Andreas Engelbrech

Am Ende


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Regierungsvertreter Europas nickten. Die Theorie als eine von vielen möglichen leuchtete ihnen ein. Einer der Politiker richtete das Wort an Rizzardi: „Haben Sie die Börsen beobachtet? Gibt es dort Auffälligkeiten?“ Eine Folge der vier Anschläge und der bisher immer noch ergebnislosen Ermittlungsarbeiten der Polizei war ein vorübergehender Kurssturz von durchschnittlich 7 % an den europäischen Börsen und 4 % an der Wall Street in New York. Vorübergehend. Die Spekulanten hatten nach dem Schock des Terrors erkannt, dass die fehlenden Kunstwerke keinen spürbaren Einfluß auf das Konsum- und Investitionsklima haben. Warum sollte jemand deswegen kein neues Auto, keine neue Kleidung, keinen neuen PC mehr kaufen?

      „Eines meiner Teams beobachtet den internationalen Kunstmarkt, und zusammen mit nationalen und europäischen Wertpapieraufsichtsämtern werden auch die Börsen beobachtet.“

      Rizzardi hatte gegenüber dem Ausschuss absolute Auskunftspflicht. Die Konferenzleitung war eine abhör- und manipuliersichere Bildtelefonleitung.

      Er wollte noch hinzufügen, dass er nicht glaubt, dass mit den Anschlägen ein Einfluss auf die Börsenkurse beabsichtigt sein sollte. Aber `sein Glauben´ war an dieser Stelle fehl am Platz. Es wäre unprofessionell gewesen. „Ich befürchte, dass es für einen potentiellen Täter und Profiteur noch zu früh für ein umfangreiches Aktieninvestment ist. Ich halte es in diesem Fall für sicher, dass die Kurse noch mindestens um die Hälfte fallen müssen. Es sei denn, er setzt auf fallende Kurse.“

      „Agent Rizzardi!“ Der Grieche schaltete sich wieder ein. Der Politiker war von Theorie der Einflussnahme auf Börsenkurse überzeugt. Obwohl es dafür keine Beweise gab. „Ihnen ist hoffentlich bewusst, was das bedeutet! Wir müssen einen solchen Kurssturz auf jeden Fall verhindern. Wenn Sie vernünftige Gründe vorweisen können, bin ich auch bereit eine Erweiterung Ihrer Befugnisse abzusegnen. Wir können nicht abwarten, bis nahezu alle einzigartigen und vor allem bedeutendsten Originale unserer kulturellen Vergangenheit ein Häuflein Asche geworden sind!“

      Anthony Brown stieg zusammen mit Capitan Garcia die Treppen hinauf. Im Flur hinter der für die Größe der Fassade eher zu kleinen Eingangstür wurden sie von einem drahtigen Mann in Empfang genommen, der bis auf sein sportliches Äußeres fast ganz dem Klischee eines englischen Butlers bester Schule entsprach. Während er den ESS-Agenten zum Hausherrn führte, blieb der spanische Offizier auf dem ziegelroten Fliesenboden mit den grauen Fugen zurück, um auf einen seiner Leute zu warten, der Streife im Haus lief.

      Der Butler führte Brown zum Ende des Flurs, durchquerte einen sehr aufwendig gestalteten Innenhof und trat an der Stirnseite des Hofes in einen weiteren Gang ein. Die Räume des Gebäudes kamen ihm seltsam vertraut vor, obwohl er noch nie hier war. Während des Fluges hatte er das Anwesen in einem virtuellen Rundgang besichtigt. Die Villa, in welcher er sich befand, galt als das schönste Privathaus Europas. Im Einfallsreichtum seiner Architektur, der geschmackvollen Ausstattung, des Abwechslungsreichtums seiner Lebens- und Wohnräume, seines Erholungswertes, der Kombination aus Prestigeobjekt und Zurückgezogenheit, nicht zuletzt auch wegen der Einbettung in den steilen Vulkanhang und der Anlage der Gärten und Gewächshäuser galt es als ein modernes Schloss, ein Palast des 21. Jahrhunderts.

      Brown wusste, dass er auf dem kürzesten Weg zu seinem Gesprächspartner geführt wurde. Dennoch dauerte es vier Minuten, bevor er Erik Lang vorgestellt wurde.

      Als der Hausherr sich aus seinem Stuhl erhob, zog sich der Butler unauffällig und ohne ein Wort zurück. Erik Lang reichte Anthony Brown die Hand und schüttelte sie kurz mit einem festen Händedruck. Mit einer Geste bedeutete er dem Agenten sich zu setzen. „Bei diesem Wetter und in dieser Jahreszeit ist dies der schönste Platz in meinem Haus!“, begann Erik Lang das Gespräch. Brown sah sich in dem Gewächshaus um, das sie durch zwei Schleusen betreten hatten. Die Vegetation entsprach einer Halbwüste. Meterhohe Kakteen, teilweise mit großen Blüten von verschwenderischer Schönheit wechselten sich ab mit kleinen Büschen, die dicke dunkelgrüne Wachsblätter in den unterschiedlichsten Formen und Größen hatten. Auf kleinen Felsen sonnten sich bunte und erdfarbene Eidechsen. Ein paar bunte Vögel sammelten trockene Grashalme auf dem sandigen, trockenen Boden und flogen sie zu den Ästen eines knorrigen Baumes mit dickem Stamm, in welchem sie mit Artgenossen kunstvolle Nester flochten. Der gläserne Raum, in dem sie sich befanden, hatte die Ausmaße einer Tennishalle. Sowohl in der Fläche als auch in der Höhe. Sanfte Hügel und liebevoll angelegte Kieswege durchzogen die gläserne Halle. Sie selbst befanden sich auf einer leicht erhöhten Terrasse, mit Natursteinplatten belegt. Es war angenehm warm. Trockenwarm. Nicht so tropisch-schwül wie in einem Gewächshaus einer Gärtnerei.

      Ungefragt schenkte der Hausherr eine orangefarbene Flüssigkeit in zwei Gläser ein und deutete ihm an, dass er trinken sollte. Bei dem Getränk handelte es sich um eine Art Limonade, aus Orangen und Zitronen in der Küche gemacht. Das Getränk schmeckte fantastisch. Etwas Besonderes. Vermutlich wie alles in diesem Haus.

      „Wie kann ich Ihnen helfen?“, begann Erik Lang.

      Anthony Brown verfuhr so wie er es sich vorgenommen hatte. Ohne lang und breit um den heißen Brei herumzureden, legte er den Grund seines Besuches dar: „Der Attentäter des Van-Gogh-Museums hat für Sie gearbeitet, die Attentäterin von Da Vincis Mona Lisa hat ihre Mutter lange Zeit gepflegt. Schließlich kannten Sie den Bildhauer Jensen-Mendez persönlich. Und auch Ibrahim Ezz besuchte Sie in Ihrem Haus. Herr Lang, wir verdächtigen Sie nicht. Aber Sie könnten uns helfen, die Anschläge aufzuklären. Und möglicherweise könnten Sie dazu beitragen neue Attentate zu verhindern!“

      „Ich kann nichts Schlechtes über diese Menschen sagen. Ich habe Sie alle als engagierte und in ihrer Tätigkeit sehr erfolgreiche Menschen kennen gelernt. Gustav Hasselbach zum Beispiel hat sehr lange für mich gearbeitet. Nie hätte ich damals gedacht, dass er diese schönen Bilder zerstören könnte.“

      „Welche Art von Arbeit hat er für Sie verrichtet?“ Brown begann routinemäßig seine Befragung. Einen Teil der Fragen ließ er allerdings weg, da er sie dem Protokoll der Guardia Civil beantwortet entnehmen konnte.

      „Hasselbach arbeitete für mich in der Haltung und Nachzucht meiner Vögel, hauptsächlich der asiatischen Edelpapageien. Er verbrachte einen Teil seiner Jugend in der Heimat seiner Mutter, welche auch die Heimat dieser Vögel ist. Er kümmerte sich Tag und Nacht um die Tiere. Sehr erfolgreich übrigens. Leider hielt er es ihn nie lange an ein und demselben Ort aus und so nahm er eine Stelle in einem Zuchtprogramm für Nashornvögel im Amsterdamer Zoo an. Er hat uns dennoch jedes Jahr einmal besucht. Oder besser gesagt: Die Edelpapageien.“ Erik Lang goss die Gläser noch einmal voll. Die Limonade schmeckte nur leicht süß, und in dem trockenen Klima besonders gut.

      „Warum hat er seine Stelle im Amsterdamer Zoo aufgegeben und ist in das Van-Gogh-Museum gewechselt?“

      „Vor ungefähr zwei Jahren brachen Jugendliche nachts in den Zoo ein. Ob als Mutprobe oder um Tiere zu stehlen, weiß ich nicht. Auf jedem Fall entwickelte sich aus dem Einbruch Vandalismus. Sie zerstörten große Teile des Glashauses. Ein Teil der aufgeschreckten Vögel floh hinaus in die Winternacht und kam draußen um. Die Jugendlichen machten sich auch an den Nestern zu schaffen. Sie quälten und erschlugen schließlich die brütenden Elterntiere und lieferten sich eine Art Baseballspiel mit den Eiern. Als Folge der nächtlichen Zerstörung musste der Zoo das Zuchtprogramm mit den Nashornvögeln und einigen anderen Vogelarten aufgeben. Hasselbach besuchte mich vor seinem Wechsel in das Museum noch einmal. Danach riss der Kontakt ab.“

      „Warum glauben Sie, hat er die Bilder zerstört? Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Ende der Vogelzucht und dem Brandanschlag auf die Van-Gogh-Bilder?“ Brown deutete eine interessante Theorie an:

      „Es liegt nahe. Aber wo besteht der Zusammenhang? Warum sollte er das tun?“ Erik Lang machte den Anschein, als würde er nicht das erste Mal darüber nachdenken.

      Der ESS-Agent fragte ihn nach den Anderen aus. Erik Lang kannte sie alle, konnte sich an sie als liebe, gefühlvolle, intelligente Menschen erinnern. Aber genauso wie bei Gustav Hasselbach hatte er sie über ein Jahr nicht mehr persönlich getroffen.

      Ungefragt begründete Erik Lang seine eigene Zurückgezogenheit: „Im Frühling vor eineinhalb Jahren wurden die Menschen, die mir am