorbehalten: Zwiebeln schneiden, Äpfel für Kuchen oder Kompott schälen, Kartoffeln raspeln, Geschirr spülen.

      An der Kasse sprach mich eine Frau an: »Hallo Christian. Wie geht´s denn deiner Mutter?«

      Ich zuckte zusammen.

      »Ich hab sie ja ewig nicht gesehen«, plauderte sie, ohne auf eine Antwort zu warten. Dabei räumte sie den Inhalt ihres Einkaufswagens auf das Band. »Und du bist ja sicher bald mit dem Studium fertig, oder?«

      »Äh ...«, stammelte ich. »Es ist schon noch ein Weilchen hin. Also, ein Jahr oder so.«

      Die Frau schaute mir direkt ins Gesicht. Sie hatte hellgrüne Augen mit dunklem Rand. Ihr Blick war offen und intelligent. »Ach was.«

      Ich war froh, mit dem Bezahlen an der Reihe zu sein und mich abwenden zu können. Diese Person machte mich nervös. Ich hielt der Kassiererin einen Fünfziger hin. Sie starrte mich fragend, fast wütend an.

      »Ob du eine Tüte möchtest«, assistierte die Stimme in meinem Rücken.

      »Ach so. Ja. Bitte. Äh ... Danke.«

      Kopfschüttelnd warf die Kassiererin einen Plastikbeutel auf meinen Einkauf, riss den Schein aus meiner Faust. Sie hieb auf eine für mich nicht sichtbare Tastatur ein. Die Hand erschien wieder, warf Geld auf das Fließband. »Fuffzehneinundzwanzig zurück. Wiedersehen.«

      Ich stopfte die Banknote und die Münzen achtlos in die Hosentasche, räumte Beutel, Packungen, Gläser in die Tüte und ergriff die Flucht.

      Als ich im Auto saß, beruhigten sich mein Puls und meine Atmung allmählich.

      Zufall. Ein ganz normales Gespräch an einem ganz normalen Tag in einem ganz normalen Laden.

      Ich glaubte mir nicht.

      Wo ich gewesen war, wusste ich nicht. Ich war gedankenversunken herumgefahren, bis die Tankanzeige zu leuchten begann. Dieses Gelb, das durch die zunehmende Dämmerung stach, schien mich aufzuwecken. Ich orientierte mich, schaltete das Licht an und bog ab, um auf einer schmalen Straße, nicht mehr als ein Feldweg, nach Hause zu fahren.

      Jemand saß auf den Stufen vor dem Eingang, neben sich eine Einkaufstasche. An der Wand lehnte ein Damenfahrrad.

      Langsam fuhr ich in den Hof, bremste, stellte den Motor ab, starrte durch die Windschutzscheibe.

      Die Frau aus dem Supermarkt. Sie lächelte mich an.

      Schweißtropfen rannen mir den Rücken hinab, als ich betont lässig ausstieg, meine Tüte von der Rückbank holte, die Wagentüren zuwarf und zum Haus ging.

      »Na, wo bist du denn so lang gewesen?«

      Ich blieb stehen. Meine Lockerheit fiel von mir ab. »Ei ... Einfach rumgefahren.«

      Ich spürte, wie ich rot wurde, wollte die Augen senken, wegschauen, konnte ihrem Blick aber nicht ausweichen. Sie saß noch immer, den Rücken an die Tür gelehnt, hatte den Kopf gehoben, lächelte mich aufmunternd an.

      »Na, dann wollen wir doch mal reingehen, oder?«

      Sie stand auf, griff nach der Klinke, drückte sie. Öffnete die Tür. Ich hatte erneut vergessen, abzusperren.

      Sie ging direkt in die Küche und begann, den Inhalt ihrer Tüte in den Kühlschrank zu räumen. Den Kopf hinter der Kühlschranktür, fuchtelte sie auffordernd in meine Richtung.

      »Was ist? Wo sind deine Sachen? Her damit!«

      Ich bewegte mich nicht. Sie schaute, seufzte, tat einen schnellen Schritt auf mich zu, packte die Henkel der Tasche in meiner Hand.

      Ich zuckte zusammen. Sie lachte.

      »Jetzt gib schon her. Und wasch dir die Hände. Ich mach uns was Schnelles zum Essen. du musst ja völlig ausgehungert sein.«

      Sie warf einen Blick in meine Tüte. »Meine Güte! Fraß. Alles nur Fraß. Naja, das werden wir ...« Ihr Gemurmel verlor sich im Geräusch des anspringenden Kühlschrankmotors.

      Ich sperrte mich im Bad ein, setzte mich auf die Toilettenschüssel und versuchte, meiner Verwirrung, mehr noch, meiner Betäubung Herr zu werden. Nebenan hörte ich die Unbekannte mit Töpfen und Pfannen hantieren, Schranktüren öffnen und wieder schließen.

      Wer war sie? Was wollte sie hier?

      Als ich das Badezimmer verließ, roch ich Rührei mit Speck. Das Wasser lief mir im Mund zusammen, wie auf Kommando knurrte mein Magen.

      Sie trug zwei reichlich gefüllte Teller an mir vorbei, rief mir über die Schulter zu, ich solle Besteck mitnehmen und Gläser. Ich holte das Gewünschte, nahm noch eine Flasche Mineralwasser mit und folgte ihr.

      Mein Teller stand an seinem gewohnten Platz, ihrer an dem meiner Mutter. Zögernd setzte ich mich.

      Sie nickte mir zu und begann zu essen. Ich tat es ihr nach und sah erst wieder auf, als Eier und Butterbrot in meinem Magen verschwunden waren.

      Sie betrachtete mich zufrieden. »Satt?«

      »Ja. Danke.« Ich sah verlegen auf die Gabel in meiner Hand. »War sehr gut.«

      Sie stapelte Teller, Gläser, Besteck aufeinander und verschwand. »Was kommt im Fernsehen?«, rief sie aus der Küche.

      Ich stand auf, um das Programmheft aus dem Fach unter dem Videorekorder zu holen. Dann stutzte ich. Was im Fernsehen kam? Wollte sich diese Frau hier etwa häuslich einrichten? Im Moment wusch sie die Pfanne, räumte