Während der Beamte die Informationen vorlas, verteilte ein anderer Polizist die ausgedruckte Biographie an die Anwesenden.
In dem Besprechungsraum der Amsterdamer Kriminalpolizei saßen zwölf Personen. Außer den Polizisten auch der Direktor des Van-Gogh-Museums sowie ein stellvertretender Staatssekretär des Niederländischen Innenministeriums.
„So viel zur Biographie. Was wissen Sie über ihn?“, frage der Leiter von „Van Gogh“ den Museumsdirektor, der de facto arbeitslos geworden war.
„Henrik Hasselbach galt als sehr zuverlässig. Er war stets höflich und sprang oft für Kollegen ein, wenn sie nicht konnten.“
Mit einem in dieser Situation unangebrachten „Jetzt wissen wir auch warum!“ wurde er kurz unterbrochen.
Er fuhr unbeirrt fort: „Wie Sie dieser Sicherheitsüberprüfung anlässlich seiner Einstellung entnehmen können, hatte er hervorragende Referenzen.“ Damit reichte er dem Beamten, der zuvor schon die Biographie verteilt hatte, einen weiteren Stapel Kopien, die er zuvor aus dem Sicherheitsinformationssystem der Amsterdamer Behörden gezogen hatte.
„Gibt es schon eine Sprengstoffanalyse?“ Der SK-Leiter fuhr mit seinen Fragen fort.
„Die Proben werden noch im Labor ausgewertete.“ Diesmal antwortete der Vize-Direktor der Abteilung Spezialaufgaben der Amsterdamer Polizei. „Unsere Experten sind auch noch dabei Rückschlüsse aus der Vorgehensweise des Täters zu ziehen.“
„Wie weit sind die Ermittlungen über Hasselbach selbst?“
Ein anderer hochrangiger Polizist antwortete: „Die Befragung der Nachbarn dauert an. Ebenso die Befragung der anderen Wachleute. Wir haben auch Ermittlungsteams zu Mitarbeitern des Zoos geschickt, wir befragen Nachbarn und alle, die ihn irgendwie kannten. Insgesamt haben wir mittlerweile 80 Polizisten im Einsatz.
„Was kann ich der Presse sagen?“ Diesmal stellte der Pressesprecher der Polizei die Frage. „Geben Sie Ihnen Fotos des Täters, auch wie er möglicherweise aussehen könnte. Wir brauchen ihn lebendig.“ Es war das Standardprozedere.
„Was ist mit dem Brief, der in seiner Wohnung gefunden wurde?“
„Davon sollten Sie noch nichts an die Presse weitergeben. Er wird noch erkennungsdienstlich behandelt.“ Dem SK-Leiter war es nicht recht, dass offensichtlich schon jeder von diesem Brief wusste.
Nach einer kurzen Pause fragte er: „Hat noch jemand was?“
Als keiner antwortete, sagte er kurz: „Um 6 Uhr treffen wir uns wieder hier. Also in 5 Stunden.“ Daraufhin verließ er den Raum und ging in sein Büro.
Während Hubschrauber über dem betroffenen Stadtteil kreisten und jeden Winkel auszuleuchten versuchten, nahmen die Suchhunde die Fährte auf. Wild kläffend rannten sie vom Parkplatz des Supermarktes in die vermeintliche Fluchtrichtung, bis sie an eine der vielen Krachten gelangten. Hier endete abrupt die Fährte in einem kleinen Holzkahn. Die Polizisten fanden in dem Boot die Uniform und Unterwäsche des ehemaligen Wachmanns, was sie zu dem Schluss veranlasste, dass er entweder weitergeschwommen oder mit Taucheranzug und Pressluftgerät auf beziehungsweise unter Wasser zu entkommen versuchte.
Die Suche wurde innerhalb kürzester Zeit auf die ganze Stadt ausgedehnt. Während man noch darüber nachdachte, aus anderen Landesteilen Bereitschaftspolizisten für die Suche in Marsch zu setzen, beteiligte sich auch die Amsterdamer Bevölkerung an der Jagd nach dem Täter. Kurz nach drei Uhr war es auch sicher, dass Henrik Hasselbach tauchend zu flüchten versuchte. Die Auswertung eines Überwachungsvideos zeigte ihn zwei Sekunden lang wie er in einem schwarzen Neoprenanzug, eine Pressluftflasche umklammernd, sich in dem Kahn niederkauerte. Zwei Sekunden lang, als er gerade vom Fahrlicht eines vorbeifahrenden Autos erfasst wurde. Hier hatte er sich mehr Mühe mit den Kameras gegeben. Es gab nicht viele Plätze in Amsterdam, wo man vor den Kameras sicher war. Als diese Videoszene entdeckt wurde, war sie jedoch schon über fünf Stunden alt. In einer ersten Sichtung war Hasselbach in seinem Kahn übersehen worden. Auf den Monitoren machte er gerade einen Ausschnitt von einem Quadratzentimeter aus.
Während alle noch wachen Bewohner von Amsterdam in allen Winkeln, Kellern, Gassen, Fluren, Dachböden, unter Brücken, wo auch immer man sich verstecken konnte, den Täter suchte, während die Wasserschutzpolizei die Kanäle mit ihren Booten und mit Netzen abzuriegeln versuchte, Taucher ins Wasser sprangen und den Grund absuchten, eine Sondersendung nach der anderen das Fernsehprogramm der Welt unterbrach, stellte man sich auf dem ganzen Planeten nur eine Frage: „Warum?“
„Warum?“ Die Frage warf der Leiter der SK Van Gogh in den Raum. „Warum fackelt er alle Bilder ab? Warum hat er nicht eines gestohlen?“
Sein Gegenüber, der Direktor der Abteilung Sonderaufgaben, antwortete ihm nicht. Er wusste die Antwort nicht. Stattdessen überreichte er ihm in einem durchsichtigen Plastikbeutel den Brief mit der Aufschrift „Polizei“, der in Hasselbachs Wohnung gefunden wurde und nannte ihm die Untersuchungsergebnisse:
„Seine Fingerabdrücke sind darauf, sonst keine. Das Papier ist ganz normales Recyclingpapier, normale Qualität, so wie es millionenfach in der Europäischen Union verkauft wird.“
Der SK-Leiter öffnete den Plastikbeutel, entnahm dann den Brief aus dem bereits geöffneten Umschlag. Er las langsam vor, was darin stand:
„Der nächste Anschlag wird vorgewarnt und ist mit folgendem Code versehen: XODZHG305S.“
„Aha!“, antwortete der Direktor der Sonderaufgaben, und der Leiter der Einsatzkommission wiederholte den Satz noch einmal.
„Was sollen wir denn damit anfangen? Ein weiterer Anschlag?“ Ohne eine Antwort zu erwarten, stellte der Leiter der SK die Fragen in den Raum.
„Wir müssen wieder zur Besprechung. Es ist 6 Uhr!“
Die Stimmung in dem Besprechungsraum war gereizt. Die nächtliche Arbeit ohne jeglichen Schlaf, der Druck der Politik und der Öffentlichkeit forderten ihren Tribut. Der Personenkreis hatte sich um einen Mann, der im Hintergrund Platz nahm, erweitert. Waren um Mitternacht noch teilweise Stellvertreter anwesend, wurden die Sitze jetzt von den Hauptverantwortlichen der Abteilungen wahrgenommen.
„Bevor ich mir ihre Zwischenergebnisse anhöre,“ begann der SK-Leiter die Runde, „habe ich eine Frage an den Museumsdirektor!“ Er drehte sich mit einem Ausdruck der Hoffnung an den Mann, der niedergeschlagen und gestresst am anderen Ende des Tisches saß. Die ganze Nacht über musste er wieder und wieder Fragen von ermittelnden Polizisten beantworten, Zutritt zu den Räumlichkeiten des Museums gewähren, Mitarbeitern und Politikern Rede und Antwort stehen. Außerdem hätte er sowieso nicht schlafen können.
„Waren es die Originale?“ Die Frage des Leiters der SK Van Gogh wurde bisher von noch Niemandem gestellt. Aber es war eine Frage, die auf eine Verneinung drängte. Die auf eine Verneinung, eine erlösende Verneinung, hoffte. Denn dann wäre es nur noch Brandstiftung gewesen. Wenn auch in in einem Heiligtum. Einem Heiligtum der Malerei.
Als der Museumsdirektor zur Antwort ansetzte, hielten einige Teilnehmer der Besprechung den Atem am.
„Selbstverständlich waren es die Originale!“
„Kein Zweifel?“
„Kein Zweifel! Die Bilder wurden in unregelmässigen Abständen geprüft.“
„Ich möchte trotzdem, dass die Reste untersucht werden. Vielleicht wurden sie vorher ausgetauscht.“ Der SK-Leiter wollte auf Nummer Sicher gehen. „Es gibt doch Reste, oder?“
Es folgten die Berichte der einzelnen Abteilungen. Die Untersuchung des verwendeten Explosivstoffes ergab, dass es sich um einen hochexplosiven Brandbeschleuniger handelte, eine Weiterentwicklung von Napalm. Ein Stoff, der in kurzer Zeit grosse Hitze entwickelt. Kein Stoff, der frei verkäuflich war.
„Was ich nicht ganz verstehe ist,“ ein bisher stiller Beobachter führte seine Frage aus, „warum nur vier Wachmänner das Museum bewachten. Der letzte Van Gogh, der versteigert wurde, erbrachte so etwas um die 180 Millionen Dollar. Wenn ich das auf das Museum hochrechne, wäre eine ganze Kompanie