Lara Johnson

Große Füße


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mal gar nicht zu mir”, hieß es da, wieder in einem dementsprechend motzigen Ton. Ich hatte ihr ein Getränk vorbei gebracht, wechselte ein paar Worte mit ihr und ließ sie dann wieder in Ruhe und zwar nicht aus böser Absicht. Ich dachte mir nur: “Sie hat 200 Leute hier geladen, die sie nicht wie mich fast jeden Tag sieht. Wird wahrscheinlich tierisch im Stress sein, weil sie sich mit jedem mal Unterhalten möchte und froh sein, wenn ich nicht den ganzen Abend hinter ihr herlaufe und an ihrem Rockzipfel hänge.” Nein, war offensichtlich auch wieder falsch. So langsam wurde ich stinkig. Sonst konnten wir eigentlich über alles reden, aber so kurz vor der Hochzeit wollte ich bei ihr keinen zusätzlichen Stress herbeirufen.

      Eine Woche nach dem Abschied folgte Marias großer Tag. Es war traumhaftes Wetter. Nicht zu warm, nicht zu kalt. Perfekt! Die Trauung fand auf dem heimischen Berg in der katholischen Kirche statt. Ich war so aufgeregt, als wäre ich die Braut persönlich. Als alle Gäste in der Kirche Platz nahmen, wartete ich draußen vor der Türe mit dem Brautstrauß in der Hand auf den schwarzen Oldtimer aus den 70er Jahren in dem Maria chauffiert werden sollte. Das Auto näherte sich. Sie strahlte, sah aus wie ein Engel. Das Kleid in weiß, ein absoluter Traum. In ihren Haaren steckten kleine Rosen. Die Frisur modern und doch romantisch. Sie sah unglaublich hübsch aus. Genau so sollte es sein. Genau so sollte eine Frau an diesem besonderen Tag aussehen. Was aus all den sachlichen Dingen hervorstieß, waren ihre funkelnden Augen und ihr Lächeln. Dies allein machte sie schon so hübsch. Ich freute mir Tränen in die Augen. Es war ein schönes Gefühl sie so glücklich zu sehen. Schnell gab es einen Bussi rechts und einen Bussi links zur Begrüßung. Noch fix wurden ein, zwei kurze Worte gewechselt, dann ging ich vor und nahm meinen Platz neben Mirko ein.

      In meinem Kopf geschah alles wie in Zeitlupe. Der Organist fing an zu spielen. Die Türe ging auf und sie schritt voller Stolz den Gang in Richtung Altar entlang. Gänsehautgefühl pur. Die Zeremonie nahm ihren Lauf. Michael war sichtlich nervös, doch irgendwie sah er auch sehr erleichtert aus. Während der Pastor sprach, hörte ich kein Wort von dem was er predigte, ich sah nur die zwei und schweifte in Gedanken. Die ausgesuchten Lieder waren ebenso perfekt. Ich war glücklich sie zu sehen und genauso traurig, dass es bei mir anders gelaufen ist. An die zwanzigmal in den paar Minuten stellte ich mir die Frage nach dem “Warum?”. Warum hatte ich nicht so viel Glück wie sie? Warum musste mir genau das Gegenteil passieren? Ein innerlicher Kampf begann und ich rang mit den Tränen. Wäre ich allein gewesen, hätte ich locker einen zehn Liter Eimer damit befüllen können. “Hirn an Lara: Konzentriere dich! Mensch reiß dich zusammen. Das ist ihr Tag”, dachte ich und versuchte mich mit aller Kraft gedanklich, von dem gerade in mir angekommenen Tsunami der Trostlosigkeit abzulenken.

      “Ja ich will”, kam über ihre Lippen und dieser kurze, jedoch ausschlaggebende Satz führte bei den meisten Anwesenden zu hochstehenden Nackenhaaren vor Freude und brachte mir zusätzlich den erlösenden Gedanken, dies alles bald überstanden zu haben. Für kurze Zeit fragte ich mich, ob es Mirko wohl ähnlich ging, doch ich wagte nicht, ihn in dem Moment anzusprechen, geschweige denn ihn anzusehen. Die Enttäuschung in mir, über seinen schleichenden Wandel der letzten Monate, war noch viel zu groß. “Tja, so ist das halt manchmal, wenn Menschen sich verändern”, dachte ich und stöhnte auf. Meine Laune ging zielstrebig die Treppen hinunter. “Reichlich dumm an solch einem Tag, also zack Maske aufsetzten und immer brav lächeln. Und möglichst viel rauchen, damit man es nervlich durchhält”, ging mir durch den Kopf während die Menge den heiligen Ort verließ.

      Das Schlimmste war überstanden und es ging via Kolonne Richtung Festsaal zum beginnen der Feierlichkeiten und Fressattacken. Merkwürdigerweise verstand ich mich für den Rest des Abends recht gut mit Mirko, fühlte mich auch glatt ein wenig zu ihm hingezogen. “Hat vielleicht auch er eine Maske aufgesetzt?” Ich traute dem Braten nicht wirklich, war aber nervlich viel zu erschöpft und versuchte deshalb meine Gedanken für kurze Zeit auf Eis zu legen.

      Das große Fressen begann, es wurde gespielt, es wurde gelacht, getanzt und gesungen. Wenn ich ehrlich bin, verbrachte ich die halbe Zeit des Abends damit, draußen vor der Türe zu rauchen. Die Kippen habe ich förmlich gefressen. Zu meinem Glück war ich nicht alleine, auch Trauzeugin Numero 2 war Kippen futtern. Es war absoluter Mist, kein gutes Vorbild und für fremde Augen auch sicher eine echt miese Trauzeuginnenaktion, doch in dem Moment war mir das egal. Ich versuchte doch nur zu vermeiden, dass ich Maria hinterher noch den Abend vermiese, denn mein trübseliges Erscheinungsbild ließ sich nun mal nicht ganz verbergen.

      Als die ersten Gäste gingen, war ich irgendwie erleichtert. Nie zuvor war ich mit mir selbst so im Zwiespalt, wie in dieser Zeit. So sehr ich mich auf diesen Tag gefreut hatte, so sehr hatte ich auch Angst vor ihm, einzig und allein durch meine akute, demotivierende Situation.

      “Maus ich geh jetzt. Mir tun die Füße weh”, jammerte ich Maria vor. Wie viel Uhr hatten wir? Eins? Zwei? Ich weiß es nicht mehr. Viele Gäste waren auf jeden Fall nicht mehr da. Maria war sichtlich begeistert. Ironie lässt grüßen. In ihrem Gesicht stand Enttäuschung ziemlich groß geschrieben. Wir tanzten noch einmal zusammen, dann fuhr ich nach Hause. Ich konnte einfach nicht mehr.

      Heute verstehe ich alles. Unsere Gemütszustände waren in der Zeit so unterschiedlich wie die von Jack the Ripper und Mutter Theresa. Doch damals ist mir der Hintern explodiert und zwar am darauffolgendem Tag.

      Wir trafen uns wie gewöhnlich am Stall. Schon bei der Begrüßung merkte ich, dass wir beide voll gestopfte Pulverfässer waren. “Weißt du wie viele Leute mich gestern angesprochen haben, wo denn meine Trauzeugen seien. Andauernd wart ihr draußen rauchen. Ich war schon echt enttäuscht, muss ich sagen.” Da war er. Dieser Satz von ihr, welcher als Zündfunke noch fehlte. In dem Moment kam mir der Dampf quer aus den Ohren geschossen. “Ich habe so die Schnauze voll. Die ganze Zeit über bist du nur am meckern. Das passt dir nicht, dies ist falsch, jenes ist nicht richtig. Die ganzen Wochen über habe ich nichts gesagt, weil ich dir keinen zusätzlichen Stress machen wollte, aber jetzt reicht es mir. Für mich ist das auch alles nicht leicht, schon mal drüber nachgedacht?”, schoss es lautstark aus mir raus, dann schwiegen wir uns nur noch an und gingen getrennte Wege. Selten hatten wir Streit, eigentlich so gut wie nie. Wie ich so etwas hasste.

      Zu Hause auf meiner Couch saß ich da, schmollte und dachte nach. Schmerzen machten sich breit in meiner Magengegend. Auf meinen Bauch war wirklich immer verlass, dieser doofe der. Mir war klar, ich hätte eine bessere Trauzeugin sein können, doch unter diesen Umständen gab ich alles was ich konnte. Wäre es eine andere Zeit gewesen, hätte ich sicherlich mehr drauf gehabt, vor allem bessere Laune.

      Mein Handy ging: Eine Sms von ihr: “Ich hab dich ganz doll lieb Maus, ich hoffe das weißt du! Ich bin dir super dankbar für alles was du für uns an Stress auf dich genommen hast! Ich hoffe die Zeiten werden wieder besser und auf der nächsten Party haben wir soviel Spaß wie sonst immer.”

      Ein dicker Fels kullerte mein Herzchen hinunter. War ich zwar manchmal nach außen hin eine sture Sau mit harter Schale, nach innen aber war ich weich wie Butter in der Sonne. Mir schossen die Tränen binnen Sekunden in die Augen, so erleichtert war ich und die Wut verschwand sofort. Das hätte mir jetzt auch noch gefehlt. Eine Entschuldigung meinerseits folgte direkt im Anschluss ebenfalls als Sms und das Thema war geklärt, vom Tisch und die Bauchschmerzen schlagartig verschwunden. Schön! Wenn das mal überall und mit jedem so ein­fach wäre, doch leider ist das äußerst selten der Fall. Meine Mission als Trauzeugin war zwar nicht perfekt gelaufen, aber nun, Gott sei Dank, erledigt. Immerhin hatte ich sie überlebt, ohne noch weitere Dachschäden zu bekommen.

      Es vergingen einige Wochen der Ruhe, bis das nächste Theater begann. Wenigstens gab es zwi­schendurch diese Ruhephasen, sonst wäre ich noch völlig bekloppt im Kopf geworden.

      In dieser Zeit traf ich mich wieder vermehrt mit Mirko. Er war nach Marias Hochzeit wie ausgewechselt. Wir un­ternahmen viel, gingen essen, konnten uns wieder unterhalten, ganz ohne Streitereien, ähnlich wie zu Beginn unserer Beziehung. Gut um einen Freund­schaftsversuch, wie ich ihn eigentlich wollte, zu starten, allerdings war ich mir absolut unsicher, ob es sich nur bei ihm um eine vorübergehende Pha­se handelte. Es war mir jedoch wert, dies herauszu­finden und des Rätsels Lösung ließ nicht lange auf sich warten.

      Eines der prägendsten Ereignisse fand einige Tage später in dem Lokal statt, wo wir geheiratet