Andreas Engelbrech

Am Ende


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keine Chance. Fachmännisch verbanden sie ihre Beute und steckten sie einzeln in die Stoffsäcke. Im Nachbarraum das Gleiche.

      Schnellen Schrittes verließen sie den Ort ihrer Tat. Auf dem gleichen Weg, wie sie gekommen waren. Der Komplize trug den Rucksack und in jeder Hand eines der Bündel. Der Radfahrer trug seine zwei Bündel in der linken Hand. In der rechten Hand steckte wieder seine Waffe, die er schon einmal aus der Höhe seiner Hüfte gezogen hatte. Er war bereit, die Pistole wieder zu benutzen. So oft es nötig war.

      Als sie im Labor vorbeikamen, entdeckten sie den Blauen, den Neuzugang.

      „Wir haben keine Zeit mehr!“, sagte der Komplize schnell. Aber der Radfahrer zeigte sich an dieser Information desinteressiert. Er legte seine beiden Stoffbündel auf einen Tisch und schlug mit einem Stuhl die Scheibe ein, hinter der sich der letzte Blaue aufhielt. Es dauerte nicht lang, bis auch dieser sorgfältig verbunden war. Der Radfahrer klemmte ihn sich unter den Arm, nahm die beiden anderen Stoffbündel wieder auf und setzte seinen Weg fort. Jederzeit bereit sich den Weg frei zu schießen.

      Als sie die Haustüre öffneten war alles noch unverändert. Der Fahrer lag immer noch auf der Treppe, hinter dem Auto, so dass man von der Strasse nur einen Wagen sah, der vor der Haustür geparkt war. Der Radfahrer legte den Schalter für das Tor um, das sich gleich darauf öffnete. Dann suchte er den elektronischen Schlüssel für die Limousine, welchen er dem Fahrer zuvor abgenommen hatte. Per Knopfdruck öffnete sich der Kofferraum. Sorgfältig legten sie ihre Beute hinein. Dann stiegen sie so schnell es ging in das Auto. Der Radfahrer brachte das Gefährt so schnell in Gang, dass der Komplize die Beifahrertür erst während der Fahrt schließen konnte.

      Nach dem Tor bogen sie nach links ein, in die Strasse, die zum Dorf führte. Sie brausten vorbei an der Piazza, auf der wenige Menschen zu erkennen versuchten, wer im Wagen saß. Die beiden Fahrer kannten sie nicht. Hinten konnten sie niemanden erkennen.

      Unterhalb der Serpentinen bogen sie mit dem gestohlenen Wagen in einen Feldweg ein, hielten an einem verfallenen Haus. Davor stand ein unscheinbarer weißer Lieferwagen. Nur das Nummernschild und ein Aufkleber deuteten auf einen Mietwagen hin. Per Knopfdruck entriegelte der Komplize die Türen, öffnete die hintere Ladetür mit seinen schwarz behandschuhten Händen. Die Stoffbündel legten sie sauber in mit Stoff ausgelegten Körben ab. Der Radfahrer entnahm dem Rucksack die Kartone, und legte seine kostbare Beute Stück für Stück und mit größter Sorgfalt in einen Schrank, der den Schränken in dem Anwesen hoch oben sehr ähnlich sah. Die roten Ziffern am oberen Rand des Schrankes begannen genauso zu blinken, als er geöffnet wurde. Es waren die gleichen Ziffern, die kurz zuvor in dem Anwesen erloschen waren.

      Kapitel 2

      Eineinhalb Jahre später

      Der Feueralarm erreichte die Feuerwehr und die Polizei der Stadt Amsterdam zeitgleich um 21.23 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt war das Van-Gogh-Museum bereits über drei Stunden geschlossen. Außer zwei Wachmännern sollte sich in dem Gebäudekomplex niemand mehr befinden.

      Drei der vier Wachmänner wurden später gefesselt und geknebelt auf dem Rücksitz dreier Autos gefunden. Die Fesselung war unnötig, da die Wachmänner friedlich schliefen und auch durch die Polizisten nicht geweckt werden konnten, welche nach dem Löschen des Feuers den museumseigenen Parkplatz abzusuchen begannen. Erst ein Notarzt machte sie mit einem Aufputschmittel wieder wach und vernehmungsfähig.

      Sie konnten sich jedoch nur noch daran erinnern, dass sie wie immer nachmittags um 17 Uhr ihren Dienst angetreten hatten, ihre Rundgänge zum Ende der Öffnungszeit durchgeführt hatten und dass es keine Vorkommnisse gab. Vermutlich, daran konnte sie sich nicht mehr erinnern, hatten sie dann mit ihrem Kollegen eine Tasse Kaffee zum Abendessen getrunken. Aber da waren sie sich schon nicht mehr sicher.

      Erst die Auswertung der Videokameras überführte den Täter. Obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte, versuchte der vierte Wachmann erst gar nicht, die Aufzeichnungen zu löschen. Er verhinderte nicht, dass die Kameras sein Verbrechen aufzeichneten!

      Die Beamten der innerhalb kürzester Zeit eingerichteten Sonderkommission "Van Gogh" der Amsterdamer Polizei konnten verfolgen, wie der zweite Wachmann, der Henrik Hasselbach hieß, seinen bewusstlosen Kollegen zu dessen Wagen schleifte und ihn auffallend sorgfältig auf die Rücksitzbank bettete. Dann entnahm er dem eigenen Kofferraum einen grossen Rucksack und zwei große Taschen. Er betrat das Museum und legte kleine Beutelchen unter die Bilder, die mit feinen Drähten verbunden waren. Die Beutelchen reichten für fast alle Bilder in allen Stockwerken aus.

      Die Polizisten erkannten auf Anhieb, dass hier kein Amateur zu Werke ging. Was sie sahen war von langer Hand geplant, war absolut professionell in seiner Vorbereitung und Ausführung. Jeder Griff des untreuen Wachmanns saß. Zuletzt konnten sie zusehen, wie er die Kabel an ein kleines Kästchen, kaum größer als ein Feuerzeug, anschloss. Der Wachmann stand so nah an der Videokamera, als wollte er mit einem Filmteam einen Lehrfilm für Sprengstoffspezialisten drehen.

      Als der Täter, der sich selbst mit den Aufnahmen überführte, das Kästchen ablegte und das Museum eiligen Schrittes verließ, begann eine rote Lampe daran in immer kürzen Abständen zu blinken. Bis die Lampe nur noch rot leuchtete und Sekunden darauf die Sprengsätze in den Stoffbeuteln zündete. Bruchteile von Sekunden später waren die Videoaufnahmen von den Innenräumen des Gebäudes zu ende. Zeitgleich zeigten die Außenkameras wie der kleine braune Wagen des zweiten Wachmanns den Parkplatz verließ. Er drehte sich kein einziges Mal um oder hielt an, um sein Werk zu beobachten.

      Das brauchte er auch nicht. Denn bereits eine halbe Stunde später brachten alle Fernsehsender des Landes und der Welt die Nachricht und erste Bilder seiner Tat. Noch vor Mitternacht wurden erste Bilder der Überwachungskamera ausgestrahlt. Diejenigen, die den Täter so zeigten, dass man ihn identifizieren konnte.

      Ein Wachmann, der sich soeben selbst fristlos entlassen hatte. Ein Mann, der sich selbst für schuldig erklärte. Sich selbst der Tat überführt hat. Jemand, der sich den Zorn einer ganzen Stadt, einer Nation, der ganzen kulturellen Menschheit zugezogen hatte. Ein Monster. 33 Jahre alt. Schwarze Haare. Schlank. 170 cm groß. Keine auffälligen Kennzeichen. Südostasiatischer und mitteleuropäischer Herkunft. Niederländischer Staatsbürger.

      Ein spezielles Einsatzkommando der Polizei stürmte seine Wohnung. Die Männer mit den schwarzen Sturmmasken, den schusssicheren Helmen und Westen rammten die Tür mit einer schweren Eisenramme auf und stürmten von Raum zu Raum. Die Wohnung war sauber aufgeräumt, so als würde der Bewohner Besuch erwarten. Henrik Hasselbach war nicht anwesend und auch sonst nirgends auffindbar. Sein kleines, braunes Auto wurde mit Hilfe des Kennzeichens innerhalb von drei Minuten durch das elektronische Verkehrsüberwachungssystem aufgefunden. Der Weg vom Museum bis zu einem Supermarktparkplatz ließ sich genau nachvollziehen. Ein Sprengstoffteam näherte sich dem abgestellten Fahrzeug vorsichtig. Die Vorsicht war berechtigt. Wer eine Tat mit Sprengstoff beging, war in der Lage, noch mehr einzusetzen. Das Einsatzteam fand allerdings nichts.

      Während die Aufnahmen der Überwachungskameras des Supermarktes ausgewertet wurden, brachten Hubschrauber die ersten Suchmannschaften und Hundestaffeln. Die Suchhunde versuchten die Witterung des Flüchtenden aufzunehmen und nahmen die Fährte auf. Der Weg führte die Suchteams in die gleiche Richtung, die auch die Kameras als Fluchtweg aufgenommen hatten.

      Die Wohnung wurde währenddessen von Spezialisten in antistatischen Laboranzügen auf Waffen und Sprengstoffe, auf die kleinsten Auffälligkeiten und Hinweise durchsucht. Auf dem Küchentisch fanden sie einen Umschlag mit der Aufschrift „Polizei“. Sofort wurde er von einem Spezialgerät durchleuchtet und auf Spuren von Sprengstoff oder Krankheitserregern untersucht. Nachdem der Apparat festgestellt hatte, dass es sich um einen ganz normalen Brief handelt, schickten sie ihn mit einem Blaulichtfahrzeug an das Einsatzzentrum der neu gegründeten Sonderkommission „Van Gogh“.

      „Was wissen wir über ihn?“ Gemeint war der Täter, Henrik Hasselbach. Die Frage stellte der Leiter der Sonderkommission „Van Gogh“.

      „Ich habe hier seine Daten: Geboren in Amsterdam. Sein Vater war Landschaftsgärtner in Rotterdam. Seine Mutter stammt aus Indonesien, von der Insel Borneo. Er hat PKW- und LKW-Führerschein. Machte eine Ausbildung