Lara Johnson

Große Füße


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habe ich so auf Gestik und Mimik im kleinsten Detail geachtet, wie bei ihm. Er sprach ganz anders, wenn wir unter uns waren, erzählte mir Dinge, die kaum einer wusste und ja er flirtete, er flirtete mit mir. Irgendwie bekloppt, aber ich war stolz wie Oskar in dem Moment und freute mich innerlich wie ein kleines Kind. Jede noch so kleinste Berührung fiel mir auf, teilweise löste sie Gänsehaut aus. Gott sei Dank unbemerkt, wie peinlich wäre das sonst gewesen, hätte er gemerkt, wie ich innerlich zitterte. Wenn ich sonst so redegewandt und selbstsicher war und immer das passende Argument parat hatte, in seiner Gegenwart wurde ich immer nervös und unsicher. Meistens schaffte ich dies irgendwie zu überspielen und wenn ich eben nur alberne, sinnlose Dinge von mir gab. Machte nichts, so kannte man mich auch.

      Egal wie sehr ich mich auch zusammenriss, so langsam fiel ich auf. Bettina und Maria sahen die Sternchen in meinen Augen deutlich, wenn ich mich mit ihm unterhielt. Ob es für ihn oder die anderen genauso offensichtlich war, weiß ich nicht, befürchtete es aber. Allerdings bemerkten Bettina und Maria auch seine Sternchen. Ich war unsicher, konnte es nicht beschwören. “Guck mal, wie der dich anguckt. Der kann seine Augen nicht von dir lassen.” Flüstereien am Kaffeeautomaten an der Tagesordnung. War der Tresen voll mit Freunden und kam es vor, dass er und ich zu weit auseinander standen, konnte ich mich kaum mit anderen unterhalten, ohne ihn dabei ständig zu beobachten. Meine Blicke sagten dabei alles. Folgte dann ein Lächeln von ihm oder ein Augenzwinkern, war Laralein wieder glücklich.

      Auffällig war allerdings sein dortiger, langer Aufenthalt. Häufig stand er in dieser Zeit noch abends spät, auch oft allein in der Tanke oder kam am Wochenende drei, vier Mal an einem Tag. Suchte er Abstand zu seiner Freundin? Früher war er doch nie so lange hier? Ging es ihm nicht gut? Oder wollte er mich sehen? Wohl absolutes Wunschdenken. Tausend Fragen ohne Antworten wurden zu Alltagsgedanken. Ich genoss erst einmal weiterhin seine Gegenwart in vollen Zügen. Tankte jeden Tag Kaffee mit ihm gemeinsam und suchte Zuflucht in dieser mir heimischen Umgebung.

      Ich weiß noch, als ich zum ersten Mal mit 14 Jahren diesen für mich beson­deren Berg mit dieser besagten Tankstelle betrat, kannte ich niemanden. Ich suchte die Straße eines damaligen Freundes, stieg aus dem Bus aus, ging in die falsche Richtung und kam zu diesem Ort. Niemals hätte ich damals gedacht, dass ich dort mal so gerne hinfahren würde. Ich schaute mich um, “Eine schöne Gegend”, dachte ich und ging wieder zurück. Erst zwei Jahre später kam ich zu dem Stall, welcher sich genau hinter die­ser Tanke befand und das auch nur wegen einem richtigen Moment.

      Mit 16 kam ich in die Oberstu­fe, viele meiner Freunde waren abgegangen. Ich stand an der Ampel kurz vor unserer Schule, als Bettina neben mir auftauchte. Sie ging in die Paral­lelklasse und war mir aus einigen Kursen bekannt. Auf gut deutsch gesagt war sie ein kleiner Punk mit knatschbunten Haaren. Eher eine von den Außensei­tern, ich fand sie bis dato mehr komisch als inter­essant. Ihr Geschmack für Kleidung war das Gegen­teil von meinem. Sie, in breit gestreifter Strumpfho­se und Doc's. Ich, in Nadelstreifen und hochhacki­gen Schuhen. “Du bist jetzt auch in der Oberstufe?”, fragte sie nett. Ich antwortete mit “Ja”, wir ka­men ins Gespräch und wurden, innerhalb weni­ger Wochen, die besten Freunde. In ihrer Welt wurde ich angestarrt und sie in meiner. Doch das war uns scheißegal. Die eine tolerierte die andere. Dann erzählte sie mir von ihrem Pflegepferd und fragte, ob ich Lust hätte mal mit zum Stall zu kommen. Ich könne dort auch Eines pflegen, wenn ich wollte, meinte sie zu mir.

      Tja nun, und wenn ich damals an der Ampel nicht so offen ihr gegenüber gewesen wäre, würde ich heute ein komplett anderes Leben führen. Ich hätte keinen einzigen meiner Freunde kennengelernt. Mirko nicht, keine Maria, keinen Friedhof und dadurch keine Anita. Keine Sunny und auch keinen Kai. Alles wäre anders, als heute und alles, absolut alles von da an Erlebte, war nur von diesem einen, kleinen Moment abhängig. Gut für mich, dass ich nett zu ihr war.

      Es dauerte nicht lange, da war nicht nur das Pferd für mich ein cooles Hobby, sondern auch die Tank­stelle wurde zu einem interessanten Ort. Mit all ih­ren verrückten Mitbesuchern. Nie war ich allerdings in einer Regelmäßigkeit da. Anfangs schon und ei­nige Jahre dazwischen wieder nicht. So wie ich halt gerade lustig war. In erster Linie trafen sich dort die Jungs aus dem Dorf vom Berg. Man kannte sich un­tereinander nach einiger Zeit. Den einen mehr, den anderen eher flüchtig. Doch ich versuchte immer recht geschlossen zu bleiben. Egal wem gegenüber war ich vorsichtig, denn die Tratscherei war doch schon ziemlich groß, Dorfleben eben.

      Man unterscheidet zwischen Dörflern: Mich interes­siert alles, los erzähl! Und Städtern: Lass mich in Ruhe, interessiert mich einen Scheiß! Ich bin ein Städter, mit Mirko verheiratet, war ich ein Dörfler! Beides hat seine Vor- und Nachteile, wie ich finde.

      Seit dem Zeitpunkt meiner Trennung, ließ ich mich also wieder regelmäßiger an der Tanke blicken. Oft auch mit Sunny, Bettina oder Maria dabei. Natürlich in erster Linie wegen Kai, aber auch weil es für mich immer so eine Art abschalten war, nach der Arbeit dort einen Kaffee zu trinken, bevor es rüber zum Pferd ging. Viele von den anderen kamen auch um halb fünf, die ganzen Bekloppten, jeder für sich ein Unikat. Am häufigsten anzutreffen waren dort Tristan, Ricky, Bernd und Kai. Allerdings auch Mirko und seine Cous­ins kamen des Öfteren vorbei.

      Tristan beschrieb sich selbst als eitel, ehrlich und ordentlich. Ja und das kann ich auch voll und ganz be­stätigen. Nie zu vor habe ich einen Mann kennengelernt, der mich so oft fragte: “Hab ich einen dicken Hintern in der Jeans? Sieht das Hemd gut aus was ich an habe? Sitzen meine Haare?”

      Im Grunde ist er ein lie­ber, hilfsbereiter Mensch, den ich mittlerweile gern als Freund bezeichne. Zu der Zeit jedoch, war das nicht der Fall. Da fand ich ihn mehr nervig, als freundlich. Mir kam es oft so vor, als wollte er jemand anderes sein. Irgendwie verstellte er sich ab und an, machte Dinge die er sonst nie tat. Einmal betrat Tristan die Tanke, kam schnurstracks zu mir und rülpste volle Wurst in mein Ohr hinein. Ich dachte ich spinne. Das war unter aller Sau und passte mal absolut gar nicht zu seinem Typ. Ich reagierte dementsprechend zickig und war sauer. Bei den anderen Mädels vom Berg war er allerdings immer schon sehr be­liebt. Sein gutes Aussehen spielte dabei sicher ebenfalls eine große Rolle.

      Als nächstes hätten wir Ricky. Näher kennen lernte ich ihn erst, wie all die anderen, nach dem Auszug bei Mirko. Er ist sicherlich kein Fotomodel, so wie Tristan oder Kai, doch im Grunde auch ein lieber, hilfsbereiter und sehr wichtig: Ein gut gelaunter, witziger Mann. Ein typischer Bauernsohn halt. Zu mir war er bisher immer freundlich und den gewissen Schaden, der dort oben Grundvoraussetzung zum Kaffee trinken war, hatte er auch. Wie wir alle halt. Das war lustig. Normal sein, kann schließlich jeder und das ist viel zu langweilig.

      Apropos Schaden, womit wir zu den letzten beiden Kandidaten kämen: Bernd und Kai! “Ey Alter, willste mir einen blas…*Piiiiiiiiip*…en? Oder vielleicht 'ne Runde mit mir fic…*Piiiiiip*…ken? Ich glaub ich muss erst mal ordentlich kacken”, waren des Öfteren ihre Worte. Nein, ganz sicher ist dies nicht unbedingt meine Art zu reden, außer ab und zu aus Jux und Dollerei. Eigentlich mied ich solche Gesellschaft bisher auch eher, doch merkwürdigerweise waren mir diese zwei Verrückten die sympathischsten von allen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich sowieso scharf auf Mr. Matumbo-Kai war, gefielen mir einfach diese zwei Extreme an ihnen.

      So asozial sprachen sie auch nur unter ihres Gleichen oder an der Tanke. Tatsächlich konnten sie es auch abstellen und sich gehoben und ordentlich verhalten. Im Niveau also ziemlich flexibel. Ähnlich wie es bei mir eben war.

      Sie waren die besten Freunde. Eine Zeitlang hielten einige Bernd für dämlich und sicherlich hatte er auch seine gewissen Macken, allerdings noch harmlos in meinen Augen. Manchmal finde ich es sogar nervig, wenn man doch eigentlich zu 80% mit jemandem gut auskommt, dann aber nur die 20% sieht die einen an ihm stören und diese dann in den Vordergrund stellt. Vollkommen unwichtig, haben doch alle von uns in der Regel diese 20%. Ich fand Bernd sogar irgendwie recht charmant, allerdings möchte ich nicht wissen wie viele Frauen er schon unter sich hatte, der Schlawiner.

      Noch weitere Besucher kamen regelmäßig an diese Tankstelle. Die meisten kannten sich untereinander. Hier wären zum Beispiel noch die Dachdecker, wovon es da oben wirklich reichlich gab oder die Angestellten und Freunde vom Bauern und dem Tankwart oder einfach nur die Nachbarn vom Berg. Es war dort schon irgendwie familiär und vertraut, fast wie in einem Stehcafé in einer Friede, Freude,