Andreas Engelbrech

Am Ende


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Lang zögerte. Brown spürte, dass er unter der Erinnerung immer noch stark litt. "Es gibt Tage, an denen wünschte ich, man hätte mich später gefunden. Oder die Ärzte wären nicht so gut gewesen.“

      Er machte eine Pause, in der es Brown für richtig hielt, nichts zu sagen.

      „Ich habe mich danach wieder sehr schnell erholt. Körperlich zumindest. Ein halbes Jahr danach konnte ich wieder laufen. Meine Organe funktionieren alle so wie sie es für mein Alter tun sollten. Seit jenem Frühlingstag habe ich die Insel nie mehr verlassen. Ich war ein paar Mal in der Inselhauptstadt Santa Cruz. Offizielle Anlässe, zu denen ich mich verpflichtet fühlte. Sehr viele Menschen haben sich um mich gekümmert. Hin und wieder gehe ich hinunter in das Dorf. Am Anfang war es mir oft zu viel, dass sie meine Hände lang gedrückt haben und ihr Beileid ausgesprochen haben. Mittlerweile gehen sie wieder normaler mit mir um.“

      „Warum wurden Sie überfallen?“ Brown fragte, obwohl er die nüchternen Zahlen in dem Vorläufigen Untersuchungsbericht des Raubmordes längst gelesen hatte.

      Lang machte es nichts aus: „Sie haben insgesamt fünf Hyazinth-Aras und vier befruchtete Eier dieser Art gestohlen.“

      Für Brown, der schon vieles gewohnt war, war es unvorstellbar, dass jemand so viele Menschen tötete, nur um sich in den Besitz einiger Vögel zu bringen. Noch dazu waren es nicht irgendwelche Menschen.

      Lang schien seine Gedanken zu erraten: „In Anlehnung an die blaue Mauritius, eine sehr seltene und wertvolle Briefmarke, wurden die kobaltblauen Hyazinth-Aras in den vergangenen Jahren nur noch `Die Blauen´ genannt. Die Hyazinth-Aras sind die größte Papageienart unseres Planeten. Seit ungefähr fünf Jahren wurden diese wunderschönen Vögel nicht mehr in ihrem natürlichen Lebensraum, dem Regenwald Amazoniens, beobachtet. Der Marktpreis eines lebenden Vogels lag vor zwei Jahren bei 10 Millionen Dollar das Stück. Ein befruchtetes Ei wurde für 2 - 3 Millionen Dollar gehandelt.“

      „Wer kann sich so etwas leisten?“, fragte Brown, der damit sowohl den Kaufpreis meinte, als auch die Tatsache, dass man die Vögel verstecken musste, weil sie so bekannt waren wie ein berühmtes Gemälde!

      Erik Lang ließ sich Zeit mit der Antwort. Es war nicht das Zögern eines Menschen, der es nicht wusste und nun versuchte, eine Erklärung zu finden. Das Verstreichen der Zeit glich mehr dem Magma eines Vulkanes, das immer höher im Schlot aus der Tiefe der Erde emporstieg. „Sehr reiche Leute, die sich mit ihrem Geld alles kaufen können. Alles. Und die nicht davor zurückschrecken ihr Geld für ihre Ziele und Wünsche einzusetzen.“

      Brown stand auf, um sich zu verabschieden. Er wollte den Mann nicht weiter befragen, sondern erst einmal seine Eindrücke verarbeiten. Er war hier in einer anderen Welt. „Eine letzte Frage noch, bevor ich gehe,“ sagte er. „Spekulieren Sie noch an der Börse?“

      „Nein. Ich habe genug Geld und es reicht für alles, was ich brauche. Ich brauche wirklich nicht mehr. Von keinem Geld der Welt kann ich meine Frau, meine Tochter, meinen Freund Franco und die Bodyguards, die uns beschützen wollten, wieder lebendig machen.“

      Der ESS-Agent glaubte ihm die Antwort. Daran hatte er keinen Zweifel.

      Am nächsten Nachmittag wurde Anthony Brown wieder von seiner hübschen spanischen Kollegin abgeholt und zum Flughafen gebracht. Rizzardi hatte ihn angewiesen, nach Wien zurückzukommen. Brown hatte noch viele Fragen, die er Erik Lang stellen wollte. Er fand den Mann faszinierend. Trotz seines schlimmen Schicksals hatte er eine besondere Ausstrahlung. Der ESS-Agent war sich sicher, dass Lang vielleicht doch den einen oder anderen Hinweis geben konnte, warum aus den Menschen, mit denen er zu tun hatte, Terroristen wurden.

      Brown wusste nicht, dass Rizzardi längst ein Team zur Überwachung des Anwesens eingesetzt hatte. Sie hatten längst unauffällig ihre Arbeit aufgenommen und auch den Besuch von ihrem eigenen Agenten in Wort und Bild aufgenommen. Teilweise zumindest. Denn das einzige, was sie nicht konnten, waren drahtlose Abhöranlagen im Gebäude selbst zu verwenden. Der Eigentümer hatte offiziell aufgrund der empfindlichen Vogelzucht eine Sondergenehmigung erhalten, um mit Hilfe einer komplizierten technischen Einrichtung das Eindringen von Funkwellen in seinen palastartigen Komplex zu verhindern. Der wahre inoffizielle Grund war jedoch die Bereitschaft von Erik Lang, sein Gebäude für erneute geheime, politisch sensible Konferenzen zur Verfügung zu stellen.

      Als die Linienmaschine gerade die Pyrenäen überquerte, tippte Brown auf seinem Laptop eine Liste mit Fragen, die er Erik Lang noch stellen wollte. Oder zumindest, was er über ihn in Erfahrung bringen wollte. Zehntausend Meter unter ihm türmte sich das Gebirge zwischen Frankreich und Spanien auf, das jedoch im Dunkel der Nacht lag. Seit über einer halben Stunde wurde das Flugzeug bereits von Turbulenzen durchgerüttelt. Der erste große Herbststurm Europas gewann über dem Europäischen Festland an Stärke.

      „Meine Damen und Herren. Hier spricht der Kapitän. Aufgrund des Herbststurmes mit orkanartigen Geschwindigkeiten über Mitteleuropa und dem Alpenraum müssen wir notgedrungen in Mailand landen. Wir bitten um Ihr Verständnis. Selbstverständlich wird für Ihren umgehenden Weitertransport zum ursprünglichen Zielflughafen Wien gesorgt. Im Namen der Fluggesellschaft danke ich für Ihr Verständnis!“ Wie als Bestätigung wurde das Flugzeug besonders heftig durchgerüttelt. Spätestens jetzt schloss jeder Passagier seinen Sicherheitsgurt und zog ihn straffer an.

      Brown beendete seine Liste und nahm sich eine der Tageszeitungen vor, welche ihm die Flugbegleiterin nach dem Abendessen gereicht hatte. Als er die erste Seite aufschlug, fiel ihm sofort die bunte Anti-Terror-Anzeige der Europäischen Regierung auf: Das Bild zeigte ein süßes, etwa achtjähriges Mädchen, welches offensichtlich gerade ein paar Bilder für ihre Mutter gemalt hatte. Jedenfalls hatte es sich im Eifer der kindlichen Kunst seine Hände und Arme mit bunten Filzstiftstrichen bemalt. In großen Buchstaben prangte über dem Bild die Frage des Mädchens, klagte regelrecht an: „Mami, warum kann ich die Mona Lisa nicht mehr sehen?“

      Am Nordrand der Alpen fuhren unterdessen zwei Lastkraftwagen an einem großen Stausee vorbei. Die großen Fahrzeuge wurden immer wieder von heftigen Windböen erfasst, so dass die Fahrer ihr Lenkrad fest umklammern mussten, damit die schweren Wagen nicht von der Strasse geblasen wurden. Zehn Minuten später erreichten sie ein kleines vom Tourismus lebendes malerisches Städtchen am Nordrand des Gebirges. Hier begann eine Privatstrasse, die tagsüber nur von Pferdekutschen und kleinen Elektrobussen benutzt wurde, welche sich durch einen Fichtenwald zum Ziel der Touristen aus aller Welt hinauf schlängelte. Die Bäume schwankten heftig unter der Wucht des Sturmes. Der dichte Regen peitschte seitlich an die Häuser des Ortes, die Wälder und die Lastkraftwagen, die in der stockdunklen Nacht ihr Ziel ansteuerten.

      Als sie an dem großen, weißen Märchenschloss angekommen waren, saßen acht schwarz gekleidete Männer von der Ladefläche des ersten LKW ab. Ihr Anführer stellte sich dem Führer der Wachmannschaft als Kommandant einer Spezialeinheit zur Terrorbekämpfung vor und erhielt nach einem Rückruf der Wache mit seiner vorgesetzten Dienststelle Eintritt in das Schloss. Bereitwillig gab er den `Kommandos´ Auskunft über Stärke und Aufgaben der Wache. Als er sich umdrehte, um den nächtlichen Besuchern Kaffee zu holen, überwältigten sie ihn genauso wie seine drei Kollegen. Die Wachmänner wurden betäubt und gefesselt.

      Der Anführer der falschen Anti-Terroreinheit machte das O.K.-Zeichen vor einer Überwachungskamera und rief seinen Kameraden ein „Los geht´s!“ zu.

      Zwei Stunden später begannen zwei Telefaxgeräte zu piepsen. Ein Telefaxgerät piepste in der Deutschen Zentrale des Überwachungsdienstes in Berlin. Das andere Telefaxgerät hatte einen streng geheimen Anschluss, der nur dem ESS selbst bekannt war. Es landete direkt in der Wiener Kommunikationsabteilung des European Security Service.

      In Wien wurde das Telefax sofort an Rizzardis Stellvertreterin weitergeleitet. Als sie zu lesen begann, blickte sie auf die Uhr, welche in einem roten Display 02.17 Uhr anzeigte: „Schloss Neuschwanstein. Explosion um 02.45 Uhr. Bestätigungscode: ZWER0§&4DL830. Neuer Code: 37SLH1O§$oo7sj0003.“

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