Andreas Engelbrech

Am Ende


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und vor allem an das Gewissen der Terroristen appellieren! Wir brauchen Werbespots im Fernsehen, ganze Hochglanzseiten in allen möglichen Zeitungen und Zeitschriften. Die Terroristen müssen auf sämtlichen Ebenen der Psyche angegriffen werden.“

      Rizzardi zeigte sich begeistert. Während er dem enthusiastischen Dr. Martin zuhörte, der immer neue Ideen für den Werbefeldzug hatte, stellte er eine Verbindung nach Stockholm her. Fünfzehn Minuten später hatten sie ihren Vorgesetzten im ESS-Hauptquartier von ihrer Idee begeistert. Eine Stunde und eine Telefonkonferenz zwischen ESS-Hauptquartier und dem Ständigen Ausschuss für Sicherheit der Europäischen Regierung später, wurde Dr. Martin nach Frankfurt in ein Flugzeug gesetzt. Dort sollte er mit der besten Werbeagentur in ganz Europa seine Pläne umsetzen.

      Anthony Brown flog in der Nacht von Kairo nach Rom und von dort weiter nach Teneriffa. Als er in einem Nieselschauer landete, dämmerte es gerade. Am Flughafen wurde der müde Agent, der die Nacht außer mit dem Betreten und Verlassen von Flugzeugen, mit dem intensiven Studium der Unterlagen über diesen Mann auf Teneriffa verbrachte, von einer spanischen Agentin empfangen.

      „Ich bringe Sie in Ihr Hotel nach Puerto de la Cruz. Sie haben heute Nachmittag um fünf Uhr einen Besuchstermin. Um fünfzehn Uhr haben Sie sich bei Capitan Garcia von der Guardia Civil einzufinden. Er wird Sie vorher einnorden.“ Sie sprach in fließendem Englisch, einer der vielen Voraussetzungen, die zu einem ESS-Agenten qualifizierten.

      „Er will mich einnorden? Wozu denn das? Bin ich vom ESS oder von einer Staubsaugerfirma?“ Anthony Brown reagierte auf diese offensichtliche Anmaßung eines einfachen Guardia-Civil-Offiziers verwundert. Viele andere Menschen hätten aggressiv reagiert, zumal sie unter den verrückten Eindrücken der unglaublichen Vorgänge in Ägypten und einer schlaflosen Nacht gestanden hätten. Brown reagierte fast cool. Es gehörte zu seinem Job. Lange war er noch nicht dabei. Er hatte als Polizist angefangen und sich an der Terrorbekämpfung in Nordirland beteiligt. Seine Vorgesetzten schlugen ihn schließlich dem ESS vor. Er hatte seine Lehrgänge absolviert und fing jetzt mit einfachen Beobachtungs- und Ermittlungsarbeiten an.

      „Der Mann, den Sie heute Nachmittag aufsuchen, verfügt auf Teneriffa - wie in ganz Spanien - über ein außergewöhnlich hohes Ansehen. Er engagiert sich seit fast einem Jahrzehnt für Sozial Schwache, für den Erhalt von Traditionen, für Denkmäler und Naturräume. Er erhielt in den vergangenen Jahren eine Vielzahl regionaler, nationaler und internationaler Ehrungen. Und seit dem Mordanschlag auf seine Familie steht er unter dem besonderen Schutz der Spanischen Regierung.“ Selbst die abgeklärte ESS-Agentin konnte ihre Bewunderung für diesen Mann nicht gänzlich unterdrücken.

      „Jedenfalls Zeit genug, um sich noch hinzulegen!“, bemerkte Brown, der sich seinem Hotelbett entgegen sehnte. Während er aus den Wagenfenstern die Landschaft der immergrünen Insel betrachtete, stellte er seiner Kollegin weitere Fragen: „Wurden die Täter nie gefasst?“

      „Vertraulichen Informationen aus der Guardia Civil und der Spanischen Regierung nach vermutet man die Bestechung hochgestellter Persönlichkeiten. Es konnte aber bisher nichts bewiesen werden. Die Täter gingen äußerst brutal und effektiv vor und hinterließen keine Spuren. Keine Hautschuppen, Haare, brauchbare Aufzeichnungen durch Überwachungskameras. Selbst die Auswertung von Satellitenbildern brachte keine Ergebnisse. Und auch die gestohlene Beute tauchte nie wieder auf.“

      Das Gespräch mit dem Vertreter der Guardia Civil verlief weitaus besser als es sich der ESS-Agent vorgestellt hatte. Er wurde von Capitan Garcia in die besonderen Schutzvorkehrungen für die vom Schicksal so hart getroffene Persönlichkeit eingewiesen. Außerdem zeigte er Brown die Niederschrift einer Befragung. Von Vernehmung wollte der Spanier nicht sprechen, in welcher er Angaben über seine Kontakte und Erinnerungen zu den Tätern der Anschläge in Amsterdam, Paris, Bilbao und Kairo machte. Er hatte deswegen selbst Verbindung mit der Guardia Civil aufgenommen, bereits wenige Stunden nachdem er die Bilder des Amsterdamer Bilderverbrenners Gustav Hasselbach über die Bildschirme der Welt liefen.

      Der spanische Offizier begleitete Brown sogar zu seiner Villa. Von Puerto de la Cruz aus fuhren sie die Küstenstraße entlang, bis der stark motorisierte Geländewagen der Guardia Civil in eine Seitenstraße einbog, welche in Serpentinen das Küstengebirge der vulkanischen Insel hinaufführte. Mittlerweile hatten sich die nächtlichen Regenwolken aufgelöst. Immer wieder konnte man von der Straße, die hinauf zu einem Dorf führte, den Pico de Teide erblicken, den höchsten Berg der Kanarischen Insel.

      In zügigem Tempo durchquerten sie den Ort. Ein paar Einheimische blickten auf, als der Geländewagen der ihnen längst als Teil des Alltags vertrauten Guardia Civil, den Marktplatz passierte. Dreihundert Meter nach dem Ortsausgang hielten sie an einer Straßensperre. Hier wurde unweigerlich jeder Passant, Rad- oder Kraftfahrer nicht nur angehalten und zurückgeschickt, sondern auch für die Dauer einer genauen Überprüfung festgehalten. Selbst das Dienstfahrzeug des ihnen vertrauten Offiziers wurde überprüft: Der Kofferraum musste geöffnet werden, mit Spiegeln wurde der Unterboden des Fahrzeugs gemustert.

      Das Tor des Anwesens öffnete sich automatisch. Zwei schwer bewaffnete Wachposten salutierten, als der Wagen an ihnen vorbei die kurze Auffahrt bis vor die Treppe des Haupteingangs fuhren. Der Mann, der hier wohnte, wurde scharf bewacht. Brown vermutete, dass sich im Hintergrund unsichtbar mindestens noch ein halbes Dutzend Guardia-Civil-Beamten in Bereitschaft hielt. Jeder Winkel des Geländes um die Gebäude wurde mehrmals, überschneidend von Videokameras überwacht und konnte von Fluchtlichtanlagen nachts ausgeleuchtet werden.

      Zehn Minuten nach dem Fund einer Bombe im Petersdom in Rom musste Stefano Rizzardi in Wien in einer Bildschirmtelefonkonferenz Auskunft über den Stand der Ermittlungen des ESS geben. Außer seinem Vorgesetzten im Stockholmer ESS-Hauptquartier waren noch Mitglieder des Ständigen Ausschusses für Sicherheit der Europäischen Regierung zugeschaltet.

      „Agent Rizzardi,“ begann der griechische Vorsitzende des Ausschusses, „wie können wir endlich diesen Wahnsinn stoppen? Im Durchschnitt geht in jeder Stunde eine ernst zu nehmende Bombendrohung bei einer Sicherheitsbehörde ein. Vier der bedeutendsten Museen der Welt waren betroffen und wir haben weder einen lebendigen Täter noch einen verdächtigen Hintermann.“

      Nein, Rizzardi liebte diese Fragen nicht. Er konnte nichts vorweisen. Er hatte keinen Verdächtigen, keine Motive, keine heiße Spur. Seine Ermittlungsgruppe wies mittlerweile 79 Agenten und Experten auf. Allein europaweit waren in den verschiedensten Polizeiorganen mindestens 900 Beamte hauptsächlich oder zeitweise mit den Ermittlungen der `Kunstvernichtung´ beschäftigt. Seit der flächendeckenden Einführung von eyescanningfähigen Überwachungskameras in Europas Städten und auf Europas Straßen, zusammen mit Spionagesatelliten der sogenannten „Inch-Generation“ und Rechnern, welche die 400fache Leistung im Vergleich zu Computern der Jahrtausendwende hatten, war die Kriminalitätsrate in Europa um über 80 % gesunken. Die Aufklärungsrate bei Delikten wie Ladendiebstahl oder Diebstahl privaten Eigentums bewegte sich bei 98 %.

      „Ich komme mir vor als würde ich vor Tausenden von Puzzleteilen sitzen und habe keine Ahnung, was für ein Puzzle es ist. Die Bombe in Rom ist unserer Einschätzung nach die Tat eines Trittbrettfahrers.“ Rizzardi ließ sich nicht anmerken, dass er wenig zu bieten hatte. Zumindest glaubte er das.

      „Wir können aber nicht warten, bis Sie noch mehr Puzzleteile, sprich zerstörte Kunst in den Händen halten. Was macht Sie so sicher, dass Rom nicht Nr. 5 ist?“ Der griechische Politiker war im Vergleich zu dem ESS-Agenten forsch, um nicht zu sagen aufbrausend.

      „Es hat bisher immer eine Warnung gegeben. Außerdem wird jeder Anschlag immer anders und raffinierter ausgeführt. Die Bombe im Petersdom war zu klein, um außer der Zerstörung von einem Altar etwas auszurichten. Sie galt der Verunsicherung der Menschen, vielleicht sogar mit einem religiösen Hintergrund.“ Als der Italiener keine Antwort erhielt, führte er weiter aus: „Ich halte es mittlerweile durchaus für möglich, dass es gar nicht um Kunst geht. Möglicherweise will jemand kräftig Kapital aus der derzeitigen unsicheren Lage ziehen. Was passiert, wenn die Menschen sich heute nicht mehr in ein Museum trauen, morgen nicht mehr in eine Kirche und übermorgen nicht mehr aus dem Haus? Die Umsätze der Wirtschaft gehen zurück, unter Umständen machen Firmen pleite. Aber wenn der Spuk vorbei ist,